Als der Krieg ausbrach, erlebte die Familie dramatische Stunden. So etwa, als sie am dritten Kriegstag um ihr Leben rannte, um bei einem Luftalarm schnell den schützenden Bunker zu erreichen. Dem Georgier Tengeiz Tchelishvili war klar, dass er mit seiner Frau und den Kindern das Land verlassen musste. „Sie mussten schleunigst raus“, erinnert sich auch Viktor Rogalsky, den ein gemeinsamer Bekannter bat, der Familie zu helfen. Dank einer humanitären Organisation in Gießen sei die Flucht schließlich geglückt, und nach der letzten von mehreren Etappen nahm Viktor Rogalsky die Familie in Deutschland in Empfang.
Rogalsky ist Mitglied der Freien Evangeliums Christen Gemeinde (FECG) mit Sitz an der Beethovenstraße, und hier fanden Tengeiz und Iryna, wie zahlreiche Flüchtlinge aus der Ukraine, nicht nur eine religiöse Heimat, sondern auch viel Unterstützung.
Vor dem Krieg war die Familie in Sicherheit. Die Angst um Milana aber blieb. In Deutschland diagnostizierten die Ärzte einen Gehirntumor – nicht bösartig zum Glück. Milana wurde in der Uniklinik in Köln operiert. „Wir hatten große Ängste“, erzählt ihre Mutter und ist zugleich dankbar für die Unterstützung durch Mitglieder der Gemeinde, die Fahrdienste übernahmen und beim Übersetzen halfen. Ein schwer erkranktes Kind, eine Behandlung in einem fremden Land, in dem man sich nicht verständigen kann – keine einfache Zeit. Und zuhause – Krieg.
Milana ist mittlerweile auf dem Weg der Genesung. Sie besucht wie ihre Schwester die erste Klasse der Grundschule Auf der Wahr, hat dazu noch Therapie-Termine. „Sie braucht noch Hilfe, sie ist noch nicht wie normale Kinder“, sagt Iryna Tchelisshvili. „Aber sie ist auf einem guten Weg. Sie wird es schaffen.“ Auch Zlata helfe ihrer Schwester. „Sie sind eben Zwillinge“, lächelt ihre Mutter.
Im August reisten die Eltern mit den beiden Töchtern nach Kiew. Irynas Vater war verstorben. Insbesondere für die Kinder sei es nicht nur wegen des Verlusts des Großvaters eine traurige Erfahrung gewesen. „Sie hatten die Ukraine so in Erinnerung, wie sie sie vor dem Krieg kannten“, berichtet Iryna Tchelishvili. Glückliche, fröhliche Kinder seien Milana und Zlata in Kiew gewesen. „Jetzt mussten sie feststellen, dass nichts mehr so war wie vorher.“ Sirenen und Explosionen hinterließen auch nach der Rückkehr Ängste. „Als wir wieder in Deutschland waren, hat es ungefähr einen Monat gedauert, bis die Mädchen wieder ruhig geschlafen haben“, erzählt ihre Mutter. Auch sie erlebte das Land, in dem sie geboren wurde und aufgewachsen ist, nicht mehr als das Land, das sie kannte. „Es ist einfach traurig“, sagt sie. Irynas Mutter kam nach dem Tod des Ehemannes mit nach Deutschland. Ihr ältester Neffe und ihr Schwager seien noch in Kiew, eine Schwester sei zurückgekehrt zu ihrem Mann. Die Bedingungen seien schwierig, auch wegen der Temperaturen. Strom gebe es nicht immer, daher mitunter auch keine Internetverbindung. Der Kontakt sei schwierig.
Die Ukraine bleibe ihr Zuhause, „aber jetzt müssen wir uns hier zurechtfinden“, meint das Ehepaar. Ob sie eines Tages zurückkehren können in ihre Heimat – Tengeiz und Iryna wissen es nicht.
Tengeiz Tchelishvili ist Pastor. In der Freien Evangeliums Christen Gemeinde an der Beethovenstraße betreut er den Kreis Ukrainer, der sich wöchentlich im Jugendcafé Kostbar zum Austausch trifft. Einen Deutschkurs besuchen zu können, das ist ein Wunsch, doch aktuell seien alle Plätze belegt. Für Mai gebe es eine Option, berichtet Iryna Tchelishvili. Ihre Töchter lernten dafür in der Schule. „Mama, ich kann Deutsch schon verstehen, ich kann es nur noch nicht sprechen“ – das erzähle ihr ihre Tochter Zlata.
Dass ihre Tochter Milana wieder vollkommen gesund wird, das ist ihr größter Wunsch, sagt Iryna Tchelishvili. „Dafür bete ich.“ In der Ukraine wäre die Erkrankung vermutlich nicht so glimpflich verlaufen, glaubt auch Viktor Rogalsky. „Wir hätten das nicht bewältigen können, dafür werden wir immer dankbar sein“, sagt Iryna Tchelishvili. Ihr Ehemann fährt fort: „Was Deutschland unternimmt, um den geflüchteten Menschen zu helfen, dafür können wir nur dankbar sein. Das werden wir nie vergessen.“