Zum ersten Mal hätten sie erlebt, dass sie an einigen Stellen gar nichts tun konnten, sondern sich zurückziehen mussten und Menschen zurufen, sie müssten in den oberen Etagen ihrer Häuser bleiben: „Wir können Ihnen jetzt nicht helfen“. Angefangen hatte es bereits in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli. Die erste Alarmierung gegen 1 Uhr sorgte noch für Verwunderung, erinnern sich die Feuerwehrleute. Sie sollten in Hagen helfen. In Schalksmühle regnete es zu dem Zeitpunkt zwar, aber von Hochwasser war noch nichts zu sehen. Aber in Rummenohl herrschte ein ganz anderes Bild, das sich so später auch in Schalksmühle zeigen sollte: In Höhe des Hotels Dresel lief der Sterbeckebach als reißender Strom über die Volmestraße und vereinigte sich mit der Volme.
Den ersten Einsatz auf Schalksmühler Gebiet gab es gegen 10 Uhr: Die Löschgruppe Winkeln musste im Bereich Rölveder Mühle verhindern, dass ein Jagdhaus vollläuft. Das wurde einer von fast 160 Einsätzen – fast so viele wie sonst in einem ganzen Jahr. „Das Wasser kam von allen Seiten“, Bäche und Flüsse traten über die Ufer, es lief die Hänge runter, regnete von oben – und von unten drückte das Grundwasser.
Im gemeinsamen Rückblick fallen den Männern viele einzelne Episoden dieses Tages ein. Da war der Gastank, der in der Volme schwamm. Und der ganze Dreck im Wasser von allen möglichen Substanzen. „Wir haben gar nicht mehr probiert, die Uniformen sauber zu kriegen“, sagt zum Beispiel Jörg Volkmer.
Es sei beklemmend gewesen, mit den Einsatzfahrzeugen mitten durchs Wasser unterwegs zu sein, die Reifen fast weg, während ihnen Autos entgegenschwammen, erzählt Alexander Horn. Manche Menschen wurden regelrecht im Vorbeifahren gerettet, wie ein 85-jähriger Mann, der sich aus seinem schwimmenden Auto befreit hatte und nur noch an einem Geländer festklammern konnte, um nicht weggerissen zu werden. In Höhe der Firma Hahn zogen Feuerwehrleute einen Rollerfahrer aus dem Wasser. Und dann war da noch der Trafobrand, bei dem es nur noch galt, sich selbst auf den Fahrzeugen in Sicherheit zu bringen: Strom und Wasser ist eine lebensgefährliche Mischung, die auch in Kellern drohte. Viele Menschen seien sich dieser Gefahr gar nicht bewusst.
Einen Hauseigentümer, der unbedingt noch etwas retten wollte, habe er fast mit Gewalt aus seinem Keller holen müssen, während an den Fenstern die Volme vorbeifloss, berichtet Marc Fürst. Ein anderer Hausbesitzer reagierte mit Unverständnis, weil bei zehn Zentimetern Wasser in seinem Keller erst mal andere Einsätze wichtiger waren. Die Wahrnehmung, was dringend ist, ist eben subjektiv, wissen die Einsatzkräfte. Für sie nicht vergessen sind die Menschen, die „in purer Hilflosigkeit vor den Trümmern ihrer Existenz stehen“.
Einen weiteren spektakulären Einsatz gab es im Höhengebiet, als Teiche überliefen. Um das Wasser am Wohnhaus vorbei zu lenken, wurde mit einer Menschenkette ein Damm gebaut. „Wir haben alles, was rumlag, zur Hilfe genommen“, erzählt Alexander Horn. Jemand habe mit einem Radlader geholfen. Überhaupt haben viele Helfer angepackt, Sandsäcke gefüllt oder eben mit schwerem Gerät unterstützt, auch später beim Aufräumen. Denn die eigentliche Arbeit fing am nächsten Tag an. Viele Keller und Häuser konnten erst dann leergepumpt werden. Von Anwohnern wurden die Feuerwehrleute außerdem mit Frühstück versorgt.
Immer noch fassungslos sind die Feuerwehrmänner über die „Hochwassertouristen“, die auf Brücken standen und eigens an die Volme gefahren sind, um Videos und Fotos zu machen. „Man will da hin, um zu helfen, und muss dann solche Leute retten und sich mitunter selber in Gefahr bringen. Das bindet Kräfte, die woanders gebraucht werden.“
Wenn dieser Tag eines vor Augen geführt hat, dann, dass „Wasser eine Gefahr ist, die man nicht einschätzen kann“, betont Bernd Fernholz. „Seit 54 Jahren lebe ich in Schalksmühle. So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Aber er ist überzeugt, dass es beim nächsten Starkregen noch schlimmer werden kann, weil so viele Waldflächen, die sonst das Wasser aufgehalten habe, abgeholzt sind. Wenn das Wasser die Hänge runterläuft, nimmt es alles mit.
Fakt ist aber auch, dass für die Feuerwehrleute bei so einer Einsatzlage keine Zeit zum Nachdenken bleibt. „Man arbeitet die Einsatzstellen nacheinander ab, ruft das ab, was zu tun ist“, sagt Dirk Kersenbrock. Für sie alle war es ein Tag, an dem sie selbst vielen Gefahren ins Auge sehen mussten, die ihnen erst im Nachhinein bewusst wurden. „Man macht Sachen, über die man in dem Moment gar nicht nachdenkt. Man will ja helfen.“ Die Nachricht von den beiden gestorbenen Feuerwehrleuten aus Altena und Werdohl ist auch in Schalksmühle angekommen, aber mitten in der Einsatzlage galt es erst einmal, weiterzumachen. Zeit, zum Innehalten und Nachdenken gab’s später. Im Nachhinein spricht man, tauscht sich untereinander aus. Das Thema kommt Wochen, Monate später – oder jetzt ein Jahr danach – immer wieder auf.
Und auch wenn dieser Tag extrem war, war in Schalksmühle dieses Einsatzgeschehen eines von vielen, für die die Feuerwehr mit ihren Kräften bereitsteht. Man weiß nie, was ein Einsatz bringt. Und irgendwann in dem Gespräch taucht die Frage auf, „Wo habt ihr noch mal euer Nummernschild gefunden?“ Das war das Einzige. was der Unterwasserfahrt auf der Volmestraße nicht standgehalten hat. Für Dirk Kersenbrock als Leiter Feuerwehr hat dieser Tag gezeigt, dass sich das Fahrzeugkonzept bewährt hat. Sicherlich werde in Zukunft bei Neuanschaffungen verstärkt geschaut, wo es Verbesserungspotenzial bei der Ausrüstung gibt. Aber auch wenn dieses Thema derzeit im Fokus steht, gibt es noch alle anderen Gefahren, betont Kersenbrock.
Immerhin gebe es jetzt in vielen Bereichen ein Umdenken. Gerade Firmen hätten Gefahren erkannt, viele schauen, welche Maßnahmen sie zum Hochwasserschutz ergreifen können. Und die Feuerwehrleute können im Nachhinein feststellen, dass die Dankbarkeit in der Bevölkerung und die Wertschätzung für das, was die Feuerwehr tut, größer geworden sind.