Turbulente Zeiten: Die Veranstaltungsbranche im MK und die Corona-Folgen

Es sind „turbulente Zeiten“ in der Veranstaltungsbranche, wie Phillip Nieland, Chef der Lüdenscheider Stadtmarketing GmbH, Mitorganisator des Bautz-Festivals und ehemaliger Betreiber des Johnny Mauser Clubs sagt. Nachdem die Corona-Pandemie die Branche „wie ein Donnerschlag“ getroffen hatte und das Nachtleben viele Monate stillstand, sollte man meinen, die jungen Menschen seien feierlustiger denn je. Doch Sorgen vor dem Krieg, vor Corona, vor hohen Energiekosten und Ticketpreisen machen einen Strich durch die Rechnung.
Lüdenscheid – Während große Unternehmen wie Ticketmaster und Livenation mit Rekordgewinnen prahlen, müssen kleinere Clubs zum Teil schließen und kleine Künstler draufzahlen, um auf Tour gehen zu können. Dabei sah die Lage vor der Pandemie noch so vielversprechend aus.
„Die Situation um den Jahreswechsel 2019/2020 war gut. Man hatte das Gefühl, die neue Generation will vor die Tür gehen“, erinnert sich Nieland. Durch die Pandemie seien viele Unternehmen, Clubs und Veranstalter gut gekommen, der Staat habe in vielen Fällen unterstützt. „Künstler sind nicht so gut durchgekommen“, ist Nielands Eindruck. Während Corona seien dann viele Veranstaltungen verschoben worden. Vereinbarte Verträge und Gagen blieben gleich, während die Kosten zum Beispiel für Technik oder Agenturen gestiegen sind. 2022 konnten die Veranstaltungen dann häufig nachgeholt werden, „da fand alles auf einmal statt“, sagt Nieland. Die Besucher hätten sich häufig für die größeren Veranstaltungen entschieden, mit steigender Inflationsrate hätten sie immer mehr auf das Geld geachtet. „Die sparen bei Kultur dann vielleicht eher bei kleineren Sachen“, sagt Nieland.
Man darf nicht zu pessimistisch sein, wir sind viel zu wenig selbstbewusst in Lüdenscheid. Wir dürfen keine kleinen Brötchen backen.
Dabei sind es vor allem die kleinen Clubs und unbekannteren Bands, die eine wichtige Grundlage für die gesamte Branche bilden. Als Mitorganisator des Bautz-Festivals dürfte sich Nieland natürlich über einen großen Zulauf für die zweitägige Veranstaltung freuen. Als ehemaliger Clubbesitzer seien allerdings auch das regelmäßige Nachtleben und die kleinen Locations ein Herzensthema für ihn. „Stock, Eigenart, Ballermann 6, Saitensprung“, zählt er die einstigen Möglichkeiten zum Ausgehen und Tanzen in Lüdenscheid auf. Viel ist davon über die Jahre nicht übrig geblieben. „Das kulturelle Angebot für Lüdenscheid darf nicht zum Lost Place werden“, warnt er.
Aber wie kann man gegensteuern? „Wir haben gerade zu wenig Leute, die vorangehen“, sagt er. Im Johnny Mauser habe man auch immer wieder urbanere Sachen versucht und neue Bands und DJs nach Lüdenscheid geholt. „Man darf nicht zu pessimistisch sein, wir sind viel zu wenig selbstbewusst in Lüdenscheid. Wir dürfen keine kleinen Brötchen backen“, findet er. Lüdenscheid sei mittlerweile alleine wegen des Bautz-Festivals bei Künstlern und Agenturen bekannt. Es brauche Leidenschaft und Idealismus, „aber ich glaube, die Leute im Nachtleben haben das.“
Kostendeckung als Ziel der Tour
Viel Leidenschaft ist aktuell auch bei kleineren Bands gefragt, wie Sven Prillwitz berichtet. Mit der Lüdenscheider Punkrock-Band Graupause ist er gerade auf „Gestern wird super“-Tour unterwegs. „Es war ein Krampf, überhaupt einen Fuß in die Tür zu kriegen“, erzählt er. Im September und Oktober vergangenen Jahres fanden die ersten sechs Shows statt, von Januar bis Mai folgt nun der zweite Teil der Tour mit 14 Auftritten. „Viele Shows werden noch nachgeholt wegen Corona, entsprechend voll waren dann auch die Clubs“, sagt Prillwitz. Nach der Pandemie seien die Veranstalter außerdem vorsichtiger geworden, und die gestiegenen Preise machten der gesamten Branche zu schaffen. Für die Band Graupause sei das Ziel der Tour gewesen, die eigenen Kosten decken zu können. „Wenn da 100 Euro übrig bleiben, ist das schon ein Erfolg“, sagt Prillwitz. Viele Bands seien damit allerdings nicht zufrieden, einige Auftritte seien geplatzt, was das Risiko für die Veranstalter wiederum erhöht. „Wir beobachten das ganz gespannt“, sagt Prillwitz.
Dass die Menschen lieber auf zwei oder drei größere Events im Jahr gehen, anstatt regelmäßig kleinere Konzerte zu besuchen, merkt Prillwitz trotzdem im Austausch mit Kollegen. Tricks der großen Unternehmen wie „dynamic Pricing“ oder „Platin-Tickets“, bei denen bestimmte Ticketkontingente schon von vorneherein zurückgehalten werden und der Preis anschließend ohne zusätzliche Leistungen deutlich angehoben wird – weil es die Nachfrage hergibt – führen dazu, dass bei den Kunden weniger Geld für kleinere Veranstaltungen übrig bleibt. Doch Phillip Nieland ist trotzdem zuversichtlich. „Auch denen wird bewusst sein, dass ohne Subkultur und kleine Clubs auch ihr Modell nicht funktioniert. Die sind ja nicht doof, die haben ja auch mal klein angefangen“, sagt er. Was das Bautz-Festival angehe, ignoriere man große Anbieter wie Eventim momentan, für lokale Veranstaltungen sei man auf die Reichweite nicht angewiesen. „Wir haben uns bewusst für diesen Weg entschieden, um den fairsten Preis anbieten zu können“, sagt Nieland.
Wir haben drei schräge Jahre hinter uns, da brauchen wir schöne Momente, was, worauf wir stolz sein können.
Denn den „Bautz-Effekt“, möchte man auch in den kommenden Jahren möglichst vielen Menschen ermöglichen. „Das war 2022 schön zu sehen, für ein paar Tage waren alle fröhlich“, erzählt er von seinen Eindrücken. „Wir haben drei schräge Jahre hinter uns, da brauchen wir schöne Momente, was, worauf wir stolz sein können.“
Wie es mit der Branche nach der „Post-Corona-Konzertflut“ weitergeht, sei in diesen Zeiten schwer vorherzusagen. Für das Bautz-Festival erwarte man etwas ruhigeres Fahrwasser. „Man muss abwarten, wie es sich entwickelt“, sagt Nieland. Und auch Sven Prillwitz zeigt sich optimistisch: „An anderen Stellen fragt man sich schon, wo die Menschen bleiben. Wir haben diese Erfahrung zum Glück noch nicht gemacht.“ Nicht nur die Graupause-Fans seien dankbar, dass die Normalität zurückkehrt, auch die Musiker seien sich bewusst, dass ausverkaufte Gigs in der aktuellen Zeit keine Selbstverständlichkeit sind.