Über dem Schrank hängt seine Geschichte und die seiner Familie. Angefangen mit Hugo Göddert, der 1943 seinen Meisterbrief machte und so den Krieg überlebte. Als Soldat stationiert war Hugo Göddert erst im Balkan. Als er für die Meisterschule in Düsseldorf wieder abgezogen wurde, ging seine Einheit nach Stalingrad. „Da wäre er nicht lebend rausgekommen“, sagt Göddert.
Sein Vater machte mit 33 Jahren seinen Meister. Reinhard Göddert holte den Titel mit 23, dabei machte er bei der Berufswahl zunächst einen Umweg. Als junger Mann startet er mit einer Ausbildung als Industriekaufmann, merkt aber nach drei Monaten, dass er das nicht sein Leben lang machen kann. Er muss draußen arbeiten, an der frischen Luft. Er will unabhängig sein. Wie schon als kleiner Junge. Da fuhr er bereits mit dem Tretroller über den Oesterberg und verkaufte Bohnerwachs und Waschpulver. Vom Geld holte er sich ein Fahrrad.
Die Lehre im Büro bricht er daher ab, tritt in die Fußstapfen des Vaters und macht direkt nach den nötigen fünf Gesellenjahren den Meister. Wieder, um unabhängig zu sein, eigene Wege gehen zu können. Wurzeln und Flügel bekommt er von seinem Vater, der zu diesem Zeitpunkt bereits sehr krank ist. Er übergibt 1974 sein Geschäft und stirbt sieben Jahre später.
Fortan füllt Göddert Lücken, die er ganz gezielt sucht. Zunächst ist es die Fassadenbeschichtung mit einem Schnellbaugerüst, dann der mineralische Außenputz, den er eigentlich nicht benutzen darf, weil er Maler und kein Stuckateur ist. Das ändert er und macht 1987 auch noch seinen Meister im Stuckateurhandwerk. Der Familienbetrieb läuft gut. Reinhard Göddert wird Vater und lebt in glücklicher Ehe mit seiner Frau Sabine. Dann passiert 1994 ein schwerer Unfall.
Reinhard Göddert verputzt, als plötzlich der Schlauch platzt. Kalk spritzt mit 50 bar in sein Gesicht. Die Schutzbrille fliegt weg, seine Augen bekommen alles ab. „Gekochte Fischaugen nennt sich das“, sagt er. Denn genau so sahen seine Augen aus. Kalk hat sich in und hinter den Augen abgelegt. Nichts konnte helfen. Das linke Auge soll durch ein Glasauge ersetzt werden.
An Arbeiten ist nicht mehr zu denken und Göddert meldet sein Gewerbe ab. Als es zur OP gehen soll, schickt ihn eine Ärztin stattdessen nach Aachen zu einem Professor, der ein kalkauflösendes Verfahren entwickelt hat. „Ich kam auf die Tierversuchsabteilung“, erzählt der Halveraner. „Zwei Wochen nach der Behandlung wurden die Augen wieder klar.“ Der Arzt ist sein Glück. Auf dem rechten Auge kann er wieder sehen. Auf dem Linken aber ist er blind. Das ist „kein Problem“, sagt Göddert. „Man kann sich an alles gewöhnen.“
Das Gewerbe meldet Reinhard Göddert kurz nach Wiedererlangen der Sehfähigkeit wieder an. Vorrangig, um seinen Sohn Oliver an den Beruf des Malers heranzuführen, sagt er. Er wollte es unbedingt, was den Vater sehr freut. Das Leben läuft so, wie es sich Reinhard Göddert immer erträumt hat. Vielleicht ist es ein spießiges Leben, sagt er und lacht. Aber für ihn ist es perfekt. Seine Familie ist sein Mittelpunkt. Schon immer. Was er tat, tat er für sie.
Es ist ein harter Job, ein Knochenjob. Auf seine Mitarbeiter passt er immer auf und rät ihnen zu rückenschonender Arbeit und mehr. An seine „Jungs“ darf nichts drankommen, sagt er. Er passt auf sie mehr auf als auf sich, wenn er ehrlich ist. Sicherheit am Arbeitsplatz ist das A und O, und er freut sich, dass sich in all den Berufsjahren gerade in diesem Bereich vieles weiterentwickelt hat. Viele neue Techniken und Materialien gibt es heute auch. Aber Handwerk bleibt Handwerk, sagt er. Mit Maschinen ist nicht alles zu ersetzen. Er glaubt ans Handwerk und daran, dass es wieder besser wird mit dem Ruf, der Bezahlung und den Arbeitskräften. Denn momentan, sagt er, merkt man, dass es zu wenig gibt.
Er selbst denkt auch mit 74 Jahren nicht ans Aufhören. Solange er kann, will er weiterarbeiten mit seinem Sohn und Ziyo, einem Flüchtling aus Tadschikistan, dem er die Sprache und das Handwerk beibrachte. Er ist sichtlich stolz auf das, was aus seinem Lehrling geworden ist, der am Bahnweg seinen Weg begann.
Heute ist Reinhard Göddert der Älteste im Familienbetrieb. Auf der Meisterschule war der Halveraner dafür der Jüngste. Und die ist jetzt 50 Jahre her. Vor zwei Wochen holte der Halveraner seinen Goldenen Meisterbrief in Olsberg ab. Dort ehrte ihn die Handwerkskammer Südwestfalen. 116 Personen, mit denen er seinen Meister machte, waren eingeladen. Nur er ist gekommen, dabei hätte er sich über alte Bekannte gefreut.
Der Brief hängt jetzt in der Reihe über dem Schrank und sticht gegen die älteren vergilbten Urkunden heraus. Der andere weiße Brief ist der seines Sohnes Oliver, der den Familienbetrieb 2017 übernommen hat. Nachwuchs für die dritte Übernahme gibt es. Drei Enkel sind der ganze Stolz von Reinhard Göddert und seiner Frau Sabine. Aber jetzt wird erstmal nur auf Papier mit ihnen gemalt. Deshalb muss Reinhardt Göddert jetzt auch los. Raus mit dem Enkel. An die frische Luft.