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Finnland wütend auf Deutschland: „Ihr habt die Grundregel im Umgang mit Russland nicht verstanden“

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Deutschlands Ansehen in der Welt hat seit dem Ukraine-Krieg stark gelitten. Neu ist Finnlands Wut auf Berlin: „Wie langsam lernt ihr, Russland zu lesen“?

Helsinki/Brüssel/Köln – Kürzlich kursierte in Finnland eine Karikatur. Zwei Männer sitzen in einer mit Öl gefüllten Badewanne, zwischen ihnen schäumt die Flüssigkeit, einer der beiden lehnt gelassen am Rand des Beckens, der andere hält ängstlich die Hände nach oben. Der Erste ist der russische Machthaber Wladimir Putin, der zweite Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Die Karikatur verrät einiges über das Brodeln in Finnland angesichts der deutschen Russland-Politik. Finnland ist wütend auf Deutschland, wütend auf die Ampel-Regierung bezüglich der zögerlichen Waffenlieferungen an die Ukraine, wütend über die deutsche Energie-Abhängigkeit von Russland.

Auch Minna Ålander, Politikwissenschaftlerin des renommierten Thinktank Finnish Institute of International Affairs in Helsinki, ist im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA aufgebracht. Bis vor Kurzem lebte Ålander in Deutschland, arbeitete dort für die Stiftung Politik und Wissenschaft. Erst seit wenigen Monaten ist sie zurück in Finnland. Sie sagt: „Deutschland ist gar nicht bewusst, wie sehr sich die eigene Rolle in der EU verändert hat.“

Deutschland im Ukraine-Krieg: Finnland ist entsetzt über deutsche Sicherheitspolitik

Russlands Krieg in der Ukraine ist eine Zäsur – das ist nicht neu. Auch nicht, dass die Wahrnehmung Deutschlands trotz „Zeitenwende“-Versprechen in der Weltgemeinschaft stark gelitten hat. Aber dass auch Finnland über Berlin verärgert ist – das dann doch. Das nordische Land hat mit seinen fünfeinhalb Millionen weniger Einwohner:innen als Hessen, ist aber eine der stärksten Militärmächte Europas. Auch, weil Helsinki nie die Gefahr vergessen hat, die von der einstigen Sowjetunion ausging. Politik in Finnland ist daher Sicherheitspolitik.

Und genau das ist der Knackpunkt. Dass Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten in seiner Außenpolitik vor allem wirtschaftliche Ziele verfolgte, beispielsweise Nord Stream 2, ist für die Finn:innen unverständlich. Erschwerend hinzu kommt, dass die Bundesrepublik eigentlich bislang als engster und gleichgesinnter Partner in der Europäischen Union betrachtet wurde. Diese Zeiten scheinen vorbei: „In Finnland hat sich die Wahrnehmung Deutschlands in diesem Jahr stark verändert. Deutschland gilt zwar noch immer als wichtigster Partner innerhalb der EU, aber das Ausmaß deutscher Politik-Fehler in der Merkel-Ära, vor allem in der Energiepolitik, sind deutlich zutage getreten – mit gravierenden Folgen für ganz Europa“, sagt Ålander. Dass Deutschland sich in seiner Energiepolitik in eine derartige Abhängigkeit von Russland begeben hat, stößt Finnland übel auf.

Das unterstreicht der finnische Europaabgeordnete Petri Sarvamaa (EVP) ebenfalls. Auch er zeigt sich im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA bestürzt über das deutsche Russland-Verständnis. Er fragt: „Wie langsam lernt Deutschland, Russland zu lesen?“ Als Beispiel dafür nennt er die Nukleardrohungen des Kremls. Ihm sei schleierhaft, so der Finne, wie die Bundesrepublik über jedes Stöckchen, das Russland ihnen hinhalte, springen kann. Die Drohungen seien nichts weiter als ein „Bluff“, die letzten Überreste von Wladimir Putins Strategie. Sarvamaa: „Wir müssen aufwachen und erkennen, dass diese Typen nie sagen, was sie meinen, und sie meinen nie, was sie sagen. Das ist die Grundregel, um Russland zu verstehen, die Deutschland völlig missverstanden hat.“

Deutschland im Russland-Ukraine-Krieg: Vorwürfe aus Helsinki nach Berlin – Baerbock macht Versprechen

Apropos Aufwachen. Am Tag des Ausbruchs des russischen Invasionskrieges in der Ukraine sagte Annalena Baerbock einen bemerkenswerten Satz: „Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht.“ Eine Welt, in der in Europa wieder Krieg herrscht, meinte die Grüne damit. Aber schnell zeigte sich, dass es auch eine Welt ist, in der die Glaubwürdigkeit Deutschlands stark leidet. Zu langsam, zu wenig, zu defensiv sei die deutsche Reaktion auf den Ukraine-Krieg, lautet der Vorwurf, der besonders durch Osteuropa hallt.

Wir werden den Rest Europas überzeugen, dass wir tun werden, was notwendig ist, um die Ukraine zu verteidigen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grünen)

Zu unvorbereitet sei Deutschland, so Minna Ålander. „Eine schockierende Erkenntnis hier in Finnland war der Zustand der Bundeswehr. Diese vollkommene Unvorbereitetheit auf potenzielle Risiken und Krisen in Deutschland ist aus finnischer Sicht unverständlich“, so die Expertin für nordische und deutsche Sicherheitspolitik. Alle Risiken der deutschen Energiepolitik seien auf die brutalste Art und Weise eingetreten. Wohl wissend, welchen Schaden das deutsche Image genommen hat, versprach Außenministerin Baerbock auf ihrer Warschau-Reise im Oktober: „Wir werden den Rest Europas überzeugen, dass wir tun werden, was notwendig ist, um die Ukraine zu verteidigen“, – mit Verweis auf die Lieferung der Gepard-Panzer.

Nicht nur besagte Karikatur kursierte kürzlich in Finnland, sondern auch eine Videoaufnahme der finnischen Regierungschefin Sanna Marin. Ein Reporter fragt die Ministerpräsidentin nach einem Weg aus dem Ukraine-Krieg. Die 36-Jährige stutzt kurz und antwortet dann: „Der Weg aus dem Konflikt ist, dass Russland die Ukraine verlässt. Das ist der Weg aus dem Konflikt“, so die Finnin. Beim Weggehen hört man sie lachen, so überflüssig scheint ihr die Frage vorgekommen zu sein. Es ist eine solche Selbstverständlichkeit, die die Finn:innen offenbar an Deutschland vermissen.

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