Einzelhandel in Kierspe: Nicht alle Visionen sind umsetzbar

Das weiterhin gültige Einzelhandelskonzept der Stadt Kierspe stammt von 2009. Aber welche Empfehlungen und Maßnahmen daraus wurden bis heute überhaupt umgesetzt? Bürgermeister Olaf Stelse hat das auf Anfrage unserer Redaktion erläutert.
Kierspe – Die Bezeichnung als Einkaufsmeile Kierspes hat die Kölner Straße schon lange Jahre nicht mehr inne. Wie auch in Kierspe-Dorf hat sich dort der Lochfraß im Einzelhandel immer mehr ausgebreitet. Die Verödung der einst beliebten Einkaufsstraße und das Aussterben des inhabergeführten Facheinzelhandels in der Volmestadt waren schon vor mehr als 13 Jahren heißdiskutierte Themen bei Kommunalpolitik, der Verwaltung und den Bürgern. Um für das, was in der Zukunft kommen würde, vorbereitet zu sein, und dem wenn notwendig entgegenzuwirken, ließ die Stadt 2009 ein Einzelhandelskonzept erstellen.
Die auf solche Konzepte spezialisierte Kölner Agentur Cima Beratung und Management GmbH legte damals eine 75 Seiten lange Bestandsaufnahme vor, die über die Gesundheit Kierspes als Standort von Handel, Gewerbe und Dienstleitungen Zeugnis ablegte. Aber auch beinhaltete das Einzelhandelskonzept Empfehlungen , welche standortspezifischen Maßnahmen ergriffen werden könnten, um den damalig schon besorgniserregenden Leerstand von Ladenlokalen einzudämmen.
Keine Erfordernis einer Neuordnung von Versorgungsbereichen
Und auch, wenn vieles von dem, was da damals geschrieben wurde, längst nicht mehr der heutigen Realität entspricht, so sind die darin bereits aufgeführten Darstellungen wie auch die Problemstellungen weiterhin aktuell. Sogar offenbar so sehr, dass es seit 2009 kein neues Einzelhandelskonzept für Kierspe mehr gab. Warum nicht?
Bürgermeister Olaf Stelse begründet das auf Anfrage damit, dass „es seither keine Erfordernis, die zentralen Versorgungsbereiche neu zu ordnen“ mehr gegeben habe. „Inhalt eines Einzelhandelskonzeptes ist die Steuerung des Einzelhandels, insbesondere großflächige Einzelhandelsbetriebe, sollen in Bezug auf mögliche Standorte gesteuert werden. Hierzu werden unter anderem Sortimentslisten festgelegt und zentrale Versorgungsbereiche definiert“, sagt Stelse.
Die im Einzelhandelskonzept von 2009 festgelegten zentralen Versorgungsbereiche wären durch die Bezirksregierung Arnsberg mit der Folge akzeptiert worden, „dass großflächiger Einzelhandel in den dort definierten zentralen Versorgungsbereichen ohne einen Genehmigungsvorbehalt durch die Bezirksregierung erfolgen konnte“.
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Rollsteiganlage habe sich als überdimensioniert erwiesen
Das Einzelhandelskonzept empfahl eine städtebauliche Anbindung der Fachmarktagglomeration an den Kreuzungsbereich Kölner Straße / Friedrich-Ebert-Straße. Beispielhaft wurde dabei auch der Bau eines attraktiven Zugangsgebäudes an der Kölner Straße benannt.
„Das genannte attraktive Zugangsgebäude ist bereits als Portalgebäude errichtet worden und verfügt über einen Aufzug, sodass der empfohlenen Barrierefreiheit nachgekommen wird. Es handelt sich um den Besitz eines privater Investors, der eine Vollvermietung der angebotenen Flächen umgesetzt hat“, sagt Stelse dazu.
Aber ebenso war im Konzept eine Rollsteiganlage als Verknüpfung zur tiefer liegenden Hauptverkaufsebene thematisiert worden. Diese angedachte Anlage habe sich jedoch laut dem Verwaltungschef als überdimensioniert erwiesen, da die überwiegende Anzahl der Besucher des Fachmarktzentrums nicht fußläufig, sondern mit dem Auto dort unterwegs sei. Als an der Lebenswirklichkeit vorbeigehend habe sich zudem die im Einzelhandelskonzept benannte Optimierung des Fachmarktkonglomerats Wildenkuhlen erwiesen. Diese beinhaltete die Ansiedlung eines Elektrofachmarktes.
Kein Elektromarkt hatte Interesse an einem Standort in Kierspe
Bestrebungen, einen solchen Markt nach Kierspe zu holen, habe es laut dem Bürgermeister tatsächlich gegeben. „Der Eigentümer hatte die zur Verfügung stehenden Flächen namhaften Elektronik-Ketten angeboten. Leider haben diese Ketten aufgrund des zu geringen Einzugsbereiches abgesagt“, erklärt Olaf Stelse.
Kierspe fehlte einfach als Grundzentrum eine Zentralörtlichkeit. An solchen würden sich nämlich diese Art von Fachmärkten konzentrieren, weshalb Standorte in Oberzentren wie Lüdenscheid und Gummersbach für sie attraktiver als Ansiedlungsorte wären.
