Dafür sind viele dankbar. Aber Klatschen reicht nicht, wurde oft gesagt.
Ja, ein ehrliches Danke ist sicherlich immer eine nette Geste und tut kurzfristig sehr gut. Es reicht aber langfristig nicht. Die Pflege braucht jede einzelne Stimme da draußen, die laut wird und sagt, dass es so nicht weiter gehen kann. Leute, die Krawall machen, dafür auf die Straße gehen oder Social Media nutzen. Denn „die Pflege“ kann nicht auf die Straße gehen, ohne Menschenleben zu riskieren, ohne diejenigen zu bestrafen, die gerade am meisten auf sie angewiesen sind.
Würden Sie auch sagen, dass gute Pflege nicht selbstverständlich ist?
Absolut. Gute Pflege ist nicht selbstverständlich. Dafür braucht man Menschen mit einem enormen Verantwortungsbewusstsein und der Fähigkeit, solche auch zu übernehmen.
Welche positiven Erlebnisse gibt es in der ambulanten Pflege?
Das sind so viele Kleinigkeiten. In erster Linie natürlich, dass wir den Menschen ermöglichen, weiterhin zu Hause bleiben zu können. Das ist den meisten am wichtigsten. Ganz oft sind es auch die einfachen Begegnungen, der Small Talk. Denn leider sind wir oft der einzige Kontakt. Oder auch gerade die hauswirtschaftliche Unterstützung, die mit zunehmendem Alter oft sehr schwerfällt. Die gemeinsame Fahrt zum Friedhof, um ein Grab wieder schön zu bepflanzen, oder der gemeinsame Einkauf. Es ist auch schön, zu erleben, wenn die pflegenden Angehörigen entlastet sind und durchatmen können.
Wie wichtig ist Teamarbeit?
Ohne ein gutes Team geht gar nichts. Da müssen Arbeitsprozesse ineinander greifen. Hierzu benötigt es eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der Lob und Kritik gleichermaßen erlaubt und sogar gewünscht sind. Ein Team muss sich gegenseitig unterstützen und insbesondere aufeinander achtgeben.
Wie kann man die Pflegekräfte stärken?
Aus meiner Sicht insbesondere durch Wertschätzung. Man muss die Pflegekraft als Individuum mit eigenen Bedürfnissen wahrnehmen und respektieren und Unterschiede tolerieren. Pflegekräfte sind mein wichtigstes Gut und so behandle ich sie auch. Aber eine pauschale Antwort gibt es nicht, das ist bei jedem anders.
Wie wichtig ist ambulante Pflege?
Sie trägt erheblich dazu bei, dass Menschen so lange wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung bleiben können und die pflegenden Angehörigen entlastet und unterstützt werden. Nicht zuletzt werden dadurch auch die Krankenhäuser und stationären Einrichtungen entlastet.
Pflege ist umfangreich. Man denkt oft an ältere Personen, Bettlägerigkeit oder schwere Krankheiten. Um welche Patienten kümmert sich Ihr Team?
„Patienten“ möchte ich durch „Kunden“ ersetzen. Mir ist dabei wichtig, zu betonen, dass Kunden selbstbestimmt den Umfang ihrer Unterstützung wählen können. Patient hat für mich immer etwas Passives. Daneben versorgen wir auch Schwangere, denen aufgrund von Komplikationen eine Haushaltshilfe zusteht, oder Personen, die befristet aufgrund einer Operation Hilfe bei der Grundpflege brauchen oder die Wunden versorgt bekommen. Auch durch psychische Erkrankungen eingeschränkte Personen unterstützen wir im alltäglichen Leben, oder entlasten die Eltern eines behinderten Kindes. Und zu guter Letzt kümmern wir uns vor allem um soziale Kontakte – zum Beispiel durch unseren Seniorentreff. Austausch und ein Miteinander haben großen Einfluss auf das Wohlbefinden.
Ist der Job nicht auch eine Belastung für die eigene Psyche?
Ja, der Job ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch eine enorme psychische Belastung. Insbesondere wenn klar wird, dass ein Mensch mehr Versorgung braucht, als wir leisten dürfen. Zum Beispiel, weil Angehörige die Pflege deckeln, da sonst nichts mehr vom Pflegegeld übrig bleibt. Oder auch, wenn Angehörige sich überhaupt nicht kümmern oder vergessen, dass die pflegebedürftige Person weiterhin ein Mensch mit eigenen Bedürfnissen ist und ein Recht auf Selbstbestimmung hat. Und dann nehmen einen natürlich auch oft die schweren Erkrankungen und Leidenswege mancher Menschen besonders mit.
Was muss man für den Job also mitbringen?
Neben einer Handvoll Idealismus vor allem Empathie, Verantwortungsbewusstsein, Geduld und eine lebenslange Bereitschaft, stetig dazu zu lernen, sowie die Fähigkeit, im Team zu arbeiten.
Wie groß ist der Bedarf an Fachkräften?
Im gesamten Pflegebereich sehr groß. Es kommen leider kaum junge Menschen nach. Das merken wir auch an fehlenden Bewerbungen für Ausbildungsplätze. Und wenn, dann brechen viele meist nach kurzer Zeit ab.
Woran liegt es, dass wir einen Mangel haben?
Die bekannten klassischen Arbeitsbedingungen, wie Drei-Schicht-System, Wochenend- und Feiertagsarbeit, Teildienste und der schon lange bestehende Personalmangel sowie der hohe Krankenstand. Die Ausbildung zur Pflegefachkraft ist auch kein Spaziergang. Und es kommt noch die mangelnde Anerkennung des Berufes hinzu. Leider halten sich auch viele Vorurteile über den Pflegeberuf sehr hartnäckig in den Köpfen vieler Menschen. Und insgesamt gibt es leider viel zu wenig Personen, die auch mal die Dinge in den Fokus rücken, die in der Pflege schön sind und gut laufen. Es fehlt an Positiv-Beispielen.
Welche Forderungen haben Sie?
Dass die Politik aufhört zu quatschen, sondern endlich handelt. Und das nicht nur vor den Wahlen, sondern permanent. Dass die Gesellschaft aufsteht, um für die Pflege laut zu werden. Denn es wird nahezu jeden Einzelnen früher oder später betreffen und letztlich betroffen machen.