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Die Läden ihrer Kindheit in Halver – eine Frau erinnert sich

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Von: Thilo Kortmann

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Beate Knitter erinnert sich in ihrer Kurzgeschichte an das alte Halver mit seinen Läden. Besonders gut ist ihr noch das Spielzeuggeschäft aus ihrer Kindheit in den 1960er Jahren in Erinnerung geblieben. Zum Spieleparadies im Schieferhaus (jetzt Ideen vom Lande) kam sie oft.
Beate Knitter erinnert sich in ihrer Kurzgeschichte an das alte Halver mit seinen Läden. Besonders gut ist ihr noch das Spielzeuggeschäft aus ihrer Kindheit in den 1960er Jahren in Erinnerung geblieben. Zum Spieleparadies im Schieferhaus (jetzt Ideen vom Lande) kam sie oft. © Thilo Kortmann

Eine Dorf im MK vor 50 Jahren: Beate Knitter hat aus ihren Erinnerungen eine Kurzgeschichte gemacht.

Halver – „Wo jetzt das Puppenhaus steht, da stand früher mal ein Aquarium“, erzählt Beate Knitter, während sie vor dem Fenster des alten Hauses, an dem zum Teil der Putz von der Fassade blättert, am Kirchplatz steht. „Ich bin mir jedenfalls relativ sicher. Eine Garantie übernehme ich nicht dafür. Das ist immerhin viele Jahrzehnte her“, sagt sie und lächelt.

Erinnerungen sind das Material, mit denen Beate Knitter ihre Kurzgeschichten ausschmückt. Sie denke oft an das Halver der 1960er-Jahre, „eine Kleinstadt mit ganz vielen kleinen Läden“.

Phantasie statt Dokumente

Auf historische Dokumente greife sie für die Recherche und das Schreiben nicht zurück, fügt sie hinzu. Wenn ihre Schilderungen auch nicht hundertprozentig stimmten, dann entsprängen sie aber eben ihren persönlichen Fantasien. Und Letztere interessieren die Halveranerin einfach mehr als historische Fakten. Erinnerungen beschönigen oft, „sind ein Zerrbild der Realität“, weiß sie. „Hier stand ich oft als Kind vor der alten Hirsch-Apotheke. Das Aquarium war etwas sehr Besonderes, das ist mir gut in Erinnerung geblieben.“

Häufig denke sie auch an das Spielzeuggeschäft in dem Schieferhaus an der Helle vor mehr als 50 Jahren. Heute ist dort „Ideen vom Lande“ beheimatet. Wie der Spielzeugladen damals genau hieß, weiß sie leider nicht mehr. Das spiele aber auch keine Rolle, betont Knitter. „Meine Kurzgeschichte basiert nicht auf Fakten, es ist eine gedankliche Spielerei, verbunden mit viel Fantasie“, erklärt Beate Knitter, die als pädagogische Mitarbeiterin an den weiterführenden Schulen in Halver arbeitet.

Zu den vielen Veränderungen, die ihre Heimatstadt durchlebt hat, sagt sie: „Die ganze Welt verändert sich ständig. Das gehört dazu. Man kann das ja auch in vielen anderen Kleinstädten beobachten. Halver ist da kein Einzelfall.“ Das neue Einkaufszentrum mit dem Kaufland findet sie gut, „es ist nicht einfach, die Innenstadt zu beleben.“

Die ganze Welt verändert sich ständig. Das gehört dazu. Man kann das ja auch in vielen anderen Kleinstädten beobachten. Halver ist da kein Einzelfall.

Beate Knitter

Schaue man auf andere Kleinstädte, dann komme Halver doch gut weg. Dass die Frankfurter Straße sich so entwickelt habe, wie sie sich jetzt präsentiere, habe mit dem veränderten Kaufverhalten der Menschen und dem Abwandern in die Großstädte zu tun.

Angefangen zu schreiben hat sie erst vor Kurzem, seitdem sie an der Geschichtenschmiede der Volkshochschule Volmetal in Kierspe teilnimmt. Und genau dort ist ihr Werk in einem Kurs über Glanzbilder von der Erinnerung und den Läden aus der Kindheit entstanden, das der AA auf dieser Seite abdruckt.

