Nuri Sahin: „Sportlich setzen wir uns keine Grenzen“

Meinerzhagen - Am 14. Mai 2017, dem drittletzten Spieltag der vergangenen Saison, bejubelten die Fußballer des RSV Meinerzhagen die Meisterschaft in der Bezirksliga 5 und den damit verbundenen Aufstieg in die Landesliga. Fast auf den Tag genau ein Jahr später knallten vorgestern an der Oststraße erneut die Sektkorken. Abermals stand die drittletzte Runde der Spielzeit auf dem Programm, diesmal setzten sich die Volmestädter die Landesliga-Meisterkrone auf und gehen künftig in der Westfalenliga auf Torejagd.
Vater des Erfolges ist Nuri Sahin: Vor drei Jahren begann der Bundesliga-Profi von Borussia Dortmund, sich für seinen Heimatverein zu engagieren, und seitdem geht es mit der bis dahin im Bezirksliga-Keller dümpelnden 1. Mannschaft des Traditionsvereins steil bergauf. Im Gespräch mit Sportredakteur Thomas Busch gewährt der 29-Jährige Einblick in seine Erfahrungen als RSV-Macher, die weiteren Pläne und seine Idee vom modernen Fußball.
Nuri Sahin, als Sie im Frühjahr 2015 bei Ihrem Heimatverein eingestiegen sind, haben Sie als mittelfristiges Ziel die Landesliga und als längerfristiges Ziel die Westfalenliga ausgegeben. Beides ist nun erreicht. Wie fällt Ihre Bilanz der vergangenen drei Jahre aus?
Nuri Sahin: Zunächst einmal waren ja damals, als wir angefangen haben, viele Leute skeptisch, ob wir das wirklich durchziehen, ob wir es schaffen, die Mannschaft so hinzubekommen, wie wir uns das vorstellen. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen, wobei ich mich an dieser Stelle noch beim Vorstand bedanken möchte, der uns sportlich komplett freie Hand lässt und uns machen lässt – das ist nicht selbstverständlich. Was mich noch glücklicher macht, ist: Wir haben eine richtig gute Trainingsbeteiligung, wir trainieren vier Wochen vor Saisonende mit 22 Mann auf dem Platz. Das ist eine Bestätigung dafür, dass die Jungs wieder gerne hierher kommen. Und das war zunächst mein Hauptziel, denn ich weiß von meinem Bruder, dass früher nur sieben, acht Mann und sehr oft kein Torwart beim Training waren. Das ist jetzt ganz anders, und das zahlt sich natürlich dann auch in den Spielen aus. Ich denke, dass wir sportlich eine Riesenentwicklung gemacht haben, dass wir einen guten Ball spielen, dass wir mit System spielen. Mich freut es, dass jetzt auch zunehmend mehr Zuschauer kommen – ich glaube, der RSV Meinerzhagen ist im Seniorenbereich schon wieder da, wo er sein sollte. Wir haben 2015 gesagt ‚Wir wollen in den nächsten Jahren mittelfristig in die Westfalenliga‘, und es macht mich sehr glücklich, dass wir es jetzt schon geschafft haben. Was mir natürlich weh tut, ist, dass wir im Jugendbereich noch nicht diesen Durchschlag bekommen haben wie bei der 1. Mannschaft. Die Jugend und auch unsere 2. Mannschaft müssen wir definitiv mehr pushen. Es muss einfach so sein, dass die A-Jugend so hoch wie möglich spielt – das ist etwas, was ich auch als Kritikpunkt aufnehme. Aber das soll in den nächsten Jahren besser werden.
Zurück zur 1. Mannschaft: Die ersten drei Neuverpflichtungen für 2018/19 legen nahe, dass der Weg nach oben noch nicht beendet ist. Wie weit soll es für den RSV Meinerzhagen noch gehen?
Nuri Sahin: Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Sportlich setzen wir uns keine Grenzen – das hat auch nichts mit den Neuzugängen zu tun. Aber natürlich wollen wir gute Spieler dazu holen, weil wir glauben, dass es sportlich am meisten Sinn macht, wenn du Vorbilder holst. Wir haben zum Beispiel mit Sven Wurm und Julian Jakobs zwei Kracher hier, die sowohl sportlich als auch persönlich so eingeschlagen haben, dass sie absolute Vorbilder sind. Letztens kam im Stadion ein kleiner Junge zu mir und sagte: ‚Nuri, bei euch spielt ein Innenverteidiger (gemeint ist Wurm, Anm. d. Red.) – wenn ich groß bin, will ich auch ‘mal so werden.‘ Das macht mich natürlich sehr, sehr glücklich. Die Kinder kommen gerne zugucken – und ich würde mich freuen, wenn insgesamt noch mehr Leute kommen würden.
Sie haben es gerade ja schon selbst gesagt: Die Zuschauerentwicklung beim RSV ist positiv. Es wächst etwas – wenn auch nicht rasant.
