Die Hardrocker kommen aus Valbert

Wenn Inklusion rockt: Die Band aus dem Blindenwerk im MK

Fünf junge Musiker aus Valbert
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Musik verbindet: Die Hardtrocker aus dem Blindenwerk Westfalen in Valbert wollen zeigen, dass sie eine ganz normale Band sind und die Musik lieben. Zu den Mitgliedern gehören Ben Müller, Jessica Baroth, Silvie Lammert, Sven Pfennig, Hassan Yakar (von links) und Daniel Scheer, der nicht auf dem Bild ist, aber als Sänger die Band komplettiert.

In der Stadt gibt es eine Band, die kaum jemand kennt. Dabei will sie so gerne vor Publikum spielen und zeigen, was sie kann. Und vor allem eins: zeigen, dass sie eine Band wie jede andere ist. Alle sechs Mitglieder der Hardtrock-Band sind blind und haben eine Behinderung, alle leben im Blindenwerk Westfalen in Valbert. Sie beweisen, dass Musik alle verbindet und wie sehr Inklusion rockt. Wir waren bei einer Probe dabei.

Valbert - Es liegt recht versteckt in Valbert. Fast am Ende einer Sackgassenstraße, die von Einfamilienhäusern geprägt ist, liegt das Blindenwerk. Schilder weisen bereits ab der Hauptstraße auf die Einrichtung hin, dennoch kennt kaum jemand aus der Stadt das Werk oder weiß, was hinter den Türen passiert, wie Kimberly Ludwig als Begleitender Dienst weiß.

Erstrecht weiß kaum jemand, dass es alle zwei Wochen richtig ab geht in dem Haus. Dann, wenn die Hardt-rocker proben. Ihr Proberaum ist eigentlich ein Ruheraum. Betten für die im Behindertenwerk Beschäftigten stehen dort bereit. Doch hinter einem Vorhang wurde eine Ecke für die Band eingerichtet. Geht der Vorhang auf, ist hier nichts mehr mit Ruhe.

„99 Luftballons“ dröhnt durch das Haus auf dem Weg in die untere Etage. Daniel Scheer, Silvie Lammert und Jessica Baroth singen, Ben Müller sitzt am Schlagzeug, Hassan Yakar und Sven Pfennig am Klavier.

„Musik ist meine Leidenschaft“, sag Daniel Scheer. Der 34-Jährige singt sehr gerne und hört für sein Leben gern Musik, wie er sagt. Hassan Yakar kommt aus einer musikalischen Familie. Sein Vater macht ebenfalls Musik und nimmt seinen Sohn mit, wenn er einen Auftritt auf einer türkischen Hochzeit hat. Ben Müller spielt Schlagzeug und findet es gut, dass er auf der Bass Drum auch mal ordentlich Frust abbauen kann, erzählt er und lacht. Sven Pfennig ist eine lebende CD, wie er sich vorstellt. Wenn der 32-Jährige ein Lied ein paar Mal hört, kann er es kurz danach auf dem Klavier spielen. Seit er fünf Jahre alt ist, nimmt er Musikunterricht. „Ich hab nicht immer die richtige Fingerstellung, aber das muss mein Lehrer ja nicht wissen“, sagt er – und seine Bandkollegen müssen lachen.

Sie sehen ohnehin nicht, wer wie das Instrument bedient. Aber sie hören es – und das meist besser als Menschen, die ihre Sehfähigkeit noch haben. Blinde Menschen hören besser. Bei Menschen, die von Geburt oder früher Kindheit an blind oder wesentlich sehbehindert sind, entwickelt sich das Gehirn anders. Jessica Baroth zum Beispiel hat ein absolutes Gehör. Sie hat also die Fähigkeit, die Höhe eines beliebigen gehörten Tons ohne Hilfsmittel exakt zu bestimmen. Und: sie trifft auch selbst jeden Ton. „Singen ist eine schöne Art, sich auszudrücken“, sagt die 29-Jährige.

