Joachim Stamp: Beleidigung oder Gewalt an Lehrern sollten zum Sitzenbleiben führen

Joachim Stamp von der FDP wird Sonderbevollmächtigter für Migration. Im Interview spricht er über Rückführungen und Integration junger Menschen.
Düsseldorf – Der ehemalige Minister für Flüchtlinge und Integration in Nordrhein-Westfalen, Joachim Stamp (FDP), wird ab Februar Sonderbevollmächtigter für Migration der Bundesregierung. Schon jetzt stellt er harte Forderungen. So sollen Schüler, die wiederholt durch Beleidigung oder Sachbeschädigung auffallen, sitzen bleiben können. Der 52-Jährige im Gespräch mit wa.de von IPPEN.MEDIA.
Sie haben Ihren neuen Job noch gar nicht angetreten, da sagt Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) bereits: „Ein Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migration reicht nicht aus.“ Werden Sie unterschätzt?
Es wird darauf ankommen, dass auch die Ministerpräsidenten wie Boris Rhein und die Innenminister der Bundesländer selber tatkräftig mitwirken, damit wir zu einem Paradigmenwechsel kommen. Nämlich mehr reguläre Migration ermöglichen und irreguläre Migration reduzieren. Darum geht es im Kern. Das steht im Koalitionsvertrag und muss jetzt umgesetzt werden.
Boris Rhein fordert angesichts der steigenden Zahl an Asylanträgen eine „Rückführungsoffensive“. Die steht im Koalitionsvertrag der Ampel aus dem Jahr 2021. Warum ist da bislang wenig passiert?
Für die Rückführung sind und bleiben die Bundesländer verantwortlich. Da muss Herr Rhein selbst erstmal seine Aufgaben erledigen. Die Bundesregierung will aber die Länder zukünftig besser unterstützen. Es geht um freiwillige Rückkehr und Rückführung, aber genauso um gesteuerte Einwanderung. Wir wollen mit den Herkunftsländern echte partnerschaftliche Migrationsabkommen. Das ist die Idee.
Sie werden also sehr viel in der Welt unterwegs sein?
Wir werden sehr viele Gespräche führen, natürlich auch vor Ort. Ich bin aber noch nicht im Amt, deshalb will ich noch nicht vorgreifen. Es wird in jedem Fall eine Gemeinschaftsaufgabe mehrerer Ministerien.
Von wie vielen Menschen reden wir, die zurückgeführt werden müssen?
Es geht in erster Linie nicht um Quantität, sondern um Qualität. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, dass wir vor allem bei der Rückführung von Straftätern und Gefährdern besser werden. Hier haben wir in meiner Verantwortung in NRW mit hohem Personalaufwand Erfolge erzielt.
Sie wollen mehr Migration für den Arbeitsmarkt möglich machen. Es gibt Aussagen, denen zufolge 50 oder sogar mehr Prozent der erwerbsfähigen Menschen, die 2015/2016 nach Deutschland gekommen sind, heute von Sozialleistungen leben. Wie wollen Sie das künftig verhindern?
In Nordrhein-Westfalen haben wir Freie Demokraten in der vergangenen Legislaturperiode in der Regierung mit der CDU das Teilhabe- und Integrationsgesetz verabschiedet und damit ein echtes Einzelfallmanagement vor Ort auf den Weg gebracht. Das ist ein Quantensprung in der Integrationspolitik, der sich in vier, fünf Jahren voll entfalten wird. Es geht dabei darum, dass vor Ort alle Akteure so vernetzt werden, dass jeder Einzelfall betrachtet wird – mit dem Ziel, noch vorhandene Defizite ganz gezielt abzubauen und so dauerhafte Integration gerade auch in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Wie viel Freiraum werden Sie für Ihren neuen Job im SPD-geführten Innenministerium haben?
Ich bin noch nicht im Amt, insofern sehen Sie es mir nach, wenn ich mich zu meiner zukünftigen Tätigkeit noch nicht äußern kann. Ich bin in Nordrhein-Westfalen mit den verschiedenen demokratischen Fraktionen gut klargekommen. So soll es auch in Zukunft sein. Ich habe jedenfalls die Unterstützung von Innenministerin Nancy Faeser.
Werden Sie so eine Art Integrationsminister sein?
Nein. Staatsministerin für Integration ist Reem Alabali-Radovan, die ich aus meiner Arbeit als Integrationsminister in NRW kenne und schätze. Sie braucht keine Ergänzung.
