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Räumung von Lützerath: Angriffe mit Molotowcocktails, Widerstand aber überschaubar

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Von: Alexander Schäfer

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Die Räumung von Lützerath hat begonnen. Einige der Besetzer leisten Widerstand – aber nicht so massiv, wie befürchtet. Gefährliche Momente für beide Seiten gab es dennoch.

Lützerath – Gegen Mittag ist Armin Laschet längst weg. Natürlich nicht der echte, sondern das Pappmaschee, das den ehemaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Kanzlerkandidaten der Union mit Narrenkappe zeigt und irgendwie den Weg von einem Karnevalswagen nach Lützerath geschafft hatte. In der vergangenen Woche stand es noch an dem gelben Ortseingangsschild von Lützerath, jetzt räumt hier bereits ein Abrissbagger den Schutt, den die Besetzer als Barrikaden zusammengetragen hatten, zügig weg.

Gegen 8 Uhr am Mittwoch (11. Januar) ist die Szenerie eine ganz andere. Da startet die Polizei ihren von Politik und Justiz bestätigten Großeinsatz in Lützerath. Mehrere hundert Einsatzkräfte aus dem gesamten Bundesgebiet sind nach NRW gekommen. Nach Informationen von wa.de sind es mehr als 1500. „Vermutlich sogar doppelt so viele“, verrät uns ein Polizist.

Räumung von Lützerath: Angriffe mit Molotowcocktails und Feuerwerkskörper

Passend zur angespannten Lage ist es zu diesem Zeitpunkt noch dunkel, und es regnet in Strömen. Polizisten und Aktivisten stehen sich gegenüber. Ein Aktivist hält eine Feuerwerksbatterie in den Händen und richtet diese auf die mit Schilden und Helmen geschützten Polizisten. Er ruft „Achtung“ und zündet die Batterie an.

Normalerweise sollte man von diesen Batterien, die einmal angezündet bis zu 100 Schuss abgeben, mehrere Meter Abstand halten. Die Polizei nimmt das zum Anlass, um gegen 8.40 Uhr vorzurücken. Verletzt wird bei dem Raketenbeschuss wohl niemand.

Gegenwehr bei Räumung von Lützerath überschaubar

Den ganzen Tag über sind Böller und Pyrotechnik auf dem Gelände zu hören. Die Polizei sagt, dass die Aktivisten auch Molotowcocktails werfen. Doch die Gegenwehr ist überraschend überschaubar. Der Großteil der in schwarz oder in weißen Maleranzügen gekleideten Klimaschützer lassen sich wegtragen. „Bitte leisten Sie keinen Widerstand“, schallt es über Lautsprecher der Polizei mehrmals. Freiwillig gehen viele jedoch nicht. „Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit“, rufen die Besetzer den Beamten entgegen.

Während die Polizei die Aktivsten nach Ankündigung einzeln wegträgt, liegen in der Nähe des Ortseingangs zwei Aktivisten bereits seit geraumer Zeit auf dem Asphalt. Ein Mann hält eine Osterkerze in der Hand, die Frau neben ihm ist 54 Jahre alt und kommt aus Dortmund. Sie berichtet einem Reporter aus den Niederlande, dass sie als Theologin aus christlicher Motivation hier sei. Sie sei beim Gottesdienst in der alten Kapelle Lützeraths gewesen als die Polizei kam.

Andere Aktivisten versuchen die Polizisten mit Worten von ihrem Einsatz abzuhalten. „Sie verbrennen unsere Erde für Geld. Hören Sie einfach auf. Es gibt ein Recht auf Dienstverweigerung“, ruft eine Frau den drei Polizisten, die sie forttragen, fast schon flehentlich zu.

Räumung von Lützerath: Besetzer uriniert vor laufenden Kameras

Einige Besetzer sind aggressiver. „Polizei von NRW – Schlägertrupp von RWE“ rufen sie den Polizisten zu, als diese gegen Mittag auf die Gebäude vorrücken. Mehr als ein Dutzend Besetzer halten sich auf den Dachfirsten der Häuser auf und spazieren dort in schwindelerregender Höhe herum. Einer von ihnen wirft Böller und Flaschen auf die Polizisten, doch verfehlt diese. Andere Aktivisten hängen in den Bäumen oder auf selbst gebauten Holzkonstruktionen.