Nuri Sahin: Ja, und der nächste Schritt muss nun sein, dass wir die Tribüne überdacht bekommen. Denn dass sich die Leute nicht gerne in den Regen stellen, ist doch verständlich. Einmal zum Beispiel mussten meine Mutter und meine Frau frühzeitig wieder nach Hause fahren, weil die Kinder nass geworden sind – damit waren wir auf einen Schlag gleich vier Zuschauer los, die ja sicherlich auch noch etwas gegessen und getrunken hätten. Generell kann ich allen Meinerzhagenern und Leuten in der Umgebung sagen: Wenn ihr sonntags Lust oder nichts zu tun habt, wenn ihr keine Bundesliga guckt, dann kommt vorbei und verschafft euch einen Eindruck! Ihr könnt hinterher gegebenenfalls ja immer noch sagen: ‚Nee, das ist nichts für mich.‘ Aber ich kann nur sagen: Hier wird wieder Fußball gespielt. So ein Fußball, wie ich ihn früher als Kind gesehen habe – ich habe damals am Vormittag um 11 Uhr mit Borussia gespielt und danach zu meinem Vater, meinem Onkel oder zu Bayram Celik, die mich immer gefahren haben, gesagt: ‚He, wir müssen schnell wieder nach Meinerzhagen, ich möchte noch Fußball gucken!‘
Was Ihr Engagement beim RSV so besonders macht, ist die Tatsache, dass Sie den Verein nicht nur finanziell unterstützen: Soweit es Ihre Zeit nur irgendwie erlaubt, stehen Sie als Mitglied des Trainerteams selbst an der Seitenlinie bzw. auf dem Trainingsplatz. Ist das für Sie auch eine Art Vorbereitung auf die zweite Karriere, sprich: die Zeit nach Ihrer aktiven Laufbahn?
Nuri Sahin: Mein Leben dreht sich eigentlich um drei Dinge: Borussia Dortmund, meine Familie und RSV Meinerzhagen. Das Gute ist: Ich kann RSV Meinerzhagen mit meinen Freunden verbinden, ich sehe meine Freunde und auch meinen Bruder mittlerweile viel öfter. Ich bin in einem Umfeld, in dem ich mich wohlfühle, und bei Borussia Dortmund ist’s genauso. Ich habe Freunde da, ich bin sehr gerne da, ich arbeite da, der Verein ist für mich eine Herzensangelegenheit. Das Gleiche ist das inzwischen auch mit dem RSV Meinerzhagen. Über allem steht aber natürlich meine Familie; ich habe eine tolle Frau und tolle Kinder, die das alles mitmachen und die mich verstehen – das macht mich glücklich. Natürlich habe ich auch meine Ziele für die Zeit nach meiner Karriere, aber ich habe mich da noch nicht festgelegt. Ich fülle hier beim RSV, bei dem ich mit Mutlu Demir, meinem Bruder Ufuk, Yalcin Akbal, Özgur Turhan, Isi Kilic und Serkan Kabasakal ein Trainerteam habe, das einen tollen Job macht und mir den Rücken freihält, so einige Rollen aus: Ich führe Gespräche mit möglichen Neuzugängen, ich bin sportlich involviert, ich fungiere auch schon ‘mal als Feuerlöscher, wenn es sein muss. Das ist die beste Lehre, die man haben kann, zumal das hier ehrlicher Fußball ist.
Bei der 1. Mannschaft des RSV hängt im Prinzip alles an Ihrer Person. Zum Beispiel wären ohne Sie wohl weder das angesprochene Trainerteam noch das Gros der Spieler hier. Deshalb steht bei aller momentanen Begeisterung allgemein die Befürchtung im Raum: „Wenn Nuri weg ist, geht’s ja sowieso wieder steil nach unten...“
Nuri Sahin: Der Verein muss auf seinen eigenen Füßen stehen – das ist unser Ziel. Aber wenn jemand denkt, dass ich hier alles hineinpumpe, liegt er falsch, denn das ist nicht so. Natürlich spende ich dem Verein auch Geld, aber wir haben ganz sicher nicht das Budget zur Verfügung, das außerhalb des Vereins kolportiert wird – wäre es so, dann würden wir definitiv ein paar Ligen höher spielen. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Als wir 2015 hier angefangen haben, haben wir gesagt ‚Wir machen hier drei plus drei Jahre.‘ Die zweiten drei Jahre brechen jetzt an, und für mich gibt es überhaupt keinen Grund wegzugehen, wenn es sportlich passt und wenn ich sportlich weiter freie Hand habe. Ich will aber kein Mäzen sein, ich will hier helfen. Und natürlich möchten wir Leute begeistern, hier mitzumachen und sich auch finanziell zu engagieren. Ich will niemandem an die Tasche oder so, aber es ist doch eine tolle Sache, wenn man mitbekommt, wie positiv und wo überall inzwischen über den RSV Meinerzhagen geredet wird. Im Dortmunder Amateurfußball gibt es momentan gefühlt kein anderes Thema. Und wenn Tim Treude, der Kapitän vom TuS Erndtebrück, hierher kommt und sagt ‚Wow, ihr habt eine super Mannschaft, ich will hier spielen!‘, ist das doch schön. Wenn wir jetzt noch hinbekommen – wovon ich auch ausgehe –, dass die 2. Mannschaft sowie die A- und die B-Jugend in den nächsten Jahren ein bisschen höher spielen, dann bin ich vollauf zufrieden und dann ist mein Plan komplett aufgegangen Ein großer Traum von mir ist außerdem noch, dass der RSV Meinerzhagen irgendwann einmal ein großes Jugendturnier mit Nachwuchsmannschaften von Bundesligavereinen veranstaltet. Das ist natürlich schwer zu realisieren, weil man dafür Zeit braucht, aber nach meiner Karriere kann ich da noch mehr involviert sein.
