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Schmerzen durch Licht: Frau aus MK leidet unter seltener Krankheit

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Von: Sarah Lorencic

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Heike Schmitt leidet an EPP: Licht verursacht bei der 53-Jährigen Schmerzen, weshalb sie es meidet so gut es geht.
Heike Schmitt leidet an EPP: Licht verursacht bei der 53-Jährigen Schmerzen, weshalb sie es meidet so gut es geht. © Lorencic, Sarah

Heike Schmitt sucht immer den Schatten. Denn ein Lichtstrahl fühlt sich wie ein Nadelstich an. Wir haben mit ihr gesprochen.

Valbert – Seit sie ein Kind ist leidet sie an erythropoetischer Protoporphyri, kurz EPP; eine seltene genetisch-bedingte Stoffwechselerkrankung. Kommt ihre Haut mit Licht in Berührung, beginnt sie zunächst zu kribbeln, dann folgen Schmerzen, die die 53-Jährige mit einer Verbrennung am Backofen vergleicht. Die Schmerzen sind kaum auszuhalten, aber Medikamente gibt es keine. „Ich kann keine Ibuprofen nehmen“, sagt die gebürtige Schalksmühlerin. Das Einzige, was Linderung verschaffen würde, wäre Morphium, erzählt sie, „und das steht in keinem Verhältnis. Man muss die Schmerzen aushalten.“ Wenn sie sich verbrannt hat, erzählt sie, muss sie eigentlich eine Woche in eine Dunkelkammer. Aber das ist mit dem Leben nicht vereinbar. Also versucht sie alles, um dem Licht fernzubleiben und versteckt sich vor der Sonne.

Ein normaler Alltag war jahrzehntelang nicht möglich. Die Mutter zweier Kinder, die heute 21 und 24 Jahre sind, kennt den Spielplatz nur bei schlechtem Wetter. Im Sommer trägt sie Handschuhe, Rollkragen und geschlossene Schuhe. Einkaufen geht sie nur am frühen Morgen oder späten Abend. In den Urlaub fährt sie mit ihrer Familie nur im Herbst an die raue See. Denn ist es bewölkt, besteht wenig Gefahr.

Der lange Weg zum Medikament

Festgestellt wurde die Erkrankung im Kindesalter sowohl bei ihr als auch bei ihrem Bruder. Die Sonne schmerzte den Kindern auf der Haut. Dem heute 80-jährigen Vater kamen die Schmerzen bekannt vor – von sich selbst. Er ging mit seinen Kindern zum Arzt. Alle drei erhielten die Diagnose: EPP. Zwar wurde die Krankheit früh diagnostiziert, aber das half nichts. Die Krankheit ist unheilbar und es gab damals keine Medikamente. Immer wieder nahm Schmitt an Versuchen teil. Bekam etwa Beta-Carotin, das die Wirkstoffe von zwölf Kilogramm Möhren beinhalteten, wie sie erklärt. Doch nichts wirkte. Bis sie an einer Studie teilnahm.

Erstmals lief sie unter freiem Himmel und hatte auch nach Stunden keine Schmerzen. Ihre Haut wurde Tage später plötzlich braun. Warum, das weiß sie heute: Die Meinerzhagenerin bekam ein Implantat eingesetzt mit dem Namen Scenesse, das stetig den Wirkstoff Afamelanotid abgibt. Er stimuliert die Melaninproduktion, macht die Haut dunkler – und so widerstandsfähiger gegen Sonnenlicht. Das Medikament wirkte, doch es dauerte zehn Jahre bis es in Deutschland zugelassen wurde. Bis dahin durften Heike Schmitt und die anderen Teilnehmer das Medikament nicht nehmen.

Medikament macht sie braun

Seit fünf Jahren bekommt die 53-Jährige den Chip nun vier Mal im Jahr von April bis September gesetzt. „Endlich“, sagt sie. Denn die Behandlung mit dem Medikament ist selten und muss begleitet werden. Die Therapieplätze aber sind rar. Einen Platz zu kriegen, gleicht einem Kampf. Sie hatte Glück und ist in Düsseldorf in Behandlung, an einem der vier Standorte in Deutschland.

