1. come-on.de
  2. Nordrhein-Westfalen

Ex-Soldat rettet schwerkrankes Mädchen aus der Flut: Medaille für Dustin Raatz

Erstellt:

Von: Sarah Lorencic, Sarah Reichelt

Kommentare

Während der Flutkatastrophe im Juli 2021: Das Haus der Casparis ist vom Hochwasser umgeben, der Akku für das Beatmungsgerät der Tochter hält nicht mehr lange. Dann kommt Dustin Raatz.

Halver/Hagen – Es ist fast ein Jahr her, als Dustin Raatz aus Halver ein Mädchen aus den Hochwasserfluten in Hagen gerettet hat. Mit schwerem Gefährt war er damals im Volmetal unterwegs, um bei den Einsätzen im Juli 2021 zu helfen. Mehr als 180 Menschen starben bei der schwersten Naturkatastrophe in Deutschland vor einem Jahr in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Doch viele konnten gerettet werden – wie schwerkranke Chantal Caspari aus Hagen. Dustin Raatz rettete dem damals 13-jährige Mädchen das Leben. Dafür wird der Halveraner heute ausgezeichnet.

StadtHagen
Fläche160,4 km²
Einwohner188.713 (31. Dez. 2021)

Hochwasser-Katastrophe in Hagen und NRW: Ex-Soldat rettet schwerkrankes Mädchen aus der Flut

Es ist die Rettung eines kranken Kindes in letzter Minute. Die schwerkranke Chantal Caspari aus Hagen jedoch hatte Glück. Der Kranfahrer Dennis Raatz kämpfte sich in der Flut zu der damals 13-Jährigen durch – mit einem tonnenschweren Fahrzeug aus dem Museum. Das Mädchen im Rollstuhl ist auf ein Beatmungsgerät angewiesen, der letzte Akku war fast leer. Alle anderen Hilfsversuche hatten sich als aussichtslos erwiesen, auch die Feuerwehr kam nicht mehr durch.

Bianca Caspari (links) ist Dustin Raats dankbar, dass er ihre schwerkranke Tochter Chantal gerettet hat. Krankenpflegerin Lorena Schnur (rechts) fuhr mit Chantal im Bundeswehr-Lkw mit nach Halver.
Bianca Caspari (links) ist Dustin Raatz dankbar, dass er ihre schwerkranke Tochter Chantal gerettet hat. Krankenpflegerin Lorena Schnur (rechts) fuhr mit Chantal im Bundeswehr-Lkw mit nach Halver. © Sarah Lorencic

Es herrschen chaotische Zustände am 14. Juli 2021. Am Haus der Familie Caspari hat sich die sonst friedliche Volme in einen gewaltigen Strom verwandelt. Mutter Bianca und ihre drei Kinder sehen, wie Autos in den Fluten mitgerissen werden. Der Garten ist überflutet, im Keller stehen die Wohnräume schon zu 1,20 Meter im Wasser. Das größte Problem an diesem Mittwoch: „Der Stromkasten im Keller stand unter Wasser, wir mussten den Strom abschalten“, erzählt Bianca Caspari. Für Chantal beginnt der Countdown um Leben und Tod. Sie hat zwei Akkus mit jeweils vier Stunden. Die Zufahrtsstraßen zum Haus sind nicht mehr passierbar.

Dustin Raatz rettet schwerkrankes Mädchen aus den Fluten der Hochwasser-Katastrophe

Zeitgleich bietet Kranfahrer Dustin Raatz im 25 Kilometer entfernten, ebenfalls schwer vom Hochwasser getroffenen Altena seine Hilfe an. „Aus Altena gab es auch für Feuerwehrfahrzeuge schon früh kein Raus- und Reinkommen mehr“, erinnert sich der 36-Jährige. Und das schon bei einem Wasserstand von deutlich unter einem Meter.

