Ortstermin an der Volme mit Herms und Harald Jung. Rückblick und Ausblick. Vor gut zwei Wochen stieg der Volmepegel wieder an. Nicht wie im Sommer 2021, aber doch bedrohlich. An der Messstelle Stephansohl wurden 2,06 Meter gemessen. Bei 2,10 Meter läuft im Schalksmühler Rathaus die Tiefgarage voll. Knapp vorbei. Auf dem Gelände der Firma Jung ist noch mehr Luft, aber die 3,90 Meter bis vier Meter aus dem Sommer 2021 – die waren auch hier nicht zu verkraften.
Drei Tage lang hat man im Juli 2021 bei Jung nicht produzieren können. Harald Jung war am Tag des Hochwassers im Urlaub. Als er am nächsten Tag direkt wiederkam von der Nordsee, fand er die Klagebach voller Schotter – und in seiner Firma die Mitarbeiter, wie sie mit Schneeschaufeln für Ordnung sorgten, als das Wasser zurückging („Davor kann man nur den Hut ziehen!“). „Da habe ich gelernt, dass es in der Volme auch Krebse gibt“, sagt der 67-Jährige, der noch immer beeindruckt ist, „man kann die beste Technik haben, gegen die Naturgewalten ist man ohne Chance. Damit hätte ich nie gerechnet.“
Die Geschwindigkeit, das Ausmaß – all das sei nicht vorhersehbar gewesen, sagt Martin Herms und zeigt Bilder, die das Firmengelände überflutet zeigen. Um 18 Uhr hatte man seinerzeit das Gebäude evakuiert. Strom und Internet verabschiedeten sich, bald auch Netzersatzanlage. Eine Datensicherung gab’s auf Batteriebetrieb. „Nachts waren dann alle Lichter aus, da war es stockfinster“, erinnert sich Herms.
All das rufen Herms und Jung in Erinnerung. Am Tag zuvor haben sie Besuch gehabt von der Unteren Wasserschutzbehörde. „Hochwasseramnesie“, sagt Harald Jung und gibt einen Begriff wieder, den der Gast gebraucht hat, „nach sieben Monaten verblasst die Erinnerung, meint man, dass ja alles nicht so schlimm gewesen ist.“ Aber genau das will man nicht. Die Erinnerung soll die Sinne schärfen, damit so etwas wie im Sommer 2021 nicht wieder geschieht. Oder besser: Damit man in einem Katastrophenfall besser vorbereitet ist.
Als der Pegel in Stephansohl kürzlich wieder auf die 2,10-Meter-Marke anstieg und die Nervosität entlang der Volme zunahm, gab’s nachher vom Ordnungsamt der Gemeinde ein Lob für die Unternehmen, die nach dem Hochwasser 2021 an vielen Stellen in den Hochwasserschutz investiert haben. Die Firma Jung steht hier exemplarisch für viele.
„Wir haben uns direkt nach dem Ereignis Fachingenieure ins Haus geholt“, sagt Martin Herms, „haben lernen müssen, dass die Gefahr von Schäden im Fundament nicht zu unterschätzen ist. Bei uns hat es da zum Glück keine großen Schäden gegeben.“ Harald Jung ergänzt mit Blick auf Hagen, Altena oder Ahrtal: „Wenn man gesehen hat, was woanders passiert ist, haben wir Glück im Unglück gehabt. Was wir verloren haben, ist Luxus, ein Versicherungsfall. Andere haben Haus und Hof verloren.“
Bei Jung setzte man sich trotzdem mit den Fachingenieuren und Fachleuten der Behörden zusammen, um Vorsorge zu treffen. Den Hang auf der gegenüberliegenden Seite ließ man geologisch untersuchen. Eine Risikoanalyse. Was passiert, wenn Bäume entwurzelt werden, wenn der ganz Hang abgeht? Dazu wurden die Böschungen auf dem Gelände gesäubert, Büsche wurde geschnitten. „Jeder Quadratmeter zählt, damit das Wasser ausweichen und seine zerstörerische Kraft nicht entfalten kann“, sagt Martin Herms, „da kann man nur alle Anrainer in die Pflicht nehmen, alles zu tun, um Freiflächen fürs Wasser zu schaffen.“
Aber das ist nicht alles. Auf dem Gelände gibt es inzwischen sieben Schotts, die das Eindringen des Wassers in die Gebäude und auch die Heizung verhindern soll. Diese stapelbaren Barrierekörper können binnen weniger Minuten aufgebaut werden und verriegeln die Gebäude bis zu einer bestimmten Wasserhöhe. „Das Hochwasser vor zwei Wochen war da eine Art Lackmustest für unser neues Notfallkonzept“, sagt Herms und ist zufrieden. Die Firma ist auf dem richtigen Weg.
Zum Notfallkonzept gehört eine klare Alarmkette. Es gibt Mitarbeiter, die im Falle eines Falles vor Ort die geplanten Dinge umsetzen, zum Beispiel Fahrzeuge aus dem Gefahrenbereich bringen oder Gerätschaften hochfahren. Es gibt eine Planung, wann am Ende das Gebäude doch evakuiert werden muss. Und dazu gibt es zur Sensibilisierung ein eigenes Projekt für Auszubildende, die eine eigene Pegel-Messstation an der Volme aufgebaut haben. Eine Station, die am Ende direkt Nachrichten senden soll. „Quasi eine Jung-Pegel-Messstation“, sagt Martin Herms und ist – auch wenn sie noch nicht vollends im Betrieb ist – stolz darauf.
Auch die Präventionsmaßnahmen und das Notfallsystem haben das Unternehmen einen hohen sechsstelligen Betrag gekostet. Allein die neue Netzwerkersatzanlage, die nun nicht mehr volmeseitig neben dem Gebäude, sondern auf dem Gebäude angebracht wurde, kostete 250 000 Euro. Sie kann im Notfall über Wochen Strom liefern. All das ist Hochwasserschutz und Standortsicherung. Schalksmühle ist seit 111 Jahren die stolze Zentrale der schon lange weltweit agierenden Firma Jung. „Mit diesen Maßnahmen sichern wir die Zukunft dieses Standorts ab, das ist unternehmerisches Eigeninteresse“, sagt Harald Jung. Drei Tage Ausfall der kompletten Steckdosenproduktion, die nur in Schalksmühle zu Hause ist – das ist teuer und soll nicht wieder vorkommen.