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Schüler mit voller Wucht geschlagen: Frauen erleben harte Zeiten in Afrika

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Leonie Ryss und Annika Scheffler in Afrika wurden freudig in der Schule in Cotonou aufgenommen. Allerdings: In der Schule werden Schüler bei Fehlverhalten geschlagen.
Leonie Ryss und Annika Scheffler in Afrika wurden freudig in der Schule in Cotonou aufgenommen. Allerdings: In der Schule werden Schüler bei Fehlverhalten geschlagen. © Ryss

Neun Monate Südafrika: Für die Meinerzhagenerin Leonie Ryss und ihre Freundin Annika Scheffler aus Kierspe sollte im Oktober des vergangenen Jahres ein Traum in Erfüllung gehen. Nur ein Detail änderte sich kurz vor Abflug – aus neun Monaten wurden 90 Tage. Erst einmal.

Meinerzhagen/Kierspe – Zwei Monate nach ihrer Ankunft in Südafrika berichteten die beiden Anfang Januar in der Meinerzhagener Zeitung von ihren ersten Erfahrungen in Afrika. Im Bericht jetzt, den Leonie Ryss verfasst hat, geht es um den dreimonatigen Aufenthalt in Westafrika, genauer gesagt, in Benin.

„Kurz vor Neujahr kamen wir am Flughafen in Cotonou in Benin (Westafrika) an und wurden von der Organisation vor Ort namens SYTO herzlich empfangen. Nach einem Foto von unserer Gruppe aus zwölf Freiwilligen, kamen unsere Koffer in und auf eine Art Van. Nach einem Essen in einem Restaurant – es gab eine Art Wrap namens Shawarma – ging es anschließend zur Gastfamilie, wo wir drei Monate bleiben sollten.

Jeder kennt es aus Deutschland, wenn der Verkehr zur Arbeit oder sonst wohin nervenaufreibend ist: Man steht zu lange an einer Ampel, einer hupt, wenn man noch müde ist und nicht aufpasst und man ist einfach gestresst. Nach unserer ersten Fahrt auf den Straßen von Benin können wir uns sehr glücklich über Ampeln schätzen. Hier in Benin gibt es kaum Ampeln. Jeder hupt, überholt, drängelt, transportiert Ziegen auf dem Dach, stopft das Auto voller Ananas oder sitzt zu fünft auf einem Roller – ohne Helm. Jeder möchte irgendwohin und die Sicherheit steht absolut nicht an erster Stelle.

Leonie Ryss und Annika Scheffler wurden oftmals nur als die „Weißen“ gerufen.
Leonie Ryss und Annika Scheffler wurden oftmals nur als die „Weißen“ gerufen. © Ryss

Hier ist es üblich, dass die Menschen hauptsächlich Moto-Taxis, sogenannte „Zems“, als Transportmittel nutzen. Das heißt, dass man wie in Amerika üblich winkt, aber anstelle von einem gelben Taxi, ein Roller- oder Mopedfahrer mit gelben T-Shirt anhält. Man setzt sich hinten drauf und hofft, heil anzukommen. Helme spielen hier übrigens auch nur eine Rolle für die Fahrer. Beifahrer, auch Kinder oder Babys, brauchen diese nicht, Hauptsache man kommt von A nach B.

Gehupt wird hier außerdem durchgehend, aber eher als Warnung wenn man überholt oder eine Kreuzung ohne Ampeln überqueren möchte. Unsere Fahrten mit dem Zem waren jedes Mal aufs Neue ein Abenteuer. Auch die Fahrer waren immer wieder für Überraschungen gut. Sie wollten mehr Geld, da wir weiß sind, wollten unsere Handynummern, wollten durch Feuer fahren, durch riesige, dreckige Pfützen, kein Wechselgeld geben, sodass es einen riesigen Aufstand mit der ganzen Area und uns Weißen gab.

Die großen Straßen hier sind aus gepflasterten Steinen, oftmals mit größeren Schäden. Als wir am ersten Tag in eine Seitenstraße abgebogen sind, wo die gepflasterte Straße endete und nur noch grauer Sand als Untergrund zum Fahren war, wurde mir bewusst: Das ist wie im Fernsehen, wenn man Berichte aus Afrika sieht. Mit dem Zem auf Tour war es immer wieder eine Herausforderung, dort nicht herunterzufallen. Rechts und links waren abgetrennte Mauern und kleine Gebäude mit einem Raum und Ständen wie auf einem Markt davor. Ich bin mir unsicher, ob man die kleineren Gebäude überhaupt Häuser nennen kann, da es oft nur einen Eingang mit Vorhang und einem einzigen Raum gibt. Auf den Straßen laufen Hühner, Hunde, Schweine und Ziegen herum. Oft dachten wir, dass das wohl unser Abendessen wird.