Der Kampf um die Therapie hat sich gelohnt. Denn das Medikament gibt ihr Lebensqualität zurück. Sie kann in den Garten, kann die Wäsche aufhängen, am Tage einkaufen und spazieren gehen. Sie kann einen normalen Alltag führen. Sechs bis acht Wochen hält die Wirkung des Chips. Am 10. März bekommt sie wieder einen nach der Therapiepause von Oktober bis März. Die schönen Tage im Februar haben sie ans Haus gefesselt. Es wird Zeit für die nächste Medikamentengabe.

Gefahr auch durch LED-Lampen

Ein Wundermittel ist der Chip nicht. Gemerkt hat sie das vor einigen Jahren. Die Leberwerte wurden schlecht und die Ärzte in der Uniklinik Düsseldorf machten sich Sorgen und sagten, Heike Schmitt solle der Sonne fern bleiben. Das blieb sie, daran lag es nicht. Es waren die LED-Lampen in dem Geschäft, in dem sie gearbeitet hat. Die energiesparende Lösung kostete sie alle Kraft. Schließlich musste sie den Job aufgeben. Seitdem weiß sie, dass sie nicht nur die Sonne meiden muss, sondern auch zu helles künstliches Licht. Dass diese Reaktion zu EPP gehören kann, wusste Heike Schmitt. Operationen sind für EPP-Patienten daher sehr gefährlich. „Organe können verbrennen“, weiß die Meinerzhagenerin.

Als eine Operation an der Halswirbelsäule bevorstand, musste sie abwägen. Die Ärzte haben überlegt, ob man sie operieren und anschließend auch medikamentös behandeln kann oder ob die Wirkstoffe das Organ überlasten. Die Gefahr steckt im zweiten P der Krankheitsabkürzung: Protoporphyrie. Bei EPP wird vermehrt Protoporphyrin produziert, was in hoher Konzentration giftig für die Leber ist. Sie zusätzlich zu belasten, kann ein Risiko sein.

Nur 800 Menschen in Deutschland haben EPP

Bei Heike Schmitts Bruder hat die zu hohe Konzentration zu einer Leberzirrhose geführt, an der der 51-Jährige zu Beginn des Jahres gestorben ist. Ein weiterer Weckruf für seine Schwester, über die Krankheit, die bei rund 800 Menschen in Deutschland diagnostiziert wurde, aufzuklären. Im Krankenhaus nahmen die Ärzte an, dass ihr Bruder zu viel Alkohol getrunken hat. Aber das Gegenteil ist der Fall: Weil Alkohol die Leber belastet, verzichten EPP-Patienten darauf.

Aber was hat Heike Schmitt nicht schon an Kommentaren aushalten müssen. „Ist dir kalt?“, fragte man sie im Sommer bei mehr als 30 Grad. Oder man sagte ihr: „Stell dich nicht so an!“ Die fehlende Akzeptanz fehlt vor allem, weil man den Schmerz nicht sehen kann. Das Licht löst neuropathische Schmerzen aus, verbrannt werden die tiefer in der Haut liegenden kleinen Blutgefäße. Erkrankte müssten sich stundenlang in der Sonne befinden, um sichtbare Verbrennungen zu haben, bei manchen bleiben sie aus.

EPP: WENN LICHT WEH TUT

Die erythropoetische Protoporphyrie – EPP - ist eine seltene genetisch-bedingte Stoffwechselerkrankung. Die ersten Symptome treten schon im Kleinkindalter auf.

