Im Alltag, im Studenten-Leben, wird sie hingegen mit Vorurteilen konfrontiert. „Den Fehler, mich nur nach meiner Optik zu beurteilen, machen immer noch sehr viele“, sagt sie. Sie sehe aus wie ein Modell, das BWL studiert, sagten viele Studenten an der Uni, erzählt sie. Mit ein Grund dafür ist, dass die Sauerländerin auch im Alltag immer schick gekleidet ist; Dior--Handtasche, Highheels, Mantel, Kleid. Für ihre Mitstudenten oft untypisch für eine Frau, die sich für Geisteswissenschaften interessiert. Oft höre sie von Kommilitonen oder in den Sozialen Netzwerken Aussagen wie: „Du bist eine Schönheitskönigin. Du musst doch nur schön sein. Dann halt bitte den Mund“, erzählt sie. Vorurteile, mit denen sie aufräumen möchte.
Einen Grund für diese Irrtümer sieht sie im Nischendasein der Schönheitswettbewerbe in Deutschland. In Ländern wie den Philippinen oder auch Venezuela, sagt sie, sei das anders, dort seien die Miss-Wahlen sehr populär. Hierzulande dagegen nicht. Viele verwechselten deshalb das Auftreten einer Schönheitskönigin mit dem typischen Model-Job auf dem Laufsteg einer Modeshow. Und deshalb wüssten eben einige Menschen in ihrem Heimatland nicht, dass es bei den Miss-Wahlen nicht nur um Optik geht, sondern beispielsweise auch um das Verhalten in Rede und Antwort („Question and Answer“). Deshalb trainiert sie, neben Joggen und Reiten, auch die Dialektik, die Kunst in der Rede und Antwort.
Viel macht sie sich aus dem Gerede der Menschen, die dächten, schön sei gleich dumm, nicht. Es gibt für sie wesentlich wichtigere Angelegenheiten: wohltätiges Engagement, Geschichte, Philosophie, Literatur.
Ihre Leidenschaft zur Philosophie, und ihr Konzept, Schönheit mit Intellektualität zu verbinden, zeigt auch ihr Instagram-Auftritt. Dort teilt sie Shootings, private Fotos oder Bilder von Blumen. Dazu zitiert sie unter anderem den früheren US-amerikanischen Profigolfer Walter Hagen: „Du bist nur für kurze Zeit hier zu Besuch. Stress dich nicht, ärger dich nicht. Und sei sicher, dass du die Blumen riechst auf deinem Weg.“
Nicht umsonst gab es dafür den Titel „Miss Social Media“. Eine Reife, die sich erarbeiten musste. Noch vor sechs Jahren sah das ganz anders aus. „Ich war ein Mädchen, das sehr unzufrieden mit sich war, mit ihrem Aussehen, ihrem Körper.“ Ihr habe ein Vorbild wie eine große Schwester gefehlt, das ihr Identität und charakterliche Festigkeit gegeben hätte, erklärt sie.
Geholfen in dieser schwierigen Phase hat das Reiten im Meinerzhagener Reitverein, mit dem sie heute noch eng verbunden ist. Die Liebe zum Tier ist ein bis heute wichtiger Aspekt im Leben der Schönheitskönigin.
Der entscheidende Wendepunkt in ihrem Leben fand vor zwei Jahren statt: die Berliner Agentur The Queens Camp wurde auf sie aufmerksam, nahm die junge Meinerzhagenerin unter Vertrag. „Ich hatte mich einfach mal für einen Schönheitswettbewerb beworben. So ist die Berliner Agentur auf mich aufmerksam geworden“, erzählt Jasmin Selberg.
Der Start in einen neuen Frühling im Leben der Studentin. Die Agentur habe ihr gezeigt, wie sie an sich und ihrem Körper arbeiten könne, erklärt sie. Und wie man sich für die Gesellschaft engagieren kann.
Jasmin Selberg startete das Projekt „Queens Raising Awareness“. Auch dies verbindet sie mit Philosophie. „Man steigt niemals zwei Mal in den gleichen Fluss“, zitiert sie den Philosophen Heraklit. Was heute falsch ist, kann morgen richtig sein – und umgekehrt. Und „etwas zu tun, ist besser, als nichts zu tun“, sagt die junge Philosophie-Studentin.
Kleine Taten, große Wirkung. Mit ihrem Projekt will sie genau für dieses Prinzip Werbung machen. Jeder Mensch kann mit minimalen Handlungen im Alltag tätig werden. Zum Beispiel in puncto Umwelt und Tierwohl. „Einfach Blumensaat mit dabei haben und auf Wiesen oder kahlen Erdflächen in der Innenstadt ausstreuen“ oder „immer Leckerchen für frei herumlaufende Tiere in der Tasche haben“, erklärt Selberg die Möglichkeiten, sich spontan und dauerhaft für Tiere und Umwelt einzusetzen.
Unter der Oberfläche der jungen Beauty-Queen schlummert ein kritischer Geist. Verwunderlich ist deshalb auch nicht ihr Berufswunsch: Journalismus oder die Arbeit in der Wissenschaft. Vielleicht den Beruf auch mit dem Job der Schönheitskönigin verbinden – so stellt sie sich ihre Zukunft vor. Außerdem möchte sie ein Vorbild für junge Frauen sein. Für ihre jüngere Schwester ist sie das bereits. Selbstbewusst sein und sich engagieren, das lebt sie ihr und anderen vor.
Ein Ziel im Studium will Jasmin Selberg unbedingt erreichen. „Der Doktorgrad in Geschichte ist mein Traum. Dafür werde ich an der Universität hart arbeiten“, sagt die amtierende Miss Globe Germany und vielleicht zukünftige Miss Universe Germany.
Von Thilo Kortmann