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„Die Gewalt ging eindeutig von der Polizei aus“ 

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Von: Florian Hesse

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Klaus Brunsmeier schätzt die Anzahl der Demonstranten am Samstag auf mehr als 35 000.
Klaus Brunsmeier schätzt die Anzahl der Demonstranten am Samstag auf mehr als 35 000. © Brunsmeier

Ein Augenzeugenbericht von der Kundgebung in Lützerath.

Halver - „Das muss man sich vorstellen wie beim ,Herrn der Ringe’ oder wie bei römischen Kohorten, die auf schlammigen Äckern vorrücken.“ Klaus Brunsmeier aus dem Vorstand des BUND NRW war mit vielen Mitgliedern der Naturschutzorganisation am Samstag in Lützerath. Seine Schilderung der Situation hört sich anders an als die von NRW-Innenminister Herbert Reul im Talk bei Anne Will.

Auch Tage später werden den BUND-Mitgliedern verdrehte Arme, Schürfwunden und blutige Nasen wohl noch wehtun. Brunsmeier, 64 Jahre alt, hat „auch was abgekriegt“. Die Blessuren nach der Kundgebung aber sind sein geringstes Problem.

Lützerath war nicht seine erste Umweltdemo. Seit Jahrzehnten engagiert er sich für Umwelt und Klima. Vor Ort mit dem Verein Heesfelder Mühle, dem größten Naturschutzprojekt im lokalen Bereich rund um Halver, im Regionalrat bei der Bezirksregierung Arnsberg, im Vorstand des BUND und in der bundesweiten Kommission zur Suche nach einer Endlagerstätte für Atommüll.

Man könnte sicherlich sagen, im Kampf um Lützerath ist Brunsmeier Partei. Herbert Reul ist das aber auch. Als oberster Polizist im Land, „als ein Minister, der versucht hat, wie Gerichte später feststellten, rechtswidrig den Hambacher Wald zu räumen“.

Es gibt eine Reihe von Aspekten, die Brunsmeier zur Sprache bringt:

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Die Lage vor Ort

„Wäre keine Polizei da gewesen, wäre überhaupt nichts passiert.“ Das ist Brunsmeiers Einschätzung, nachdem er sich bereits am Samstag der Vorwoche und auch beim „Promi-Wegtragen“ am Donnerstag ein Bild von der Situation habe verschaffen können. „Die Gewalt ging eindeutig von der Polizei aus.“ Es sei ein „unfassbarer Umgang mit Menschen, die sich friedlich hätten wegtragen lassen wollen.“ Selbst wenn die Räumung von Lützerath gerichtlich bestätigt gewesen sei, müsse es möglich bleiben, friedlichen Protest kundzutun. Doch von Deeskalationsstrategien sei am Samstag nichts zu spüren gewesen.

Die Teilnehmer

Es sei bei derartigen Veranstaltungen niemals auszuschließen, dass sich einzelne gewaltbereite Chaoten in die Menge mischten. Doch er habe mit jungen Menschen, mit Schülern, Studenten und jungen Familien gesprochen, die aus Sorge um ihre Zukunft aus ganz Deutschland angereist seien.

Hunderte Busse mit Kennzeichen von Freiburg bis Flensburg und Frankfurt am Main bis Frankfurt an der Oder habe er auf dem Weg mit dem Rad von Erkelenz bis Lützerath gesehen. Die Teilnehmerzahl? Seiner Einschätzung nach noch deutlich mehr als die 35 000, die die Veranstalter hinterher angaben. Die Polizei hatte die Zahl nach zunächst wenigen Tausend auf 15 000 geschätzt.

Die dreckige Kohle

Dass die Ortschaft Lützerath zum Symbol werden dürfte, liegt für Brunsmeier auf der Hand. „Die 280 Millionen Tonnen Braunkohle braucht niemand mehr, sie zu verbrennen, ist klimapolitischer Wahnsinn.“ Alle Szenarien sprächen dagegen. „Es geht nur noch darum, dass RWE als Betreiber des Tagebaus abkassiert“, sagt Brunsmeier und erinnert an die gewaltigen Gewinnsteigerungen der Energieunternehmen im Gefolge des Ukraine-Kriegs. Und einen Satz der Umweltaktivistin Greta Thunberg, die am Samstag auch vor Ort war, macht er sich zu eigen: Solange die Kohle im Boden sei, sei der Kampf nicht zu Ende, wird sie im Spiegel zitiert. Denn die Braunkohle, so wieder Brunsmeier, sei „das Dreckigste, was man zur Stromproduktion einsetzen kann, schlimmer als in der Steinzeit.“

Die Politik

Auf die Partei der Grünen in Bund und Land sieht Brunsmeier schwierige Zeiten zurollen. Lützerath habe ein ähnliches Spaltungspotenzial für die Grünen wie die Hartz-IV-Gesetzgebung unter Schröder für die SPD, sagen politische Analysten. Das befürchte er auch. Sowohl bei den Fristen zum Kohleausstieg wie bei der Zustimmung zur Abbaggerung von Lützerath hätten die Grünen nicht hart und lange genug verhandelt. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem jeder Einzelne die verheerenden Auswirkungen des kippenden Klimas sehen und spüren könne. „Die Wälder brennen oder brechen zusammen, und was noch übrig ist, spülen Jahrhunderthochwässer in jährlicher Wiederholung weg.“

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