Freitags ist Ausgabetag bei der Tafel an der Mühlenstraße in Halver. Der Bürgersteig ist voller Menschen, die sich mit geringen Einkommen, als Empfänger von Arbeitslosengeld II, von Grundsicherung, schmalen Renten oder aus anderen Gründen nicht selbst ausreichend mit Lebensmitteln versorgen können. Ihre Zahl hat sich seit Jahresbeginn – das ist das Kernproblem – in etwa verdreifacht. Statt 250 bis 300 Menschen seien es in beiden Kommunen zusammen rund 600 bis 700, so die Zahl von vergangener Woche. Bundesweit geht der Dachverband der Tafeln von einer Verdoppelung der Zahlen aus, bundesweit von 2 Millionen Bedürftigen.
Mit der enormen Teuerung in den Geschäften können die Betroffenen nicht mithalten. Einfaches Beispiel, das Sabine Kapfer aus dem Tafel-Team anführt: Die Flasche Ketchup, die es früher für 79 Cent gab, stehe jetzt für 1,99 Euro im Regal. Und das sei nur eines von zahllosen Beispielen, wie die Teuerung sich beim Einkauf niederschlägt. Im Ergebnis führt das zu einer Wechselwirkung, dass nämlich auch die vielen Geschäfte in der Region bewusster einkaufen, also weniger übrig bleibt.
Manche Produkte sind zeitweise im Lager der Tafel nicht vorhanden. Stand Freitag: Es gibt aktuell kein Duschgel, aber gerade Süßigkeiten, Servietten und Insektenvernichter. Was sich in den Kunststoffboxen der verschiedenen Kategorien Trockenware, Dosen, Hygieneartikel, Gemüse und Süßwaren findet, hängt ab von dem, was das Helferteam in den Unterstützer-Märkten bekommen kann.
Die reguläre Ausgabe beginnt in Halver um 13.30 Uhr. Normalerweise jedenfalls. Die Uhrzeit schaffen Fahrer und Beifahrer und Helfer nicht mehr, weil die Touren in Halver, Schalksmühle, insbesondere aber in die Region viel länger dauern als zuvor. Die Fahrzeuge der Tafel stehen im Stau wie alle anderen Pkw auch.
„Mit dem Verkehr dauern die Touren doppelt so lange wie sonst“, sagt Astrid Lehmann. Vier bis fünf Stunden seien der Normalfall, und am Lager muss noch sortiert, gepackt und aussortiert werden. „Wir brauchen noch Fahrer und Beifahrer“, stellt sie mit Blick auf die Personallage der Tafel fest.
Die Schere für die Tafel und für ihre Kunden, die selbst 3 Euro pro Box oder Tüte zahlen, geht aber noch an anderer Stelle zu. Die Preise für Energie sind immens gestiegen, die weitere Entwicklung ist kaum kalkulierbar. Inzwischen gibt die Tafel monatlich rund 1000 Euro für Diesel aus, doppelt so viel wie früher. Vier Fahrzeuge rollen für die Tafel an fünf Tagen der Woche.
Dass die Beiträge der Kunden diese Ausgabe halbwegs kompensiert wie früher, funktioniert längst nicht mehr. Wo die Stromkosten bei der nächsten Abschlagsrechnung liegen werden, weiß Astrid Lehmann noch nicht. Aber das Kühlhaus, das die Kühlkette hält und damit bei 0 Grad laufen muss, ist unverzichtbar. Monatlich rund 450 Euro stehen dafür auf der Ausgabenliste für die Anlage in Schalksmühle.
Am Ende des Jahres, angesichts der Preisentwicklung kein dauerhaft sicherer Wert, stehen für die ehrenamtliche Organisation Gesamtkosten von rund 60 000 Euro an, die aufgebracht werden müssen, um den Betrieb zu halten.
Die wesentliche Einnahmequelle für die Tafel sind Spenden aus der Bürgerschaft. Doch auch an dieser Stelle gibt es eine Entwicklung, die in den vergangenen beiden Jahren die Luft für die Tafel dünner gemacht hat. Die Spendenbereitschaft für gute Zwecke wendet sich häufig einem aktuellen Thema zu. Im Jahr 2021 war das verständlicherweise die Flutkatstrophe im Ahrtal, aber auch in den Tälern von Lenne und Volme.
Nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine wandten sich potenzielle Spender geflüchteten Menschen aus der Ukraine zu beziehungsweise der Direkthilfe im Kriegsgebiet. Das sei verständlich, ist Astrid Lehmann völlig klar, doch für die Tafel eben ein Problem. Denn unverändert finanziere sich der Betrieb eben aus Spendemitteln. Eine institutionelle Förderung, dass heißt, eine verlässliche staatliche Unterstützung, gibt es nicht.
Man sei dankbar für die Zuwendung der Sparkasse, die in der Vergangenheit verlässlich geflossen sei, doch eine abgesicherte finanzielle Basis hat die Tafel der Volmekommunen damit nicht. „Wir sind eigentlich ein kleines Unternehmen ohne eigene Einkünfte“, sagt Astrid Lehmann im Gespräch mit unserer Redaktion. „Ein sorgenfreies Jahr 2023“ wünscht sie sich für die Tafel zu Weihnachten. Aber sie weiß auch, dass das wohl nicht klappen wird.
Spenden an die Tafel sind steuerlich abzugsfähig.
Wer die Tafel unterstützen möchte: Ansprechpartner für die Halveraner Tafel ist Astrid Lehmann, Tel. 0 23 55/50 85 63 und 01 72/6 13 75 16.
Spendenkonto:
Sparkasse Lüdenscheid
IBAN DE04 4585 0005 0000 1856 78