Rückblende: Am 7. Januar 2023 sitzt David Kerefidis bei Tim Paulsen am Küchentisch. Einen Tag später findet in Breckerfeld ein gut besetztes Hallenturnier statt, an dem auch der Bezirksligist FC Hellas/Makedonikos Hagen teilnimmt, für den Kerefidis als spielender Co-Trainer dabei ist. Man redet über dies und das im Hause Paulsen, vor allem aber über Fußball. „Und darüber, dass wir für diesen Scheiß in der Halle eigentlich zu alt sind“, sagt David Kerefidis, „Breckerfeld sollte mein letztes Hallenturnier sein.“ Wird es auch. Aber ganz anders als gedacht.
Keine 24 Stunden später bekommt Tim Paulsen von einem gemeinsamen Kumpel eine Whatsapp-Nachricht mit Foto. „‚Kere‘ mit Totalschaden“, steht nur auf dem Handy-Display. Was ist passiert? – Kerefidis: „Finalrunde, zweites Spiel, wir führen 1:0. Es kommt vom Torwart ein langer Ball, der eigentlich ins Aus gegangen wäre. Ich nehme ihn runter und merke beim Aufkommen sofort: Da ist was kaputtgegangen.“ Dr. Bernd Lasarzewski („Einen anderen lasse ich nicht mehr an meine Knie“) wird später bei der OP im Sportklinikum Hellersen feststellen, was genau alles seinen Dienst quittiert hat im rechten Knie des Halveraners: vorderes Kreuzband, Innenmeniskus, Außenmeniskus und Außenband. Und obendrauf noch ein massiver Knorpelschaden. Damit ist klar: Das war’s mit aktivem Fußball. Nach rund 32 Jahren.
Die Jugendzeit
Kerefidis’ Vater Klaus-Dieter, selbst begeisterter Kicker, bringt seinen Filius früh zum Fußball. Im Alter von drei Jahren tritt der kleine David erstmals vor den Ball, bei den Minikickern des TuS Grünenbaum. Schnell wird klar: Der Knirps hat Talent, ist ein torhungriger Stürmer. In der D-Jugend folgt der Wechsel zum RSV Meinerzhagen. Kerefidis spielt zum ersten Mal mit jemandem zusammen, der sein fußballerisches Leben später prägen sollte. Nuri Sahin, ein Jahr jünger als der Halveraner, später Profi bei Borussia Dortmund, Real Madrid und dem FC Liverpool, heute Trainer bei Antalyaspor in der türkischen Süper Lig. „Wir hatten eine Mega-Mannschaft, die alles gewonnen hat“, erinnert sich Kerefidis.
Eine Altersklasse weiter, in der C-Jugend, der nächste logische Schritt: Kerefidis wechselt zu den Sportfreunden Oestrich nach Iserlohn, erste Adresse in Sachen Nachwuchsförderung im Märkischen Kreis. Erst in der C2 unter Trainer Sascha Clever, dann in der C1 bei Oliver Ruhnert, seines Zeichens heute Geschäftsführer Profifußball beim Bundesligisten 1. FC Union Berlin. „Olli gehört zusammen mit Nuri Sahin, Mutlu Demir und Björn Mehnert zu den Trainern, die mich am meisten geprägt haben“, sagt Kerefidis im Rückblick, „von diesen Vier habe ich unheimlich viel gelernt.“
Im zweiten Oestricher B-Jugend-Jahr kreuzen sich erstmals die Wege von David Kerefidis und Tim Paulsen. „Aber wir haben uns nicht sonderlich beachtet“, sagt Paulsen. Die Oestricher B-Jugend spielt in der Regionalliga, der heutigen Nachwuchs-Bundesliga, steigt aber ab. „Wir mussten am letzten Spieltag mit 5:0 gegen Schalke gewinnen, haben aber nur ein 3:0 geschafft“, erinnert sich Kerefidis. Im Kader der „Knappen“ seinerzeit unter anderem: Mesut Özil und Benedikt Höwedes.
