Abi-Chaos: „Warum gab es keinen Testlauf?“

Fast ein Jahr lang hatten sie sich auf diesen Termin vorbereiten können. Ein Jahr lang stand der 19. April rot markiert in den Büchern der angehenden Abiturienten, die einen Leistungskurs in einem naturwissenschaftlichen Fach belegen. Doch ohne Aufgaben keine Abi-Klausur.
Halver – Was bereits am Dienstagabend durch die Medien geisterte, war am Abend auch für die Abiturienten in Halver und Kierspe Gewissheit: Die Schulleitungen mussten die Prüfungen absagen. Wie viele ihrer Kollegen sind auch Paul Meurer vom Anne-Frank-Gymnasium in Halver und Johannes Heintges von der Gesamtschule im benachbarten Kierspe angesichts dieses Abi-Chaos entsetzt.
Auch sie hatten am Dienstag keine Chance, die unter anderem für die Fächer Biologie und Chemie geforderten Abi-Aufgaben herunterzuladen. Nachdem die Schulleitungen immer wieder vertröstet wurden und um 19.30 Uhr auch der letzte Versuch des Schulministeriums scheiterte, die Aufgaben zur Verfügung zu stellen, kam um 20.30 Uhr die endgültige Absage der für den Folgetag geplanten Klausuren. Für Paul Meurer ein letztlich notwendiger Vorgang, der aber auch bei ihm viele Fragen aufwirft.
So wird bereits die Einführung einer sogenannten Zwei-Faktor-Authentifizierung als mögliche Ursache für den Fehler gesehen, aber auch die Größe eines Filmes, der den Server zum Absturz gebracht haben könnte. Für Meurer, der auch als Referent für Schulleitungsfragen des Philologenverbandes NRW spricht, ein Unding: „Wenn man ein System umstellt, bin ich doch sehr traurig darüber, dass man nicht vor den Osterferien einen Testlauf durchgeführt hat.“
Meurer vermisst Testlauf
Da man eine ungewöhnlich lange Phase zwischen Weihnachtsferien und Abiturprüfungen gehabt habe, sei dafür ausreichend Zeit gewesen. „Wer hat entschieden, dass solch ein Test nicht stattfinden soll?“, fragt der AFG-Schulleiter, der vor allem das zuständige Landesinstitut Qua-Lis in der Pflicht sieht, die Verantwortung für den Ausfall zu übernehmen. „Wir haben jetzt seit 2009 das Zentral-Abitur und nie gab es solche Probleme. Ich frage mich: Warum hat man ein funktionierendes System überhaupt geändert?“ Für ihn gelte der Grundsatz: „Never touch a running system“ – auf Deutsch: Verändere niemals ein laufendes System.

Ein weiteres Ärgernis für Paul Meurer: die mangelnde Transparenz des neuen Systems für Lehrer und Schulleitungen. „Ich hätte mir gewünscht, dass Lehrer mit eingebunden werden, wenn man Änderungen plant.“ Das sei jedoch nicht geschehen und bezeichnet der AFG-Schulleiter als „fatal“.
Genauso kritisch sieht er aber auf den ersten Blick pragmatische Lösungen, die einige Schulleitungen in NRW bereits für Dienstag in Vorbereitung hatten. Da war etwa geplant, sich die Abitur-Prüfungsaufgaben zukommen zu lassen, falls eine Schule diese doch noch hätte herunterladen können. „Das mag gut gemeint sein, aber hätte alles nur schlimmer gemacht“, ist Paul Meurer überzeugt. Dieser selbst erstellte „Plan B“ entspreche nicht den Sicherheitsstandards und hätte vom Ministerium zuvor freigegeben werden müssen. In der unmittelbaren Nachbarschaft standen nach Informationen unserer Zeitung etwa das Evangelische Gymnasium in Meinerzhagen und die Gesamtschule in Kierspe in engem Austausch, um im Fall der Fälle handlungsfähig zu sein.
AFG-Schulleiter begrüßt Freitag als Nachholtermin
Anders als Johannes Heintges, Schulleiter der Kiersper Gesamtschule, der den Nachholtermin vor allem wegen des Zuckerfestes als hoher muslimischer Feiertag als problematisch sieht, hat Paul Meurer mit dem Freitag als neuen Prüfungstag keine Schwierigkeiten. Und auch der angekündigte Streik im öffentlichen Personennahverkehr dürfe keine Rolle spielen. „Ich finde diesen Termin sogar sehr gut gewählt, da etwa ein Ausweichen auf den Nachschreibetermin unabsehbare Folgen gehabt hätte“, sagt der Halveraner Schulleiter. Schließlich sei Corona immer noch nicht vorbei, kurzfristige Ausfälle aus Krankheitsgründen nicht ausgeschlossen. „Wenn wir dann also am schon recht späten Nachschreibetermin Ausfälle haben, würde es eng werden.“
Immerhin deutete sich am Mittwoch auch technisch Entspannung an: Die Aufgaben für die an diesem Donnerstag anstehenden Prüfungen in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern wie Erdkunde oder Sowi konnten problemlos heruntergeladen werden, wie es schon um kurz nach 12 Uhr aus den Schulen hieß.