„Damals im Dorf“: Erinnerungen an Halver in den 1960er-Jahren

Von Beate Knitter

Früher war vielleicht nicht alles besser, aber es war anders und ein wenig wie aus einer anderen Welt. Das Dorf am Rande des Sauerlandes wirkte noch etwas verschlafen, aber hinter den Türen der vielen kleinen Läden und Gewerke herrschte schon lebendiges Treiben. Es war an einem Wochentag kurz vor neun und es gab noch so manchen Handgriff zu tun, bevor die Kundschaft eintraf. Im Kurzwarenladen Simon sortierte die Verkäuferin die in allen Farben neu eingetroffenen Nähgarnröllchen.

Schräg gegenüber in der Alten Hirsch-Apotheke verglich die Apothekenhelferin wichtige Orderlisten mit den Bestellungen. Auf der anderen Straßenseite bei Café Weiland schrubbte der Lehrling den Backstubenboden. Etwas weiter vor Eisenwaren Herdepe wurde der Eingangsbereich gefegt. Frau Kappe aus dem Wollladen unterhielt sich mit der Verkäuferin des benachbarten Schirmgeschäftes über das herrliche Wetter. Herr Bangert stellte die Kiste mit dem Frühlingsgemüse der Woche vor sein Schaufenster.

Polierte Vitrinen

Die Mitarbeiterin vom Optiker Kortmann polierte die Vitrinen, bis sie im Morgenlicht schimmerten. Die Ladentür der Schneiderin stand offen und man hörte schon das Rattern der Nähmaschine bis auf die Straße. Bei Moden Bauckhage war gerade die neue Frühjahrskollektion eingetroffen, die in den schönsten Farben strahlte. In der Metzgerei Reich wurde noch schnell das große Fenster geputzt und aus dem Drogeriemarkt Seifenplatz rollten die Mitarbeiterinnen die Warenkörbe mit den Sonderangeboten nach draußen.

Bei Ruth standen jede Woche Dienstag die Besorgungen auf dem Plan. Heute begleitete sie ihre Tochter Beate, weil die Osterferien begonnen hatten. Ruth nahm die große Einkaufstasche aus rotem Kunstleder und Beate schulterte ihren Rucksack mit den aufgebügelten Stoffbildchen. Sie freute sich auf diese schöne Abwechslung. Jetzt vor Ostern gab es bestimmt die eine oder andere Besonderheit zu besorgen und vielleicht durfte sie sich von ihrem Taschengeld in dem Spielzeugladen an der Ecke etwas aussuchen. Letzten Sonntag, als sie mit den Eltern einen Rundgang durchs Dorf gemacht hatte, hatte sie zum Zeitvertreib alle Geschäfte gezählt, die auf dem Weg lagen. Einundfünfzig waren zusammengekommen und die ganze Familie hatte über dieses Ergebnis gestaunt.

Die Geschäfte, die kleinen Lädchen, die Gewerke und Gaststätten waren im gesamten Ortskern verteilt, aber die meisten gab es an der Frankfurter Straße, da lag eins direkt neben dem anderen. Früher, als Ruth ein Mädchen war, hatte sich das Leben noch um die große evangelische Kirche abgespielt, um das Runde Eck, wie man es nannte. Später würde es dann abgerissen.

Grüner Schimmer über dem Dorfleben

Besonders schön fand sie, dass es so viele Bäume im Dorf gab. Überall säumten sie die Straßen und brachten die Natur in den Ort. Im Sommer spendeten sie Schatten und verbreiteten angenehme Kühle. In der bunten Schönheit des Herbstes und beim Rauschen der Blätter wurden durch sie die oftmals nebeligen Tage etwas freundlicher. In der Winterzeit, wenn die Natur ruhte, standen sie da wie große Wächter und im Frühjahr legten sie einen frischen grünen Schimmer über das Dorfleben. Dadurch war der Jahreszeitenwechsel auch hier, mitten im Ortskern, allgegenwärtig.

Heute standen wegen der Feiertage viele Besorgungen auf der Liste. Die Beiden liefen die ganze Einkaufsstraße hinunter, um dann von diesem Ende aus ihre Besorgungstour zu beginnen. Den Anfang machte das Postamt, dort stellten sie sich in die Warteschlange des geöffneten Schalters. Endlich an der Reihe wurden ihre Ostergrußkarten von dem stets etwas mürrischen Postbeamten, frankiert, gestempelt und in den Ausgangskorb sortiert.