Der frühere Soldat sammelt Bundeswehr-Fahrzeuge, besitzt einen robusten Zwölftonner, der bis zu einer Wassertiefe von 1,50 Meter klarkommt. Der Koloss steht im Technikmuseum in Plettenberg. Dustin Raatz holt ihn –100 Kilometer hin und zurück. Sein erster Einsatz mit dem MAN Kat1: Rettung von Chantal.

Rettungswagen kommt nicht durch die Fluten - Akku des Beatmungsgeräts fällt bald aus

Ihre Mutter hat seit dem Nachmittag immer wieder einen Rettungswagen angefordert. „Um 22 Uhr war mein letzter Hilferuf, da hatten wir noch ungefähr zwei Stunden Akku. Ich war fertig, voller Adrenalin. Wir saßen hier im Dunkeln und haben gehofft, dass Rettung kommt.“ Dustin Raatz hat sich derweil durch die Wassermassen nahe ans Haus gekämpft – einen Sanitäter, Feuerwehrleute und medizinisches Equipment an Bord.

„Ich kenne das Fahrzeug und weiß, was es kann, habe einfach nur funktioniert“, schildert der 36-Jährige. Er war jahrelang Ersthelfer bei Verkehrsunfällen, als Soldat auch im Kosovo und in Afghanistan stationiert, behält die Nerven. Erst Tage später wird ihm die eigene Gefahr bewusst: Als die Wassermassen weichen, sieht er, dass er auf Straßen unterwegs war, die eigentlich keine mehr waren, wo die Ränder breit weggebrochen waren.

Mit schwerem Gerät wagte sich Dustin Raatz 2021 ins Hochwasser und konnte so Leben retten.
Mit schwerem Gerät wagte sich Dustin Raatz 2021 ins Hochwasser und konnte so Leben retten. © Lorencic

Dennis Raatz rettet viele Menschen aus der Hochwasser-Katastrophe

Vor einer erhöhten, trocken gebliebenen Stelle am Haus der Casparis trägt Mutter Bianca ihre Tochter die letzten Meter zum Lkw. Nach einer Operation kann das Kind kaum sitzen, will sich nur von der Mutter tragen lassen. „Irgendwie bin ich drei Meter groß geworden und habe sie dem Sanitäter nach oben auf den Lkw gereicht.“ Es ist inzwischen stockdunkel, bald 23 Uhr. „Der Akku reicht noch für eine Stunde. Ich hatte solche Angst, dass auf dem Weg noch was passiert“, sagt Bianca Caspari.

Weil der Weg ins nächste Krankenhaus selbst für seinen hochbeinigen Zwölf-Tonner versperrt ist, bringt Dustin Raatz das Kind ins gut 20 Kilometer entfernte Halver zu einer Krankenschwester. Auf dem Weg dahin hilft er noch zwei Senioren aus ihrem umspülten Haus. „Sie sind aus dem Fenster direkt auf meine Ladefläche gestiegen.“ Am Tag danach, als das Ausmaß der Zerstörung in Teilen von NRW und Rheinland-Pfalz mit vielen Todesopfern klar wird, telefonieren Bianca und Dustin: „Wir haben nur geheult.“ Der 36-Jährige rettet noch weitere Menschen, aber Chantal liegt ihm besonders am Herzen.

Chantal Caspari kann nur dank ihres Retters ihren 14. Geburtstag feiern

Ihren Geburtstag im September hat er mit ihr gefeiert. Chantal ist bewusst, dass sie ohne Dustin Raatz wohl keinen 14. Geburtstag mehr erlebt hätte. Sie ist ihm dankbar – kann sich wegen ihrer Erkrankung nur schwer artikulieren.

Er versteht sie trotzdem, ist gerührt: „Das habe ich doch gern gemacht.“ An diesem Dienstag wird er von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) für seinen selbstlosen, mutigen Einsatz mit der Rettungsmedaille des Landes NRW ausgezeichnet.

Auch interessant

Kommentare