Zwei Fruchtzwerge für ein rheinisches „U“

HALVER ▪ „Also landschaftlich ist das ganz schön bei Ihnen – ob man allerdings unbedingt da leben möchte, weiß ich nicht.“ Kein Zweifel, Konrad Beikircher meinte es ernst mit seinem rheinischen Missionswerk, dem „10. Teil der Rheinischen Trilogie“ über rheinische Mundart, rheinische Mentalität und den „normalen Glauben“. Wo man für alles seinen Heiligen hat.
Autoschlüssel verloren? Kein Problem, in die Kirche fahren, eine Kerze für den Heiligen Antonius angezündet und schwupp, sind die Autoschlüssel wieder da: „In der Zeit hat der Protestant gerade mal die Nummer vom Fundamt rausgesucht.“ Konrad Beikircher kennt keine Aufwärmphase, keine langen Einleitungen. „Wo Sie grad sagen Winterreifen“, nach dieser typischen rheinischen Gesprächseröffnung war man schon mitten drin: In einer Geschichte über Schweinheim oder „Sick Alm“, Schweine, „mit den High Heels dauert das schon ein paar Tage“, die jedes Jahr zehn Kilometer durch den Bonner Kottenforst getrieben werden, holländischen Kaffee, und den Ursprung des Kopfkissens, der, wie könnte es bei Beikircher anders sein, bis in die französische „Revelletion“ zurückreicht.
Neben diesen kulturwissenschaftlich-philosophischen Betrachtungen gab es jede Menge Einführung in Sachen rheinischer Dialekt. Von der rheinischen Verlaufsform „war ich hinterher am schreiben gewesen“ bis zum Zusammenhang von Aussprache und Kalorienverbrauch. Beim „U“ in Revolution muss man das Gesicht unelegant nach vorne schieben, das macht pro „U“ einen Kalorienverbrauch von 78 Kilokalorien, „das sind jedes Mal zwei Fruchtzwerge.“ Und Falten. „Ich hab’ mal eine Hannoveraner Deutschlehrerin gesehen – Falten hatte die...“ Wie das französische Wort „Bredouille“ Eingang in die rheinische Mundart fand, ist ein veritabler Beikircher Klassiker. Von fallenden Aristokratenköpfen in der französischen Revolution, die erst in die Bredouille fielen, „es gab ja da noch keine Kanalisation“, dann ins Weidenkörbchen, „sahen wie getackert aus“, bis man das Kopfkissen erfand. Dem rheinischen Landschaftsverband aber gefiel das Wort „Bredouille“, das zu tanzen schien. Man kaufte es kurzerhand von den Franzosen und passte es dem rheinischen Artikulationsapparat an: „Da sagt das Zäpfchen, was kommen denn da für Buchstaben?“ Beim Labial „B“ und beim dentalen „R“ sind immer die Zähne dazwischen, die wie ein Fallbeil die Zunge bedrohen, deshalb wurde im Rheinland „die Bedrullje“ daraus – mit gefühlten fünf „l“ wie in Köln Poll. Dass der Rheinländer nur äußerst selten den Indikativ, dafür aber umso häufiger die Möglichkeitsform verwendet, „der Wagen wär dann so weit fertig“, erklärte Beikircher fast schon philosophisch: „Was ist denn schon fertig? Ist der Kölner Dom etwa fertig?“ Der Rheinländer weiß, dass das Leben immer im Fluss ist. Und wer mit einem intakten Auto plus Winterreifen die Werkstatt verlässt, kann schon an der nächsten Ecke den Auspuff verlieren: „Ist das etwa fertig?“ Getreu diesem Motto gestaltete Beikircher auch sein exzellentes Programm, das immer im Fluss war und die Zuhörer in der Aula des Anne Frank Gymnasiums von der ersten bis zur letzten Minute zu begeistern wusste. ▪ kvh