EPP -Patienten reagieren auf das sichtbare Licht, das Spektrum der blauen und roten Anteile. Auslöser ist ein Gendefekt, der die Blutbildung betrifft. In dem sehr komplexen Stoffwechsel zur Bildung von Hämoglobin lagert sich aufgrund des Gendefekts Protoporphyrin, eine Vorstufe des roten Blutfarbstoffes, in den Blutgefäßen ab. Dieses Protoporphyrin nimmt die Energie aus dem sichtbaren Licht auf und es kommt zu einer chemischen Reaktion: Verbrennung in den Gefäßen, die der betroffene Patient als starke Schmerzen wahrnimmt.

Die Betroffenen können bereits nach kurzer Exposition unter starkem Juckreiz und Brennen der Haut leiden. Am stärksten davon betroffen sind die Hände und das Gesicht. Generell kommt es zu starken neuropathischen Schmerzen. Im Extremfall schwellen die Hände und das Gesicht an. Dieser Zustand kann mehrere Tage andauern. Bei wenigen Patienten tritt durch die EPP auch eine Leberbeteiligung auf, bei der es im schlimmsten Fall zu einer Leberzirrhose kommen kann. Eine Heilung gibt es nicht. Patienten und Familien müssen lernen, wie sie trotz dieser Krankheit Lebensqualität erreichen können. In Deutschland leiden schätzungsweise 800 Menschen an EPP.

Gut, dass Heike Schmitt im Sauerland lebt, sagte einst ihr behandelnder Arzt. Das sei schon mal besser als auf Mallorca, scherzte er. Das klassische Sauerland-Wetter, das von Regen und Wolken geprägt ist, hat sich aber durch den Klimawandel auch immer mehr verändert, wie Heike Schmitt merkt. Hinzu kommt das Abholzen der Fichten in der Region aufgrund des Borkenkäferbefalls. Wälder, in denen Heike Schmitt gerne spazieren gegangen ist, sind weg; der Schatten ist weg.

Ein normales Leben kann die 53-Jährige einfach nicht führen. Alleine ist Heike Schmitt aber gewiss nicht. Familie und Freunde unterstützen sie, wo sie nur können und haben Verständnis. Noch mehr Hilfe bekommt sie in der EPP-Selbsthilfegruppe (www.epp-deutschland.de), die mehr als 200 Mitglieder hat. Der Austausch mit Gleichgesinnten tut ihr gut und gibt ihr Mut, weiter zu kämpfen.

Zum Beispiel für einen Schwerbehinderungsgrad. 20 Prozent wurden ihr zugesagt. Diese Einstufung aber kann und will Heike Schmitt nicht akzeptieren und klagt seit zwei Jahren dagegen an. Es geht ihr vor allem um die Anerkennung der Krankheit und der Beeinträchtigung. Für sie hört sich die Einstufung wieder an wie: „Stell dich nicht so an.“ Weil sich der Fall im Klageverfahren befindet, kann der Märkische Kreis keine Angaben machen. Pressesprecher Alexander Bange antwortet jedoch grundsätzlich, dass je nach Art von Porphyrien, also erbliche Stoffwechselkrankheiten, ein einzelner Grad der Behinderung zwischen 10 und 100 möglich ist. Als Grundlage dienen den Sachbearbeitern unter anderem Befundberichte der behandelnden Ärzte und Krankenhäuser.

Diese werden an einen Arzt zur Beurteilung nach der Versorgungsmedizin-Verordnung abgegeben. „Diese ärztliche gutachtliche Stellungnahme ist Grundlage für die Entscheidung über die Höhe des gesamten Grades der Behinderung“, erklärt Bange. Gegenwind kennt die Meinerzhagenerin. Ob beim Kampf um den Therapieplatz in Düsseldorf, bei dem man ihr seitens der Krankenkasse nur sagte „Sie haben doch auch 48 Jahre ohne leben können“ oder beim Kampf um Bezahlung der Beta-Carotin-Tabletten. Täglich Möhren zu essen, riet man ihr bei der Krankenkasse. Während Heike Schmitt im Schatten steht, wünscht sie sich nichts mehr als dass Behörden und Krankenkassen über ihren Schatten springen. Doch zu oft lässt man sie im Dunklen stehen.

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