Interview: Wie die Stadt Halver mit einem Ökoprojekt punkten will

Die Stadt Halver will gemeinsam mit dem Verein Heesfelder Mühle und externer Beratung insgesamt mehr als 50 Hektar Fläche zwischen Karlshöhe und Winkhof bis ins Hälvertal hinein ökologisch entwickeln.
Halver - Wie der Sachstand bei dem Vorhaben auf dem Gelände ist, das die Stadt von der Erbengemeinschaft Wippermann im Juni 2022 übernommen hat, will AA-Redakteur Florian Hesse im Gespräch mit Kämmerer Simon Thienel, verantwortlich auch für die Bauleitplanung in Halver, wissen.
Herr Thienel, wie teuer wird das Projekt „Von der Quelle bis zur Mühle“ eigentlich?
Die Stadt Halver investiert hier mittelfristig, das heißt über die kommenden vier Jahre, insgesamt voraussichtlich rund eine Million Euro. Genau kann man das noch nicht sagen. Ein solches Vorhaben ist bisher einmalig in Halver und auch im weiteren Umkreis. Die ökologische Aufwertung kostet auch Geld für Pflege, wenn es nachhaltig sein soll.
Die Kosten für den Kauf der Flächen sind dabei nicht enthalten?
Über den Kaufpreis wurde mit den Eigentümern Stillschweigen vereinbart. Das ist normal bei solchen Geschäften. Aber der Preis für das Gesamtpaket war fair, die Verhandlungen wurden auf Augenhöhe geführt. Eine Rolle bei diesem Übergang hat auch gespielt, dass die Familie wusste, was wir mit den Flächen planen. Das gilt für den Bereich der Ponywiese und des hinteren Teils des Wippermann-Quartiers, aber eben auch für das ökologische Projekt.
Gab es zum Vorhaben denn auch einen politischen Konsens?
Ja. Sowohl für den Erwerb der Flächen wie auch für das Projekt. Das ist auch in den ansonsten schwierigen Haushaltsberatungen nicht ein einziges Mal in die Kritik und in die politische Diskussion geraten.
Trotzdem ist eine Million Euro viel Geld. Was bekommt Halver dafür als Gegenwert?
Eine ganze Menge. Ich fange mal mit dem ökologischen Mehrwert an: Wir reden bei den Flächen ja nicht allein von der Erhaltung von der Natur, sondern auch von der Gesundung. Das Ganze soll münden in einem großen, zusammenhängenden Naturschutzgebiet. Das stimmen wir fortlaufend mit der Unteren Landschaftsbehörde und Unteren Wasserbehörde beim Märkischen Kreis und dem Regionalforstamt ab. Das sind die Fachleute für so etwas. Es geht ja auch um Bäche, um Tümpel und Teiche, um Wiedervernässung und Versickerungsflächen.
Wer macht das konkret?
Wir haben das Fachbüro „biopace“ aus Münster mit Ingo Bünning an der Seite. Studierende der Fachhochschule Münster sind beteiligt mit Prof. Tillmann Buttschardt vom Institut der Landschaftsökologie. Zunächst einmal, das ist eigentlich Stand der Dinge, ermitteln wir: Was ist schon da, wie ist das Vorhandene ökologisch zu bewerten, wo wollen und können wir damit hin?
Ich komme aber trotzdem noch mal zu den Kosten: Wer hat denn etwas davon?
Ganz einfach: die gesamte Stadt Halver. Ich stelle mal eine Gegenfrage, wenn’s recht ist. Wissen Sie, was ein Öko-Punkt ist?
Was ist also ein Öko-Punkt?
Es ist eine Art Währung. Zurzeit ist ein Öko-Punkt im Märkischen Kreis etwa 2 bis 4 Euro wert. Greift die Stadt in die Landschaft ein, muss sie einen Ausgleich schaffen. Einen solchen Eingriff machen wir aber gerade – übrigens auch mit möglichst großer Berücksichtigung ökologischer Belange – mit dem Gewerbegebiet in Leifersberge. Den Wald, der da vom Borkenkäfer zerfressen wurde, müssen wir ohnehin mindestens eins zu eins ersetzen. Aber was dort an Flächen überplant wird, müssen wir in drei- bis fünffacher Größe kompensieren...
...das heißt, ohne Ökoprojekte kein Gewerbegebiet?
