Auf dem Bahnhof am Rand des Steinmüller-Geländes – dem Schmuckstück der Stadt – ist um die Uhrzeit nicht viel los. Auch der Busbahnhof wirkt eher leer.
Zwei Handvoll Menschen warten auf Züge, die in Richtung Lüdenscheid oder in Richtung Köln unterwegs sind. Ein älterer Mann wühlt die Abfallbehälter durch, er ist auf der Suche nach Pfandflaschen.
Um 12.24 Uhr schaue ich mir den Fahrkarten-Automaten auf dem Bahnsteig an. Ganz oben auf der Fahrkartenliste steht es: das 9-Euro-Ticket. Einen Monat lang kann man im Nahverkehr hin und her, kreuz und quer durch die Republik gurken. Noch gilt es nicht, auch wenn man (frau auch!) es im Automaten ordern kann. In der App des Verkehrsverbunds wird es ebenfalls seit Montag angeboten, auch für 9 Euro. „Wenn Sie am 1. Juni direkt starten wollen, ist es sinnvoll, sich das Ticket schon vorab zu kaufen, versucht mich die App zu überreden, schon jetzt den Monatsfahrschein für nicht einmal 10 Euro zu ordern. Aber gemach, liebe Verkehrsverbünde. Warten wir doch mal ab, wie chaotisch das ganze Anfang Juni wird. Und wer weiß, vielleicht bleibt das Chaos ja auch aus.
Die Abfahrt nach Meinerzhagen ist pünktlich um 12.38 Uhr. Der Fahrtverlauf über Marienheide ist problemlos, wir erreichen schließlich pünktlich um 12.53 die Volmestadt.
Würde ich jetzt ein Monatsticket lösen, um so oft, wie ich wollte, von Meinerzhagen nach Gummersbach oder andersherum fahren zu können, müsste ich 104,13 Euro hinblättern. Obwohl hinblättern falsch ist, der Preis gilt nämlich nur für die Online-Buchung. Und das alles bekomme ich in ein paar Tagen für 9 Euro und könnte dann von Berlin-Zehlendorf nach Lechbruck im Ostallgäu fahren? Das klingt schon sehr verlockend. Noch verlockender wäre es natürlich, wenn das immer so günstig wäre, oder sogar umsonst. Aber das geht nicht. Ach ja?
Ein sehr bekanntes Beispiel für einen kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehr ist Tallinn, Hauptstadt von Estland. Schon seit 2013 müssen Einwohner nichts mehr bezahlen. Die Nutzung sei anfangs um 10 Prozent gestiegen, die Autozulassungen in Tallinn seien stagniert – anders als im Rest von Estland, berichtet Wirtschaftswissenschaftler Gunnar Prause im Zukunftspodcast der Tagesschau. Inzwischen habe sich das aber wieder angeglichen. Die 12 Millionen Euro, die in der Kasse fehlten, kompensierte Tallinn durch einen Clou: Nur Einwohner Tallinns kommen in den Genuss der kostenlosen Tickets. Rund 30 000 Esten meldeten sich um und spülten auf diese Weise 30 Millionen Euro in die Steuerkasse. Inzwischen bieten die meisten Landkreise Estlands eine kostenlose Nutzung von Bus und Bahn an, allerdings nur, weil die estnische Regierung dies mit Zuschüssen unterstütze, so Prause.
Kehrtwende, ich muss ja zurück nach Gummersbach. Wieder nutze ich die App auf dem Mobiltelefon und ordere ein Ticket für 2,85 Euro. Das gilt maximal für zwei Stunden. Ich darf zwar umsteigen, aber keine Umwege fahren, Rund- oder gar Rückfahrten sind tabu.
Die RB 25 fährt mit zwei Minuten Verspätung in Meinerzhagen los, das holt sie auch bis Gummersbach nicht auf. Jede kleine Störung zerrt am genauen Takt der Bahn. Das merke ich auch, als ich in Gummersbach die Bahn verlasse. Die Türen schließen sich. Im letzten Moment eilt ein Radler mit seinem Bike an eine Tür, drückt den Sensor und erhält Einlass. Dass es dadurch wieder eine kleine Verzögerung gibt, die sich bis zum Hansaring in Köln potenziert – nun ja, damit haben Bahnfahrer zu leben gelernt. Jetzt bleibt es spannend, was der Versuch mit dem 9-Euro-Ticket bringt und wie viele Menschen sich tatsächlich darauf einlassen werden.
104,13 Euro will der Verkehrsverbund monatlich haben für die Strecke zwischen Meinerzhagen und Gummersbach, wenn man online bucht. Gehen wir von 20 Kilometern Strecke aus, kostet das mit dem Auto bei durchschnittlich 20 Arbeitstagen allein schon 103,20 Euro an Kraftstoff (Benzin, 2,15 Euro je Liter). Rechnet man dann Abnutzung, Werkstattaufenthalte, Service und all das hinzu, was neben Kraftstoff auch noch von einem Auto gebraucht wird, liegt die Summe schon sehr viel höher. Der einfachste VW-Golf schlägt laut ADAC mit 53,8 Cent je Kilometer zu Buche. Allerdings: Auf dem Land ist der ÖPNV alles andere als komfortabel. Da steht man dann schon mal an einer Bushaltestelle und es kommt partout kein Bus. Da nützt am Ende auch das 9-Euro-Ticket herzlich wenig.