Als langfristige Entwicklungsoption wurde seitens der Agentur Cima die Verlagerung des Kiersper Rathauses in einen Neubau im Kreuzungsbereich Friedrich-Ebert-Straße / Springerweg mit Integration ergänzender Einzelhandels- und Dienstleistungsnutzungen vorgeschlagen. In den vergangenen Jahren wurde diese ebenso wie eine empfohlene Verlegung des Aldi-Marktes von Seite der Kommunalverwaltung als „langfristige Vision“ bezeichnet, eine mögliche Umsetzung in ferne Zukunft gerückt.
Die Fläche sei laut Olaf Stelse „grundsätzlich ebenfalls Teil des zentralen Versorgungsbereiches“. Auf Grundlage von erstellten Konzepten hätten auch direkte Verhandlungen mit den potenziellen Flächennutzern stattgefunden. Grundvoraussetzung für Umsetzung solcher Planungen seien jedoch naturgemäß die Flächenverfügbarkeiten und die damit einhergehende Verkaufs- oder Verpachtungsbereitschaft seitens der Eigentümer.
Keinen gemeinsamer Nenner für Stadtentwicklung gefunden
„In der Vergangenheit konnte hier kein Konsens gefunden werden, sodass die angedachten und für die Stadtentwicklung sicherlich förderlichen Planungen bis auf Weiteres Visionen bleiben. Inwieweit sich hier künftig Änderungen ergeben, bleibt abzuwarten“, sagt Kierspes Erster Bürger.
Zu den Empfehlungen von damals, die ebenso Visionen geblieben sind, gehörte weiterhin eine Profilierung des Standortbereichs durch Schaffung von zusätzlicher Aufenthaltsqualität, beispielsweise durch Möblierung oder eine Begrünung.
„Im Bereich des Fachmarkzentrums sind partiell Sitzgelegenheiten vorhanden. Weiterer Bedarf für Räume zum längeren Verweilen wird von Seiten des privaten Eigentümers bislang nicht gesehen“, erklärt Olaf Stelse. Da es sich hier um private Flächen handele, seien die Handlungsmöglichkeiten seitens der Stadt leider äußerst begrenzt.
Zu den Instrumenten, die der Kommune durchaus zur Verfügung stehen, gehört hingegen auch die Möglichkeit des Standortmarketings. Empfohlen wurde dies insbesondere für den Standortbereich Kierspe Mitte. Der sollte nach Auffassung der Einzelhandelskonzeptersteller als attraktiver Einkaufs- und Aufenthaltsort beworben werden.
Viele der Fachmarktkunden kämen aus anderen Städten nach Kierspe
Das dort ansässige Fachmarktzentrum verfüge aber nach Ansicht des Bürgermeisters über eine sehr hohe Frequenz mit einem großen Anteil nicht in Kierspe wohnender Kunden. Deshalb würde die Bewerbung im Wesentlichen direkt über die dort ansässigen Märkte oder deren den Eigentümer selbst abgedeckt. Das weiterhin als aktuell angesehene Einzelhandelskonzept empfahl die Begrenzung der Verkaufsflächenentwicklung, da es zum Zeitpunkt der Erhebungen einen Überhang an Verkaufsflächen gab. Sind seit 2009 tatsächlich keine neuen Verkaufsflächen in Kierspe entstanden?
Olaf Stelse erklärt, dass diese Verkaufsflächenbegrenzung nicht generell, sondern nur für spezielle Produktgruppen Gültigkeit habe. Eine Erweiterung der Verkaufsflächen über den Bedarf hinausgehend, habe seitdem nicht mehr stattgefunden. Zusätzliche Angebote beziehungsweise die Erweiterung von Verkaufsflächen innerhalb der zulässigen Produktgruppen seien in der jüngsten Vergangenheit hingegen sehr wohl entstanden. Für den Bereich des Fachmarktzentrums am Wildenkuhlen benennt der Bürgermeister beispielsweise weitere Verkaufsflächen für einen Drogeriemarkt wie auch für einen Zoohandel. Aber wie schaut es aus beim Erhalt des Nahversorgungsniveaus in Kierspe-Dorf und Rönsahl? Das sei laut Olaf Stelse sichergestellt. In Kierspe-Dorf hatte ein Netto-Markt die Nachfolge eines bestehenden Marktes angetreten,
Ebenso hatte sich in den vergangenen Jahren mit der Bäckerei Gießelmann ein Nachfolger für die Backstube in Kierspe-Dorf gefunden. In Rönsahl wurde mit der „Stimmungskiste“ ein Nachfolger für den kleinen Lebensmittelmarkt an der Hauptstraße gefunden. Thema Gewerbegebiet Meienborn: Ein Verfahren zur Änderung des Bebauungsplanes ist angestoßen worden, um dort die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Ansiedlung eines Lebensmitteldiscounters mit einer Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern zu schaffen. „Dieser Markt soll nach Möglichkeit bereits 2023 eröffnen und die Versorgung des Ortsteils dauerhaft sicherstellen“, erklärt Stelse.