Glück im Unglück: Kyrill und die Zeit danach

Halver - „Im Sturm gibt es keine Gewinner.“ Das ist die Bilanz von Ulrich Ackfeld, als Revierförster in Halver zuständig für fast 2500 Hektar privaten und kommunalen Waldbesitz. Der Allgemeine Anzeiger sprach mit ihm über die Auswirkungen des Jahrhundertsturms auf den Wald und auf die Forstwirtschaft rund um Halver. Und so groß wie die Katastrophe war: Im Rückblick spricht Ackfeld vom Glück, das man immerhin hinterher bei der Beseitigung des Schadens hatte.
Keine Gewinner gibt es einfach deshalb, weil am Ende weder Waldbesitzer noch Sägewerke profitieren, wenn wie in Halver über Nacht das Fünffache des jährlichen Holzeinschlags am Boden liegt. Denn das Holz, dass nachhaltig erzeugt dem Markt kontinuierlich zugeführt werden sollte und jetzt geballt auf den Markt drängt, fehlte dort in den nächsten Jahren. In Zahlen: Allein in Halver waren 63 000 Festmeter Holz gefallen. Durchschnittlich 12 000 Festmeter sind sonst der reguläre Jahreseinschlag.
Was heißt denn Glück?
Von Glück kann man durch günstige Umstände sprechen, was Aufarbeitung und Vermarktung angeht. Noch wichtiger aber ist beim Blick zurück: Niemand ist in Halver gestorben, nicht einmal verletzt worden. Das ist ungewöhnlich. Denn das „Abstocken“, das Abschneiden von liegendem Stammholz, das oft unter unglaublicher Spannung steht, ist die gefährlichste Tätigkeit im Wald überhaupt. Der Druck an der Schnittstelle entlädt sich explosionsartig. In welche Richtung, lässt sich nicht immer vorhersagen.
Der Grund für den hohen Schaden

Aber was hatte zu den riesigen Schäden geführt? Ein Hauptgrund waren natürlich die enormen Windgeschwindigkeiten, doch die hatten auch andere Stürme wie Lothar (1999) oder Wiebke (1990) mit sich gebracht. Ausschlaggebend war der nach anhaltenden Regenfällen durchweichte Boden, der den flach wurzelnden Fichtenbeständen kaum mehr Halt bieten konnte. Zu 98 Prozent war es diese Baumart, die dem Sturm zum Opfer fiel. Über die windstabilen Randfichten rollte der Wind zunächst über die Wipfel hinweg und danach die Bestände durch Verwirbelungen und Unterdruck auf. Das erklärt auch, dass Kyrill im Wesentlichen die großen Bäume zum Kippen brachte, quasi eine gewalttätige Naturverjüngung in Gang setzte. Aus forstwirtschaftlicher Sicht hatte die Entwurzelung eine durchaus positive Komponente. Die Windkraft hätte durchaus gereicht, die Stämme auch zu brechen, schätzt Ackfeld. Dass sie am Stück fielen, habe letztlich die Verwertbarkeit erleichtert.
„Wir haben ein Absatzproblem“
Doch was macht man mit dem Holz? „Wir wussten schon am Freitag: ,Wir haben ein Absatzproblem‘“, sagt Ackfeld. Baum an Baum aneinandergelegt, hätte sich mit den Stämmen allein aus Halver eine Strecke von 1500 Kilometern legen lassen, von Halver bis Rom, hat er einmal ausgerechnet. Eine Schlüsselrolle bei der Lösung des Dilemmas fällt dabei Stora Enso zu. Der schwedisch-finnische Konzern ist einer der größten Papier- und Verpackungshersteller der Welt und betreibt eine Niederlassung in Hagen-Kabel. Noch am Tag nach dem Sturm gab es den ersten Kontakt zum Einkauf, nicht einmal eine Woche später stand der Kontrakt mit einem fairen Preis, gleichbleibend vom ersten bis zum letzten Festmeter.
Stora Enso kauft fast alles
Am Ende nahm Stora Enso mehr als 90 Prozent vom Sturmholz aus Halver ab. Zusammen mit weiteren Flächen in der Umgebung gingen mehr als 200 000 Festmeter an das Unternehmen, das Teile in die Papiererzeugung und hochwertiges Holz in eigene Sägewerke übernahm. Doch sogar in Containern nach Korea wurde Holz aus Halver verschifft. Ackfeld erinnert sich an Containerzüge auf Sommerreifen auf schneeglatter Straße, die im Bereich Schmidtsiepen vollgeladen wurden. Auch die Konjunktur spielte – noch – mit. Die Immobilienblase in den USA war noch nicht geplatzt. Auch dorthin und nach England gingen fertige Holzprodukte ins Baugewerbe.
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Stora Enso war der rettende Anker, überlegt Ackfeld im Rückblick. Die großen Sägewerke in der heimischen Region seien überwiegend in der Lenneschiene angesiedelt. Und die Schäden im Nordkreis und Richtung Hochsauerland seien noch weitaus höher gewesen – bis zum zehn- und vereinzelt zwanzigfachen des Jahreseinschlags. Jeder Lkw mit Holz aus Halver wäre auf der Strecke an hunderttausenden Festmetern Holz vorbeigerollt. Dafür konnte Halver nun direkt liefern. Auf dem brachliegenden Brügger Bahngelände entstand ein Nasslager, von dem das Holz per Schiene abtransportiert werden konnte. In der Nähe der Kerspetalsperre und des Hengsteystausees wurden weitere Nasslager errichtet. Denn dem Holz droht der Befall durch verschiedene Borkenkäferarten. Der Verfügbarkeit von Nasslagern messen die Forstexperten daher für zukünftige Katastrophen dieser Art entscheidende Bedeutung zu.
Die Stämme im Wald
Doch Mitte Januar lag das Holz ja noch im Wald. „Glücklicherweise hatten wir in Halver eine umfangreiche Durchforstung geplant, und den dafür vorgesehenen Harvester haben wir vorsorglich am Bahnhof in Brügge geparkt, erinnert sich der Förster. Der Vollernter arbeitet somit bereits am Folgetag zunächst an der B 54 im Volmetal, wo Hunderte von Fichten die Volmestraße versperrten. Danach wechselte die Maschine nach Halver. Teilweise bis zu fünf Harvestersysteme arbeiteten sich gleichzeitig durch die darniederliegenden Bestände, so dass bereits am 25. November 2007 das Sturmholz in Halver komplett aufgearbeitet und vermarktet war. Speziell auf den Einsatz hochqualifizierter Facharbeiter zum Abstocken der Bäume und einen hochmaschinisierten Einsatz von Harvestern, Forwardern, Baggern und Zangenschleppern führt Ackfeld zurück, dass kein Arbeiter zu Schaden kam.
Wege bauen für schweres Gerät

