Schaustellerfamilie zwischen Leidenschaft und Problemen

Schausteller haben derzeit viele Probleme. Wir haben mit einer Familie gesprochen, die uns vom Leben auf ständiger Reise erzählt haben.
Meinerzhagen – Reges Treiben hinter der Stadthalle: Seit Dienstagmorgen bauen die Schausteller ihre Fahrgeschäfte und Buden für die Pfingstkirmes auf. Ein Platz allerdings bleibt dieses Mal frei, wie Organisator und Schausteller Heiner Aufermann sagt. Ein großes Fahrgeschäft, das neben Autoscooter und Musikexpress das dritte gewesen wäre, wird nicht kommen. Grund dafür ist der Personalmangel auf den Kirmessen. Der Schausteller, der mit einem „Twister“ gekommen wäre, bekommt sein Fahrgeschäft „nicht bewegt“, wie Aufermann erklärt, also weder transportiert, noch auf- oder abgebaut.
Für große Attraktionen bedarf es mehrere Personen, die mehrere Tage die Kolosse aufbauen. Oftmals sind es Saisonarbeiter aus Osteuropa, aber die sind seit Corona rar geworden, weiß Heiner Aufermann. Er selbst ist mit einem Kinderkarussell nach Meinerzhagen gekommen und baut es gemeinsam mit einem Freund auf, weil auch er kein Personal hat. Das Geschäft mit der Kirmes ist schwierig geworden, sagt der 55-Jährige. Den Personalmangel fängt in der Welt der Schausteller die Familie auf.

Die Aufermann-Familie blickt auf fünf Generationen zurück. In der Nachkriegszeit begann Heiner Aufermanns Großvater die Familientradition und bestückte die Kirmessen in den 1950er-Jahren mit einem Riesenrad und einer Hoppelbahn, heute bekannt als Musikexpress. Heiner Aufermanns Eltern waren Schausteller, seine Onkel und Tanten sind es noch, seine Kinder sind es bereits in seine Fußstapfen getreten und die Enkelkinder von ihm und seinem Bruder werden zwischen Popcorn und Autoscooter groß.
Sunny ist die Kleinste in der Aufermann-Familie. Die Zweijährige wird ihrem Namen gerecht. Sie lacht die ganze Zeit, tanzt fröhlich über den Parkplatz hinter der Stadthalle und ist der Mittelpunkt unter den Schaustellerfamilien – ja, da wird es sonnig, auch wenn die Wolkendecke am Dienstag einfach nicht aufreißt. Sunny ist die Enkelin von Heiner Aufermanns Bruder, bei dem man Enten angeln kann. Er hat zwei Töchter: Sandy (26) und Lorena (22). Sandy hat ebenfalls einen Schausteller geheiratet, nämlich David Peiffer. Sie sind die Eltern von Sunny und haben einen Crêpes-Stand. Lorena verkauft mit ihrem Partner Eis auf der Pfingstkirmes, steht aber unter anderem auch auf dem CSD in Berlin und Köln. Sie ist in die Fußstapfen ihrer Großmutter getreten, die zwar bereits 80 Jahre alt ist, aber noch immer Eis verkauft. In diesem Jahr feiert die älteste Aufermann auf jeder Kirmes, die sie besucht, ihr 50-jähriges Jubiläum. Wenn Kirmes das Leben ist, hört man damit nicht einfach auf, weiß Sandra Aufermann, Heiner Aufermanns Schwägerin. Auch sie kommt aus einer Kölner Schaustellerfamilie. Man merkt: Die Konstellationen sind verzwickt, aber vor allem familiär. Ein anderes Leben kann sich keiner von ihnen vorstellen.
„Es ist ein schönes Leben“
Auch Mike Ahrend nicht, der mit seinem Liebesexpress auf der Pfingstkirmes ist. Er hat zwei Söhne, 14 und 18 Jahre alt, die bereits jetzt mit anpacken und Schausteller sein wollen. Weil es für das große Fahrgeschäft aber noch mehr Hände braucht, hat Mike Ahrend Arbeiter aus Rumänien engagiert und hofft, dass sie nach der schwierigen Suche diese Saison lange bei ihm arbeiten. Dieses Jahr nach der Pandemie ist wichtig für die Schausteller, kamen sie während Corona nur kaum über die Runden, müssen und wollen sie jetzt wieder arbeiten. „Es ist ein schönes Leben“, sagt Ahrend. Zumindest dann, wenn die Umstände passen. Es kann auch ein hartes sein. Anders ist es aber in jedem Fall. Seine Söhne gehen „auf die Zirkusschule“, wie der 50-Jährige sagt. Sie haben zwei Stunden täglich Online-Unterricht und ansonsten Aufgaben, die sie auf ihren Reisen von Kirmes zu Kirmes erledigen müssen. Sunny wird bald in einen Kindergarten gehen. Ihr versucht man ein halbwegs normal strukturiertes Leben zu ermöglichen.
Auch auf eine normale Schule soll sie gehen – die Wochenenden aber wird auch sie auf Kirmessen mit ihrer Familie verbringen. Und dazu zählen nicht nur ihre Eltern und Großeltern, sondern auch alle anderen Schausteller. Man kennt sich in der Branche, weiß Sandra Aufermann. Die Kinder laufen auf den Kirmessen von Stand zu Stand, kriegen hier ein Eis, fahren da Karussell und jeder passt auf, erzählt die stolze Großmutter. Freunde außerhalb der Kirmes haben die Schausteller allerdings kaum. „Man kann Freundschaften nicht pflegen“, sagt Sandra Aufermann. Schausteller sind fast immer unterwegs. Neun Monate lebt Mike Ahrend auf Kirmessen in ganz Deutschland und schläft im Wohnmobil. Von den restlichen drei Monaten verbringt er eine gewisse Zeit auf Weihnachtsmärkten.

Nach Meinerzhagen kommen die Aufermanns schon immer. „Es gibt keine Kirmes in Meinerzhagen, die ohne uns stattgefunden hat“, wie Heiner Aufermann sagt. Aber diese ist vielleicht die letzte, zumindest an Ort und Stelle. Als er an Ostern die kleine Familienkirmes an der Stadthalle organisiert hatte, hörte er erstmals von dem Bau des Kommerziellen Zentrums. Man habe ihm schon mitgeteilt, dass er wohl nächstes Jahr Pfingsten nicht hinter der Stadthalle stehen könne. „Eine Alternative hat man uns noch nicht genannt“, sagt er. Der Otto-Fuchs-Platz vielleicht. Aber der sei klein, Geschäfte schwer zu stellen. Aber entweder es passt oder nicht. „Wir sind das kleinste Licht“, weiß der Schausteller auch aus anderen Städten. Plätze, wo Kirmessen stattfinden können, werden immer weniger. Er hofft für sich und seinen Berufsstand, dass er auch weiterhin nach Meinerzhagen kommen kann.