Wer an harmonische Klänge denkt, wird sich wundern. Es muss laut sein. Der Bass muss fühlbar sein. Dann ist Musik gut. Jessica und Silvie sind gute Freundinnen seit vielen Jahren. Sie gingen zusammen auf eine Schule für Menschen mit Behinderung in Paderborn. Auf der Abschlussfeier sang Jessica Baroth „Time to say goodbye“ von Andrea Bocelli und Sarah Brightman. Silvie Lammert saß damals im Publikum, heute singt sie das Lied zusammen mit ihrer Freundin und erinnert sich an die Schulzeit. Jessica Baroth singt aber auch, um Dinge zu vergessen. „Wenn ich singe, vergesse ich jede Sache, komplett alles, was war“, erzählt sie. Und wenn sie singt, trifft sie nicht nur jeden Ton, sie singt auch flüssig, was ihr beim Sprechen nicht mehr so gut gelingt, wie sie sagt. Sie erinnert sich daran, dass sie früher flüssiger reden konnte, ohne zu stottern.

„Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe“, singt die Band mit vollem Einsatz. Das Lied der Ärzte sei das, was sie immer singen, was am meisten „bummst“. Kräftig singen sie zum Ende des Liedes „Arschloch“, und jedes der Bandmitglieder wird damit etwas verbinden.

Die Hardtrocker haben bisher einen größeren Auftritt in Hagen gehabt. In diesem Jahr wird es wieder einen geben. Zwar erst im Oktober, aber die Vorfreude ist schon jetzt kaum auszuhalten.

Ihr Auftritt findet im Vereinsheim von Underground Musik statt. Auf die Hardt-Rocker sei man durch Aylina Vogt, die Wohngruppenleiterin, gekommen. Die Eltern der 23-Jährigen sind in dem Verein aktiv, und so kam sie auf die Idee ihnen die Band aus dem Blindenwerk vorzuschlagen.

Und Heike Silling-Laudien, die neue Bookerin von Underground Musik, hat sich sehr über den Hinweis gefreut, wie sie sagt. Eigentlich sei der Verein genau für solche Musiker, die sonst wenig Aufmerksamkeit bekommen gegründet worden – auch für inklusive Bands. Denn, wie sie sich selbst überzeugen konnte, sind die Hardtrocker richtig gut. „Total berührt“ ist sie gewesen, als sie eine Probe im Blindenwerk besuchte. Im Oktober werden die Hardt-Rocker die 80er-Jahre-Party im Vereinsheim von Underground Musik sein. Welche Lieder sie spielen, wissen sie noch nicht genau, haben aber ein Repertoire von mehr als 300 Songs.

Der Auftritt soll nicht der einzige und vielleicht auch nicht der erste in diesem Jahr sein, wie Aylina Vogt sagt. Man möchte seitens des Blindenwerks versuchen, einen Auftritt sowohl auf de Stadtfest in Lüdenscheid zu organisieren als auch auf dem Fest zu 950-Jahre-Valbert. Denn die Band möchte unbedingt raus mit ihrer Leidenschaft. Coronabedingt haben die Bewohner drei Jahre lange kaum etwas außerhalb der Einrichtung gesehen und jetzt sollen wieder die Möglichkeiten genutzt werden. „Sie müssen nicht am Rand der Gesellschaft stehen.“ Sie sollen auf die große Bühne.

Tickets im Vorverkauf

Wer die Hardtrocker live erleben möchte, kann sich für ihren nächsten großen Auftritt Tickets im Vorverkauf sichern Die 80er-Party mit den Hardtrockern findet am 14. Oktober im Vereinsheim von Underground Musik statt, an der Herscheider Landstraße 146 in Lüdenscheid. Für acht Euro gibt es auf www.eventbrite.de schon Tickets, (Suche: „Hardtrocker“) .

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