Doch wie bekommt man das Holz aus dem Wald und auf Wagen und Waggons? Während der Verarbeitung baute die Forstbetriebsgemeinschaft permanent an Abfuhrwegen, bezahlt durch die Verkaufserlöse und bezuschusst durch das Land. Allein in die Sicherstellung der Befahrbarkeit der Wald- sowie Lösch- und Rettungswege seien Fördermittel des Landes und der EU in Höhe von 300 000 Euro geflossen. Insgesamt wurden in Halver seit Kyrill über 750 000 Euro in die Wege investiert.
Trotz der erschreckenden Schäden in ihren Wäldern seien nahezu alle in der Forstbetriebsgemeinschaft zusammengeschlossenen Waldeigentümer den von uns eingeschlagenen Weg mitgegangen, erinnert sich Ackfeld – obwohl es sicherlich nicht immer allen leicht gefallen sei abzuwarten und darauf zu vertrauen, dass auch der letzte vom Sturm geworfene Baum noch geerntet und verkauft wurde. „Klagen und Beschwerden gab es keine, oder ich habe es einfach verdrängt.“
Bis auf eine Fläche am Brügger Raffelnberg habe man trotz der Verwüstungen parzellenscharf abrechnen können – nicht zuletzt durch Einsatz weiteren Fachpersonals durch den Landesbetrieb Wald und Holz und den Einsatz von Unternehmern, die die Gegend aus Erfahrung kannten.
Der Wald wird sich wandeln
Die Erfahrungen aus Kyrill werden allerdings dazu führen, dass sich das Landschaftsbild in der Region ändern wird. Die Fichte als wirtschaftlich attraktivster Baum spielt zwar nach wie vor die zentrale Rolle, doch bei den Nachpflanzungen wurden weniger als 20 Prozent davon gesetzt.
Insgesamt 425 000 Forstpflanzen seien im Bereich Halver seitdem in den Boden gebracht worden, davon 227 000 Stück Laubholz überwiegend Rotbuche, Eiche, Hainbuche, Eberesche, Erle und Kirsche. Bei den insgesamt 198 000 Nadelhölzern dominieren neben 76 000 gepflanzten Fichten die Douglasien und Lärchen. Die Douglasie gilt als robust gegen Trockenheit und wirtschaftlich konkurrenzfähig zur Fichte, kämpft allerdings vielfach mit Startschwierigkeiten. Auch bei der Neupflanzung haben die Förster den Arbeitsaufwand nachgehalten: Etwa 500 Setzlinge schafft ein Mann pro Tag. Allein für die Neupflanzung bräuchte ein Arbeiter 850 reine Arbeitstage. 126 000 Euro, etwa ein Drittel der Gesamtkosten, hat das Land als Anteil für die neue Bepflanzung zugeschossen. Ihre Pflege ist inzwischen ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit im Wald.
Ziel all dieser Bemühungen sei die Anlage standortgerechter, stabiler, strukturreicher und produktiver Mischwälder, die auf veränderte Umweltbedingungen flexibler reagieren können, sagt Ackfeld mit Blick auf die Sturmnacht und die Zeit danach. Denn der nächste Sturm kommt bestimmt. Nur wann und wo, weiß niemand. „Und hoffentlich haben wir auch dann wieder Glück im Unglück.“