Gehen wir zum rein sportlichen Teil über: Die 1. Mannschaft des RSV spielt ein System, das in der Bezirks- und in der Landesliga außergewöhnlich ist. In der Grundformation 4-1-4-1, die aggressives Pressing und möglichst hohen Ballbesitzanteil beinhaltet, agiert in diesen Klassen keine andere Mannschaft. Ist dieser Stil auch Ihre grundsätzliche Vorstellung vom Fußball?
Nuri Sahin: Als ich beim RSV angefangen habe, war das schon ein bisschen à la die Linie runter und auf den zweiten Pfosten flanken – das gibt’s im modernen Fußball nicht mehr. Jeder hat so seine Vorstellung vom Fußball, und ich sage zu den Jungs, zu Mutlu oder meinem Bruder immer: ‚Wir müssen alles, was wir im Profibereich sehen, auf unser Niveau ‘runterziehen und daraus das Beste machen.‘ Und die Jungs nehmen das an – ich hätte nie gedacht, dass es so schnell gehen würde, denn nach sechs Monaten war das System eigentlich schon verinnerlicht. Der Weg dahin war harte Arbeit, aber nach einem halben Jahr hatte ich dann das Gefühl, dass die Jungs uns verstanden haben. Im Sommer 2016 kamen dann mit David Kerefidis, Timo Eick, Philipp Stumpf und Andi Spais Spieler dazu, die richtig Bock darauf hatten, die alles wie ein Schwamm aufgesogen haben. Das war überragend, das hat mir richtig Spaß gemacht. Andi zum Beispiel war es gewohnt, nur vorm Tor zu stehen. Ich habe zu ihm gesagt: ‚Die Qualität, die du hast, hat sonst keiner in der Liga. Glaube mir: Wenn du das machst, was wir dir sagen, schießt du 30 Tore.‘ Am Ende hat er 40 gemacht. Unser System variieren wir ab und zu schon, wir haben hinten ja auch schon ‘mal mit einer Dreierkette gespielt. In der Bezirksliga-Rückrunde bei unserem 3:0-Sieg in Ottfingen haben wir das 3-2-4-1 sehr gut umgesetzt. Das 4-1-4-1 ist aber schon unser Hauptsystem, für das ganz einfach ausgedrückt gilt: Wir wollen den Ball haben, und wenn wir ihn verlieren, wollen wir ihn uns schnell zurückholen.
Gewissermaßen Dortmunder Schule also.
Nuri Sahin: Ja, auf jeden Fall. Ich bin durch meine Trainer geprägt, und das überträgt man dann natürlich auf die eigene Arbeit als Trainer.
Was waren für Sie persönlich die positivsten Erfahrungen der vergangenen drei Jahre beim RSV?
Nuri Sahin: Ehrliche Arbeit wird belohnt – das war in meinem Leben und in meiner Karriere bisher immer so. Das sage ich auch den Jungs immer, und wir leisten hier ehrliche Arbeit: Wir haben 22 Leute beim Training, was in diesem Leistungsbereich nicht die Regel ist. Was mich aber noch viel mehr freut, sind menschliche Dinge. Mein Trainerteam und ich haben eine Bindung zu den Spielern, wir haben gemeinsam auch schon private Probleme gelöst. Außerdem ist es sehr schön, die Persönlichkeitsentwicklung zu verfolgen, die gerade der eine oder andere jüngere Spieler genommen hat. Da sind Jungs dabei, die früher sehr schüchtern waren und jetzt selbstbewusste junge Männer sind. Sportlich hatten wir natürlich auch einige Highlights. Die Westfalenpokalspiele waren toll, und vor allem das gegen Lippstadt (der RSV besiegte den angehenden Regionalligisten nach Verlängerung mit 3:2, Anm. d. Red.) war einfach überragend.