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Ehemaliger Pflegeheimleiter berichtet von „brutalen“ Zuständen

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Von: Sarah Lorencic

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Auch im Bereich der Altenpflege herrscht Personalmangel in Stadt und Landkreis Rosenheim. Die Zeit, um mit Heimbewohnern mal einen Spaziergang auf dem Gang zu machen, ist oft knapp.
Björn Menna war Leiter einer Einrichtung mit rund 240 Betten. Der Pflegenotstand machte die Situation „brutal“. Sein Ausweg, seine Forderungen. © DPA;:Sina Schuldt

Björn Menna war Leiter einer Einrichtung mit rund 240 Betten. Der Pflegenotstand machte die Situation „brutal“. Sein Ausweg, seine Forderungen.

Meinerzhagen – Der Pflegenotstand ist überall angekommen, sagt Björn Menna, Pflegedienstleiter der Aurelia-Pflegewohngemeinschaft für Menschen mit Demenz. „Wir versuchen uns nur aus der Sache rauszukämpfen“, sagt der 47-Jährige. Er ist seit September 2022 neu bei Aurelia. Und neu ist auch, dass die Tagespflege seit Februar mangels Gästen nicht mehr existiert. Der Pflegenotstand ist hier aber nicht der Grund.

Schuld sei vor allem die Corona-Pandemie, die dazu geführt hat, dass nur noch halb so viele Besucher in die Tagespflege durften wie sonst. Und Angehörige, die sich zwei Jahre lange anders organisiert haben, so Menna, kamen nach der Pandemie nicht zurück in die Tagespflege – auch, weil viele ehemalige Besucher in eine Einrichtung mussten, weil sich ihr Zustand verschlechtert hat. Denn – und darum geht es dem Pfleger: Pflege ist nicht alles. Gerade für Menschen mit Demenz sei vor allem Betreuung sehr wichtig. „Unsere Bewohner brauchen Menschen um sich herum“, sagt Björn Menna.

Den Mensch in den Mittelpunkt stellen – das ist das Ziel von nahezu jeder Pflegekraft. Aber dafür fehlt oft die Zeit, weil Personal fehlt. Aber wo fängt das Problem, der Pflegenotstand, an? Björn Menna sagt, es muss mehr Wertschätzung für den Beruf geben und mehr Geld gezahlt werden. Dann kommen mehr Pflegekräfte. Ansonsten nicht.
Den Mensch in den Mittelpunkt stellen – das ist das Ziel von nahezu jeder Pflegekraft. Aber dafür fehlt oft die Zeit, weil Personal fehlt. Aber wo fängt das Problem, der Pflegenotstand, an? Björn Menna sagt, es muss mehr Wertschätzung für den Beruf geben und mehr Geld gezahlt werden. Dann kommen mehr Pflegekräfte. Ansonsten nicht. © Lorencic

Zeitarbeitsfirmen sind deshalb keine Option bei Aurelia. Die Beziehung zwischen den Menschen sei wichtig und könne nicht mit stetig wechselndem Personal aufgebaut werden.

Personalmangel ist aber kein Thema, wie der Pflegedienstleiter sagt. 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon drei Fachkräfte, fünf Hauswirtschaftskräfte und Teilzeitkräfte für die Betreuung stehen für zwölf Bewohner zur Verfügung. Mit kreativen und flexiblen Dienstplänen schafft man es in dem kleinen Betrieb, den Bewohner die Pflege und Aufmerksamkeit zu bieten, die sie brauchen, und zudem die Mitarbeiter nicht zu überlasten. Überstunden, sagt Menna, der die Dienstpläne als Pflegedienstleiter erstellt, gebe es kaum. Zeitlich gut abgestimmt ist es auch möglich, den ambulanten Pflegedienst aufrecht zu erhalten – wenngleich hier nur ein kleiner Stamm von Kunden angefahren wird.

Björn Menna ist der neue Pflegedienstleiter bei Aurelia. Die meiste Zeit verbringt er im Büro.
Björn Menna ist der neue Pflegedienstleiter bei Aurelia. Die meiste Zeit verbringt er im Büro. © Lorencic, Sarah

Mit drei Fachkräften betreiben größere Einrichtungen eine ganze Wohngemeinschaft, sagt Menna. Er weiß, wovon er spricht. Er hat viele Jahre in Krankenhäusern gearbeitet, hat im Klinikum Hellersen Lüdenscheid gelernt und arbeitete unter anderem auf der Intensivstation im Bergmannsheil in Bochum. In Schwelm leitete er ein Seniorenheim mit 236 Betten und mehr als 150 Mitarbeitern. „Da war der Pflegenotstand brutal“, sagt der 47-Jährige. 180 Tage standen Stellen teilweise offen. Das Personal, das da ist, muss den Mangel auffangen. Und wenn die eigenen Leute überlastet sind, häufen sich die Fehler, was wiederum zu Druck führt, erklärt Björn Menna die Spirale, die nach unten führt.

Am Ende geben viele Pflegekräfte auf. Nichtmals, weil sie nicht mehr können, sondern, weil sie nicht mehr in den Spiegel schauen können, sagt der Breckerfelder. Menschen, die in der Pflege arbeiten, wollen den Menschen gerecht werden. Wenn das nicht mehr möglich ist, kündigen sie, erzählt er. Die Vorstellung, die Fachkräfte kommen zurück in ihren Beruf, wenn sich die Bedingungen ändern, ist nicht realistisch. Björn Menna sagt: „Die Bedingungen verbessern sich erst, wenn wir mehr Personal haben“, sagt er. Und da helfe kein Klatschen, da helfe seiner Meinung nach nur eine bessere Bezahlung. Selbst als Leiter einer Einrichtung verdiente er nur rund 4000 Euro brutto. Zu wenig für ihn, seine Frau und drei Kinder. Seine Frau Sarah Menna ist Krankenpflegerin und arbeitet auch neu bei Aurelia. Dort kann sie flexibel arbeiten und hat noch genug Zeit für die Kinder. In der Pflege mit Schichtdiensten nicht selbstverständlich, weiß das Ehepaar. Flexibilität wird nur gefordert, nicht geboten.

Bei Aurelia hat man aufgrund der kleinen Gruppe noch einmal andere Möglichkeiten als in einer klassischen Einrichtung. Für Björn Menna ein Grund, warum er den Wechsel gewagt hat. Anders als in Krankenhäusern seien die Menschen in der Langzeitpflege meist bis zum Lebensende in den Einrichtungen und werden nicht wieder entlassen. Für ihn noch ein Aspekt mehr, den Menschen mit all seinen Bedarfen in den Mittelpunkt zu stellen – ohne dabei nur aufs Geld achten zu müssen. Bei Aurelia jage man niemanden um 6 Uhr morgens aus dem Bett, weil ein Zeitplan eingehalten werden muss, um wirtschaftlich zu sein, erzählt er. Im August wird es bei Aurelia voraussichtlich vier Auszubildende geben, sagt Björn Menna. Und sie sollen – wie jeder Mitarbeiter – wertgeschätzt werden. Oft nämlich werden neue Kollegen oder Schüler verheizt, weil sie auffangen sollen, wofür das Team lange zu wenig Zeit hatte. Aber die Spirale darf sich nicht weiter nach unten drehen.

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