Werkeleien im Hobbykeller

Gleich danach gingen sie hinüber zu Schuh Eickhoff um Ruths neubesohlte Freizeitschuhe abzuholen. Beim Eintritt erklang ein helles Glockengeläut, das Herrn Eickhoff aus dem hinteren Büro in den Verkaufsraum holte. Er war ein Vetter von Ruth und so hielten sie ein kleines Schwätzchen. Dann nahm er die reparierten Schuhe unter der Theke hervor und Ruth begutachtete sie voller Zufriedenheit.

Als Nächstes kauften sie bei Bäcker Rövenstrunk schräg gegenüber das leckere Osterbrot, das nach Familienrezept gebacken wurde. Bei Eisenwaren Herdepe kramte Ruth aus dem Seitenfach ihrer Einkaufstasche eine Schraube hervor. Genau so eine brauchte ihr Mann Herbert für seine Werkeleien im Hobbykeller. Der Verkäufer, den Beate insgeheim die graue Eminenz nannte, weil er immer einen Kittel in dieser Farbe trug, suchte in dem riesigen Schubladenschrank hinter dem Holztresen das entsprechende Exemplar. Er zog eine kleine Schublade nach der anderen auf, verglich, prüfte und endlich hatte er die Richtige gefunden, packte sie in eine Papiertüte und Ruth bezahlte dreizehn Pfennig dafür.

Spielzeugladen

Jetzt schnell hinüber in die Apotheke, weil Beates hartnäckiger Husten seit zwei Wochen nicht besser wurde. Der Apotheker holte mit ernster Miene eine große Dose aus seinem hohen Regal und füllte mithilfe einer Arzneiwaage 100 g Salbeitee ab. Die beiden Waagschalen pendelten auf und ab und er gab noch etwas Tee mit einer kleinen Schütte in die Tüte bis die Waage zur Ruhe kam. Weil heute ein besonderer Tag war, legten sie einen kleinen Zwischenstopp im Café Weiland ein. Hier herrschte immer eine etwas vornehme Atmosphäre. Die Serviererin mit der gestärkten weißen Schürze brachte ihnen auf einem Silbertablett eine heiße Schokolade mit einer Extraportion Sahne. Das süße Getränk lieferte neue Energie und so gestärkt gingen sie weiter auf ihrer Einkaufstour hinüber zum Spielzeugladen. Auf dem Weg trafen sie Marianne, eine alte Schulfreundin von Ruth.

Weil Beate während des Gesprächs ungeduldig auf und ab hüpfte, erlaubte Ruth es ihr, schon vorzulaufen. Sie betrat den geliebten Laden, der bis zur Decke mit Spielzeug gefüllt war. Stofftiere in den Vitrinen, randvolle Regale mit Spielen, Legosteinen und Puzzles, auf der Theke standen zahllose Kästchen, in denen die verschiedensten Kleinteile aufbewahrt wurden.

Frau Rüggeberg, die Besitzerin, kümmerte sich hingebungsvoll um ihre jungen Kunden, unermüdlich holte sie die allerkleinste Kleinigkeit aus der untersten Schublade oder suchte im Lager nach einem gewünschten Gegenstand. Beate entschied sich für zwei Bauernhoftiere und eine Packung Glasmurmeln. Glücklich verließ sie den Laden.

Osterfestessen

Zum Schluss stand noch der kleine Supermarkt Michael Brücken auf dem Programm. Ruth kannte sich gut in dem Lebensmittelgeschäft aus und fand schnell alles, was sie für das Osterfestessen benötigte. Beate durfte sich, nach einiger Quengelei, ihren heiß geliebten Sahne-Vanillepudding aussuchen. An der Wursttheke bediente seit Jahren dieselbe freundliche Verkäuferin und Beate bekam, solange sie denken konnte, eine Scheibe Fleischwurst über die Theke gereicht.

Schließlich war der Einkaufszettel abgearbeitet, einträchtig machten sie sich mit vollgepackten Taschen auf den Heimweg. Oben auf der Anhöhe verschnauften sie einen Moment, stellten die Taschen ab und genossen den Ausblick auf ihr kleines Dorf. Es war ein Dorf wie jedes andere, aber für Ruth bedeutete es viel mehr: Heimat, Vertrautheit und Zugehörigkeit.

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