Genau so ist das. Wir brauchten die Wippermann-Flächen für Leifersberge. Mit der Aufwertung der Bereiche wächst das städtische Konto an Öko-Punkten. Und das ist tatsächlich Geld wert. Im Haushalt ist das bilanziert. Ein Beispiel: Wenn verschlammte und vermüllte Tümpel aufgewertet, wenn aus vernachlässigten Flächen Streuobstwiesen werden oder ein hochwertiger Hochzeitswald am Winkhof gepflanzt wird, bringt das Punkte. Die könnten tatsächlich auch gehandelt werden, wenn anderswo Kommunen ihren Ausgleich nicht nachweisen können.
Wenn jetzt Unternehmen nach Leifersberge wollen, werden sie dann über den Kaufpreis an den Öko-Kosten beteiligt?
Jein. Sie investieren in ein ökologisch gestaltetes Gewerbegebiet, die Ökopunkte-Maßnahmen wiederum erzeugen Erträge durch den geschaffenen Mehrwert. Zusätzlich zahlen die Unternehmen Grund- und Gewerbesteuer in den Gesamthaushalt der Stadt Halver.
Was wird in diesem Jahr schon vom Vorhaben zu sehen sein?
Wir werden sicherlich erste Maßnahmen realisieren, aber das alles sorgfältig und in Abstimmung mit den Experten und Behörden. Ich könnte mir vorstellen, dass wir mit dem Hochzeitswald anfangen, vielleicht im Bereich Hälversprung mit Totholz arbeiten. Aber es sind noch zahllose Vorarbeiten nötig. Man kann ja auch fragen: Welche Waldwege brauchen wir wirklich? Brauchen wir sie nicht, könnten auch diese als Flächen eine Rolle bei der Aufwertung spielen.
Was passiert mittelfristig?
Das ist noch schwerer zu sagen. Dafür ist es einfach zu früh. Manchmal gibt es konkurrierende Ziele, die es abzuwägen gilt. Wir wollen Artenvielfalt schaffen, zum Beispiel auch „guten Bäumen“ Luft zum Atmen geben. Wenn eine aussichtsreiche Buche von kranken Fichten erdrückt wird, wird man sie vielleicht freischneiden müssen. Da bin ich auch ganz ehrlich: Das wird Jahre dauern, bis man als Nichtfachmann wirklich etwas erkennen kann. Das wird auch dauerhaft mit Kontrolle und Pflegemaßnahmen zu tun haben. Aber das ist die Sache wert. Wir dokumentieren jeden Schritt, auch mit Drohnenflügen.
Könnte bei der Größe des Bereichs auch Flächen-Photovoltaik eine Rolle spielen?
Nein! Wir haben zunächst einmal genug Dächer, auf denen das geht. Und dafür ist der Boden zu wertvoll. Wir haben hier regelmäßig Anfragen von Investoren im Rathaus, die das nachfragen. Aber es gibt hier eine funktionierende Landwirtschaft, und es gibt ökologische Interessen. Zurzeit prüfen wir, wo in Halver sich solche Standorte anbieten könnten, das machen wir bereits. Aber von einem Wildwuchs hat niemand etwas. Das sollten wir schon geordnet angehen. Und eines dürfen Sie nicht vergessen: Stellt die Stadt Halver beispielsweise 25 000 Quadratmeter Fläche für Flächen-PV zur Verfügung, kostet das 100 000 Ökopunkte für den Eingriff in Natur und Landschaft.
Müssen sich Halvers Landwirte vor dem Öko-Projekt sorgen?
Nein. Die regionale Landwirtschaft hat ihren ganz eigenen Stellenwert. Das habe ich bei einem Treffen mit Vertretern unserer Landwirtschaft erst vor Kurzem auch deutlich gemacht. Wir sind an manchen Stellen vielleicht Nachbarn. Aber wir kommen uns nicht ins Gehege, sondern ins Gespräch. Das gilt übrigens auch für städtische Flächen, die an Landwirte verpachtet sind. Ich werde keine landwirtschaftlichen Flächen opfern – übrigens auch aus Respekt vor dem Berufsstand. Die machen Sieben-Tage-Woche, tragen enorme wirtschaftliche Risiken, schreiben ihre Maschinen und Investitionen über Jahrzehnte ab. Da grätschen wir doch nicht dazwischen.