Joachim Stamp: Wiederholte Beleidigung sollte zum Sitzenbleiben führen
Seit den Gewaltausbrüchen an Silvester gibt es eine Debatte um Migration. CDU-Chef Friedrich Merz spricht von einem veritablen Problem mangelnder Integration junger Menschen. Hat er recht?
Mir ist das zu pauschal. Ja, wir haben viele Menschen aus sehr patriarchal geprägten Ländern in den vergangenen Jahren aufgenommen. Da gibt es mitunter auch kleine „Paschas“, wie Merz sie beschrieben hat. Das ist aber nicht die Regel. Und es gibt die kleinen Paschas auch ohne Migrationsgeschichte. Ich habe erst kürzlich eine verzweifelte Lehrerin erlebt, die vor der Gewalttätigkeit und Respektlosigkeit der Jungs einer neunten Klasse kapitulierte. Die Übeltäter kommen alle aus alteingesessenen deutschen Familien in einem wohlhabenden Stadtteil. So einfach wie Merz es sich macht, ist es nicht.
Sondern?
Wir Freie Demokraten wollen eine Debatte darüber führen, wie die Repräsentanten unseres Staates den notwendigen Respekt erfahren. Da ist die Politik gefordert. Wenn es Übergriffe gibt, muss schnell geurteilt und müssen Strafen vollzogen werden. Und in den Schulen brauchen Lehrerinnen und Lehrer bessere Sanktionsmöglichkeiten, etwa wenn sie aufgrund mangelhaften Sozialverhaltens die Versetzung infrage stellen könnten.
Heißt konkret?
Ich bin überzeugt, dass es eine erhebliche Wirkung hätte, wenn wiederholte Beleidigung, Sachbeschädigung oder körperliche Gewalt zum Sitzenbleiben führen würde.
Brauchen wir eine Migrationsquote an den Schulen? Eine Deutschpflicht auf Schulhöfen?
Statt Quoten brauchen wir stärkere, individuelle Förderung. Wir brauchen mehr Personal in den Schulen, dass sich um die Kinder kümmert. Das werden wir nur mit viel mehr Quereinsteigern erreichen. Wir brauchen auch mehr männliche Erzieher und Grundschullehrer als positive Vorbilder für die Jungen. Für die Integration ist es wichtig, dass die deutsche Sprache gelernt und gesprochen wird. Das steht außer Frage. Eine intensive Sprachvermittlung erhöht die Chancen in Schule und Ausbildung und damit die Möglichkeiten auf Teilhabe. In NRW haben wir auf Initiative der FDP in der vergangenen Legislaturperiode Talentschulen in schwierigen Stadtgebieten angesiedelt, um hier mit mehr Personal unterstützen zu können. Meine Parteifreundin, unsere Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger will diesen Weg bundesweit etablieren.
Ist es sinnvoll, die Vornamen von Straftätern zu veröffentlichen?
Nein. Was soll das bringen? In dem ganzen widerwärtigen Kindesmissbrauchs-Komplex in NRW wären es übrigens fast ausschließlich traditionelle deutsche Namen. Statt über Namen müssen wir über schnelle und konsequente Strafen reden. Es ist für alle Jugendlichen unabhängig vom Namen oder der Herkunft wichtig, dass bei Fehlverhalten die Strafe auf dem Fuße folgt. Wir dürfen nicht aufgrund von Personalmangel in der Anwendung unserer Gesetze nachlassen. Dann erodiert der Rechtsstaat.
Ist das „nur“ ein Berliner Problem, wie es Bayerns Ministerpräsident Markus Söder darstellt?
Nein. Aber es ist dort sicherlich besonders stark ausgeprägt, und die Berliner Verwaltung ist entsprechend gefordert.
Journalisten nannten Sie Gutmensch und harter Hund, weil Sie integrieren und abschieben. Was passt eher zu Ihnen?
Meine Linie als Minister für Flüchtlinge und Integration in NRW war es, hart zu sein gegenüber Straftätern und Gefährdern und großzügig zu sein gegenüber denjenigen, die sich anstrengen und integrieren. Wer hier ein wertvoller Teil der Gesellschaft geworden ist, dem muss man eine Bleibeperspektive geben. Insofern ist die Beschreibung durchaus okay, auch wenn ich selbst andere Begriffe wählen würde.