Zurück zur ersten Fahrt: Es war ein Wunder zu sehen, dass unser Transporter keine Reifenschäden hatte. Ich dachte erst, dass wir diese Gegend einfach nur durchqueren, um anzukommen, aber plötzlich haben wir mitten in der Gegend an einem größeren Gebäude mit Tor und einer Hecke angehalten. Unser lokaler Koordinator sagte nur: „Leonie, Annika wir sind jetzt bei Eurer Gastfamilie angekommen...”

„Ab heute wird mit dem Eimer geduscht“

Wir haben unser Zimmer gezeigt bekommen und fanden einen Raum mit zwei Holzbetten und einem angebauten Bad vor. Decken oder Kissen gab es nicht. Moskitonetze zum Schutz gegen Malaria lagen bereit. In dem Badezimmer haben wir nach einer Dusche gesucht, fanden aber nur einen Eimer vor. Da wussten wir: „Ab heute wird mit dem Eimer geduscht”. Dennoch waren wir ganz froh über fließendes Wasser, Strom und eine Toilette. Auch Toiletten sind hier eher unüblich und Klopapier wird nicht genutzt. Wir konnten uns aber zum Glück etwas kaufen. Unsere Meinung: Dixi-Klos in Deutschland sind dagegen Luxus.

Die ersten Tage gab es zunächst ein Orientierungsseminar. Wir haben einige Orte besichtigt und wurden über die Kultur und Sitten aufgeklärt. Wichtig zu wissen war für uns: Niemals deine Handynummer weitergeben, Männer oder Frauen wollen nur dein Geld; nicht ohne Helm fahren, obwohl das jeder macht; auf keinen Fall in der Woche an den Strand, das ist zu gefährlich wegen Überfällen. Schwimmen ist aufgrund der Strömung verboten. Und: Immer erst die andere Person begrüßen bevor man etwas fragen möchte und wenn etwas passiert, bringt es nichts, die Polizei zu rufen. Ruft man die Polizei dennoch, fragt die zunächst, ob man ein Moto-Taxi schicken kann, um die Polizei abzuholen, da die Polizei keine Autos hat. Soweit die ersten Regeln und Tipps.

Die Organisation vor Ort ist sehr streng. Wir hatten wenig Freiheiten, also mussten wir jeden Abend um 22 Uhr zuhause sein, durften keine selbstständigen Ausflüge mit Übernachtung machen und haben uns dauerhaft beobachtet gefühlt.

Für die Einwohner hier in Benin ist es sehr ungewöhnlich, weiße Menschen zu sehen. Demnach konnten wir die vielen Blicke spüren. Die Kinder auf den Straßen schreien uns „Yovo“ hinterher, was übersetzt „Weißer“ bedeutet. Es soll aber nicht negativ gemeint sein, sondern eher als etwas Ungewöhnliches oder vielleicht auch etwas Besonderes gesehen werden.

Wenn wir das Haus verlassen wollen, müssen wir um Erlaubnis fragen und die Kleidung darf oben und unten auf keinen Fall zu kurz sein. Draußen werden wir täglich mit Blicken und Rufen verfolgt. Die Kinder wollen uns berühren und Erwachsene wollen mit uns sprechen. „Ihr müsst euch daran gewöhnen“, wurde uns gesagt. Natürlich ist das alles nicht so einfach, wenn man nur einige Wörter Französisch spricht. Wir merkten schnell: Man kommt auch nur mit wenigen Vokabeln, Gestik und Mimik sehr gut aus. Wir dachten, dass wir uns nach drei Monaten an vieles gewöhnen würden, aber das war grundlegend falsch. Die Menschen sind immer wieder erstaunt uns zu sehen und das Wort „Yovo“ ist Alltag geworden.

Besuche in der Kirche sind Pflicht

Unsere Gastmutter ist im Vergleich zur südafrikanischen Gastmutter sehr streng und erwartet viel Hilfe im Haushalt, Befolgung ihrer Regeln und Besuche in der Kirche. Unsere Familie – dazu gehören noch der Mann, der zurzeit in Russland beschäftigt ist, eine 17-jährige Tochter und ein 13-jähriger Sohn – ist streng katholisch und es wird jeden Tag gebetet oder sehr laute Gebetsmusik gehört. Dazu gibt es hier in Benin noch eine weitere Glaubensrichtung namens „Vodun“. Es ist eine sehr spirituelle Religion, mit blutigen Opfergaben, Dämonen, Königen, Gewändern und sehr speziellen Ausführungen.