Polizisten vor besetztem Haus in Lützerath
Viele Aktivistinnen und Aktivisten haben sich auf Dächern verschanzt und denken nicht daran, den Polizei-Aufforderungen Folge zu leisten © Alexander Schäfer

Einer will seinen sogenannten Monopod nicht verlassen und uriniert vor laufenden Kameras und in Richtung eines Plakates, das NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zeigt, wie dieser im Fernsehen verspricht, alle Dörfer in Garzweiler erhalten zu wollen. Um den Wildpinkler und die Besetzer in den Baumhäusern zu räumen, hat die Polizei Hubsteiger aufgefahren.

So zahlreich die Polizisten, so groß ist hier der Einsatz von Fahrzeugen und Gerätschaften. Drohnen kreisen über das Gebiet, ein Rüstwagen aus Hamburg hat technisches Werkzeug dabei, Räumfahrzeuge und Wasserwerfer sind auch dabei. Die Mannschaftswagen der Polizei sind kaum zu zählen.

Lage in Lützerath wird ruhiger — Polizei „sehr zufrieden“

Die Taktik der Polizei geht auf. Ihre Überzahl ist so groß, dass am Mittag – bei Sonnenschein und blauem Himmel – die Lage ruhig ist. Der Einsatz wirkt organisiert, die Kräfte gehen konzentriert und ohne Hast vor.

Am Nachmittag zeigt sich die Polizei „sehr zufrieden“ über den bisherigen Verlauf der Räumung. „Für die Polizei läuft bislang alles nach Plan“, sagt ein Sprecher. „Nach einem sicherlich durchmischten Beginn heute Morgen, wo wir ja auch teilweise Steinwürfe und Molotowcocktail-Bewürfe gesehen haben, würde ich sagen: Die Lage hat sich deutlich beruhigt.“ Man begrüße ausdrücklich, „dass sich doch eine Vielzahl von Aktivisten dazu entschlossen haben, den Bereich hier friedlich und ohne Gegenwehr zu verlassen.“

In der kommenden Nacht würden die Maßnahmen der Polizei voraussichtlich eingestellt oder zurückgefahren, so der Sprecher. Allerdings werde die Polizei jetzt durchgehend vor Ort präsent bleiben. „Wir sind vorbereitet lange durchzuhalten“, sagt uns ein Aktivist trotzig.

Diskussion um Braunkohle im Abbaugebiet Garzweiler II geht weiter

Die Diskussion um die Braunkohle im Abbaugebiet Garzweiler II dürfte weitergehen. „Über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen ein Moratorium für Lützerath. Zu viele Fragen sind offen, zu groß ist die Gefahr unsere Klimaziele zu verspielen, die politische Entscheidungsgrundlage ist fragil und hält wissenschaftlichen Prüfungen nicht stand“, twittert am Nachmittag die bekannte Klimaaktivisten Luisa Neubauer.

Neubauer hat die politisch Verantwortlichen der Grünen, die den Kohlekompromiss mit RWE ausgehandelt hatten, scharf kritisiert. Doch die weisen die Kritik zurück. Das 1,5-Grad-Ziel von Paris sei nie Ziel der Vereinbarung mit RWE gewesen. Mit dem Kompromiss erreiche man Versorgungssicherheit und den Kohleausstieg 2030. Das sei ein großer Erfolg für die Klimabewegung.

200 Prominente, darunter Katja Riemann, Peter Lohmeyer, Igor Levit und Judith Holofernes, sehen das laut eines Spiegel-Berichts anders. Sie fordern eine Neubewertung der Verträge zwischen Regierung und RWE. Das Abbaggern der Kohle von Lützerath sei nicht nur eine Frage der Existenz eines Dorfes, sondern eine Causa, die von globaler und klimapolitisch richtungsweisender Bedeutung ist. Ungeachtet dessen erledigen hunderte Polizisten am Mittwoch ihren Job.

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