Die Tür zum Profitum
Als A-Jugendlicher, immer noch in SFO-Diensten, reißt bei David Kerefidis zum ersten Mal das Kreuzband, er kämpft sich heran, fängt schon nach vier Monaten wieder an zu trainieren. Die (zu) hohe Motivation hat einen Grund: Über Ostern ist ein Probetraining beim griechischen Erstligisten Skoda Xanthi FC geplant. Hintergrund: David Kerefidis’ Mutter ist Griechin, Vater Klaus-Dieter Deutscher. David Kerefidis besitzt beide Staatsbürgerschaften und Verwandtschaft in Griechenland mit guten Kontakten in den Profifußball. Aber: Die Firma, bei der David Kerefidis seine Ausbildung absolviert, will ihm keinen Urlaub genehmigen. Zu lang sind die Fehlzeiten durch die jüngste Verletzung. „Die Chefs haben mir gesagt: Entweder Sie kommen Montag zur Arbeit oder Sie müssen kündigen“, berichtet Kerefidis, „meine Mutter war beim Gespräch dabei. Sie hat gesagt: ‚Junge, kündige!‘“ Gesagt, getan.
Es geht nach Griechenland, in die TEP-Liga. Das ist die Nachwuchsrunde der Profiklubs. Spielen – zum Beispiel – die Profis von Skoda Xanthi und Panathinaikos Athen gegeneinander, messen an diesem Spieltag auch die TEP-Teams ihre Kräfte. Trotz eines Außenbandrisses in einem Testspiel gegen die griechische U19-Nationalmannschaft läuft es gut für David Kerefidis. In der TEP-Liga spielt er Stamm, erzielt von der Sechser-Position die drittmeisten Tore, wird Meister, macht ein Pokalspiel für die Profis, ist bei der Sichtung der U19-Nationalmannschaft dabei. Das Management stellt den Sprung in den Profikader in Aussicht. Kerefidis: „Ich habe trainiert, trainiert, trainiert. Doch nichts ist passiert. Ich war irgendwann enttäuscht und wollte zurück.“ Die Familie interveniert. Kerefidis lebt zu dieser Zeit bei seinen Großeltern, doch der „totale Sturkopf“ (Kerefidis über Kerefidis) lässt sich nicht reinreden.
Rückkehr ins Sauerland
Zurück in Deutschland ist die Frage eine ganz pragmatische. Wo kann der „Heimkehrer“ spielen? Über Trainerlegende Klaus Germann, der unter anderem in den 1980er-Jahren den Kiersper SC erstmals in die Landesliga führte, kommt der Kontakt zu den Sportfreunden Siegen zustande. Die 1. Mannschaft in der damals drittklassigen Regionalliga, die Reserve in der Oberliga. Das scheint zu passen. Ein Trugschluss: Die Sportfreunde stehen kurz vor der Zahlungsunfähigkeit, müssen schließlich Insolvenz anmelden.
Die Spieler sehen allenfalls einen Bruchteil der vertraglich vereinbarten Gehälter. Kerefidis: „Da stand ich dann: Kein Verein, keine Ausbildung. Nichts. An der Tankstelle habe ich gejobbt.“ Rot-Weiß Lüdenscheid, damals noch Verbandsligist, lässt durchblicken, dass man zwar interessiert sei an einer Verpflichtung, die finanziellen Vorstellungen liegen indes weit auseinander. Lösung: Kerefidis absolviert bei einem RWL-Sponsor eine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker. Sportlich läuft es hingegen nicht. Der rot-weiße Sinkflug geht bis in die Bezirksliga. Kerefidis wechselt zu Borussia Dröschede, spielt dort mit Edin Terzic zusammen, dem heutigen BVB-Cheftrainer. „Eigentlich eine gute Mannschaft. Aber irgendwie stimmte das Gefüge nicht. Ich wollte nur weg.“
Der Anruf des SV Hohenlimburg kommt da zur rechten Zeit. Zweieinhalb Jahre bleibt Kerefidis. „Für Dich ja eine halbe Ewigkeit“, wirft Tim Paulsen ein. SV-Trainer Björn Mehnert nimmt Kerefidis dann mit zum Oberligisten Westfalia Rhynern. Doch der Aufwand ist groß, die häufigen Fahrten nach Hamm fressen Zeit, Sprit und mithin Geld. Es geht zurück nach Hohenlimburg. „Eine super-gute Zeit“, nennt David Kerefidis die nun folgenden vier Jahre im Hagener Vorort.