Wir können sagen, dass das Vodun-Festival einer der größten Kulturschocks hier für uns war. Die Menschen waren wie besessen, haben Geister beschworen, getanzt, geschrien, gesungen und wollten uns in ihren Bann ziehen. Wir haben Glück, dass unsere Gastmutter ein klein wenig Englisch spricht. Oft haben wir das Gefühl etwas falsch zu machen. Wir sind es nicht mehr gewohnt, um Erlaubnis fragen zu müssen wenn man essen, spazieren oder sonstige Aktivitäten machen möchte.

Silvester waren wir von 18 Uhr abends bis 7 Uhr morgens in der Kirche und Gemeinde, wo wir das erste Mal erfahren konnten, was es heißt, sehr stark an etwas zu glauben. Es wurde getanzt, gesungen, gebetet, zugehört, dann liefen Tränen, Menschen fielen auf die Knie und beteten.

Die Kinder sind für alles zuständig: Kochen, Waschen, Einkaufen, Putzen, Spülen und vieles mehr. Gewaschen wird nur mit der Hand. Das ist sehr anstrengend bei 30 Grad Celsius im Sonnenschein. Oft können wir den Umgang von der Mutter mit den eigenen Kindern nicht gutheißen, müssen es aber akzeptieren und helfen so gut es geht.

Ein Wermutstropfen: Unsere Gastfamilie hat uns das Leben hier sehr schwer gemacht. Wir sind dennoch stolz, die Zeit dort zusammen durchgestanden zu haben.

Die beiden jungen Frauen aus dem Volmetal besuchten auch die Wasserstadt Ganvié.
Die beiden jungen Frauen aus dem Volmetal besuchten auch die Wasserstadt Ganvié. © Ryss

Hier werden typisch kulturelle Gewänder geschneidert und getragen, an den Füssen trägt man Schlappen und die Kinder hängen in einem Tuch auf dem Rücken – Kinderwagen sieht man nicht. Auch wir durften schon geschneiderte Gewänder tragen und hatten seit drei Monaten keine Sneakers mehr an. Luft und Umgebung sind sehr schmutzig, sodass unsere Klamotten und Schlappen sich schwarz färbten. Wir müssen wohl einiges hier lassen, wenn wir die Koffer für den Rückflug nach Südafrika packen.

Mitte Januar haben wir „Ganvié“ besichtigt, eine Stadt auf dem Wasser mit ungefähr 75 000 Einwohnern, deren Häuser auf Holzstelzen gebaut sind und Boote als Transportmittel genutzt werden. Die Menschen dort leben hauptsächlich vom Fischfang.

Unser erster Arbeitstag in der Schule in Cotonou: Vorgestellt wurden wir als „Weiße“. Die Schüler waren total begeistert uns zu sehen und die Lehrer stolz und froh, uns als Hilfe zu haben. Direkt am ersten Tag wurden wir gefragt, ob die Schüler in Deutschland auch geschlagen werden, wenn sie nicht arbeiten oder Mist bauen. Einige Stunden später musste ein Junge (14) einen Tisch in eine Halle tragen, sich darüber beugen und wurde 15 Mal mit voller Wucht von einem Lehrer mit einem Lineal ausgepeitscht.

An der Schule ist extra ein Mann angestellt, der nur die Aufgabe hat die Kinder zu schlagen, sobald die Klausuren schlecht sind, die Schüler etwas nicht können, zu spät kommen oder sonst was. Es hat uns oft das Herz gebrochen zu sehen oder zu hören, wie die Kinder hier im Alter von sieben bis 20 Jahren geschlagen werden. Tränen liefen, Schreie waren oft kaum auszuhalten und wir konnten nichts dagegen tun. Wir haben oft versucht zu erklären, dass es auch anders geht, aber wie soll man als Freiwillige innerhalb von drei Monaten ein ganzes Land verändern?

Es gibt noch so viel zu erzählen, dennoch können wir jetzt sagen, dass wir auf jeden Fall zwei sehr unterschiedliche Seiten von Afrika kennengelernt haben. Wir haben besondere Erfahrungen gemacht und werden diese nie vergessen. Wir können nun viele Sachen mehr schätzen und möchten jedem empfehlen, auch einmal solche Erfahrungen zu machen.“

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