Im Winter 2015/16 klingelt das Telefon. Nuri Sahin ruft an und wirbt für sein „Projekt RSV Meinerzhagen“. Einen sofortigen Wechsel lehnt Kerefidis mit Blick auf sein gutes Verhältnis zu Mannschaft und Verantwortlichen in Hohenlimburg ab, im Sommer hingegen folgt er Sahins Ruf an die Oststraße. Dort geht es steil bergauf. Jedes Jahr. Bezirksliga, Landesliga. Nach dem Aufstieg in die Westfalenliga will Kerefidis eigentlich bleiben, doch die Verpflichtungen der Blau-Weißen deuten an, dass es künftig eng werden könnte mit regelmäßigen Startelf-Einsätzen. „Ich hatte damals schon Freunde beim TuS Linscheid-Heedfeld, die gefragt haben: Wann kommst du? Aber Kreisliga C wollte ich mir nicht antun.“ Nach dem Aufstieg der Schalksmühler in die B-Liga ist es dann aber so weit. Kerefidis, gerade Vater geworden und in unmittelbarer Nähe zum Sportplatz Kuhlenhagen wohnhaft, wechselt als Spielertrainer in die Kreisliga B. Ein Sprung zwischen zwei Welten.
Ich hatte ein schönes Fußballer-Leben. Langweilig war es jedenfalls nie.
Es beginnt eine „schöne und erfolgreiche Zeit“ (O-Ton Kerefidis). Der neue Spielertrainer nutzt seine Kontakte, holt neue Spieler zum TuS. Unter anderem auch Tim Paulsen. Vier Jahre geht es aufwärts, hinter vorgehaltener Hand wird sogar schon von der Bezirksliga gesprochen im Höhengebiet. Warum es letztlich auseinander geht? – David Kerefidis will nicht nachtreten. „Es ging um Unterstützung. Die hat gefehlt“, sagt Tim Paulsen stattdessen. Nach einem Trainingslager auf Borkum in der Wintervorbereitung 2022 schwört sich das Team auf große Ziele ein, will um den Bezirksliga-Aufstieg mitspielen. Zurück von der Nordsee in Schalksmühle, fallen direkt mehrere Einheiten aufgrund fehlenden Personals aus. Seine Zusage für die Saison 2022/23 zieht Kerefidis daraufhin zurück, wechselt als spielender Co-Trainer zum ambitionierten Bezirksligisten FC Hellas/Makedonikos Hagen. Das „Projekt TuS Linscheid/Heedfeld“ verschwindet parallel in der Versenkung.
Dass der ambitionierte Hagener Klub als Tabellenzehnter in der Bezirksliga 6 dieser Tage seinen hohen Zielen hinterherläuft, ist nur noch eine Randnotiz. Weil David Kerefidis’ rechtes Knie am 8. Januar besagten Totalschaden erleidet.
Der schönste Moment der Karriere
„Die Unterschrift beim TuS Linscheid-Heedfeld“, gibt Tim Paulsen die nicht ernst gemeinte Antwort vor. „Schwer zu sagen“, blickt David Kerefidis zurück. „Vielleicht die Zeit in Griechenland, als wir Meister in der TEP-Liga geworden sind. Das war wie Profi-Fußball. Wir sind zu den Spielen geflogen, morgens und abends Training, haben Autogramme geschrieben – eine coole Zeit.“ Auf einzelne Ereignisse will der 35-Jährige sich aber nicht festlegen. „Ich habe viele besondere Menschen kennenlernen dürfen.“
...und der schwärzeste
Natürlich sind da die schweren Verletzungen. „Dreieinhalb“ Kreuzbandrisse. Das ist ein Wort. Und abgesehen davon? – David Kerefidis muss nicht lange überlegen. „Ich habe als junger Erwachsener auf einen falschen Pass zwei A-Jugend-Aufstiegsrundenspiele für den TSV Halver gemacht...“ „Erik Gall“ hieß Kerefidis da, ein Zeitungsfoto ließ den Schwindel auffliegen. Zehn Wochen Sperre gab es damals. „Vor allem für meinen Vater war das eine schwere Zeit. Das werfe ich mir heute noch vor.“ Lang, lang ist’s her.
Die Zukunft
Der erste Frust über die schwere Verletzung ist vorbei, das operierte Knie darf noch nicht belastet werden. Fest steht aber: David Kerefidis, der seine Trainer-B-Lizenz als Lehrgangsbester absolviert hat, will dem Fußball weiter verbunden bleiben. Als Coach an der Seitenlinie. Nicht als Spieler. „Natürlich juckt es, wieder zu spielen. Aber das geht nicht. Ich will mit meinem Sohn später noch kicken und nicht nur hinterherhumpeln.“
Wo genau es den Trainer David Kerefidis hinführt, ist noch nicht klar. „Erste Gespräche gibt es schon. Ich bin für alles offen“, sagt „Kere“. Wobei „alles“ sehr weit gefasst ist. Denn: Leistungsorientiert soll es auf jeden Fall sein. Egal, ob im Jugendbereich oder bei den Erwachsenen. Nur eines ist klar: David Kerefidis ohne Fußball? Das geht nicht.