Neuer Klimaschutzbeauftragter: „Lehne ideologische Ansätze ab“

Seit dem 1. Juni hat die Stadt Lüdenscheid einen neuen Fachbereichsleiter: Marcus Müller ist für den Bereich Umwelt und Klima zuständig. Ein Gespräch mit dem neuen Dezernenten.
Lüdenscheid – Im Büro von Marcus Müller führen Berge von Akten, ein Wimpel von Schalke 04 und ein Elf-Freunde-Poster vom jungen Olaf Thon eine friedliche Koexistenz. Seit dem 1. Juni ist Müller der neue Leiter eines neuen Fachbereichs bei der Stadt Lüdenscheid – des Fachbereichs „Umwelt und Klima“.
Als Klimaschutzbeauftragter nach Lüdenscheid gekommen, hat der 51-Jährige aus Wetter/Ruhr nun eine Dezernentenstelle im Rathaus und soll die Stadt in Sachen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimaneutralität weiterentwickeln.
Im Gespräch mit Thomas Machatzke schaut der Schalke-Fan, der inzwischen mehr für Umweltthemen als für den Fußball brennt, auf seine Aufgabe.
Neuer Klimaschutzbeauftragter: „Lehne ideologische Ansätze ab“
Marcus Müller, ganz neu sind Sie in Lüdenscheid nicht mehr. Allerdings sind Sie nun der Leiter des neuen Fachbereichs. Wie sind Sie zum Klima- und Umweltschutzthema gekommen in Ihrem Leben?
Das fing ganz früh an, eigentlich schon in der Kindheit. Da habe ich mich für Ornithologie interessiert. Ich bin dann in den Naturschutzbund eingestiegen. Erst in Hagen, als ich dort noch gewohnt habe. Dann im Ennepe-Ruhr-Kreis. Dort fehlte der ehrenamtliche Unterbau. So bin ich dort nach drei Monaten gefragt worden, ob ich Vorsitzender werden will. Zehn Jahre war ich das dann bis 2014. In dieser Zeit sind wir einer der größten Verbände in NRW geworden – wir sind von 200 Mitgliedern auf 1400 gewachsen. Gleichzeitig habe ich mir gedacht: Wenn du etwas erreichen willst, musst du dich vernetzen. Deshalb habe ich auch den Weg in die Politik gefunden, war als Sachkundiger Bürger in Gevelsberg zehn Jahre im Stadtentwicklungsausschuss unterwegs. Erst für den Nabu, dann auch für eine Fraktion, um Dinge besser platzieren zu können.
Für welche Partei?
Damals für die SPD. Das passte einfach. Mein Vater war 50 Jahre SPD-Mitglied. Irgendwie wurde mir die Partei also schon in die Wiege gelegt. Mein Vater war Jugendamtsleiter der Stadt Hagen, da habe ich vielleicht auch das Verwaltungsgen her. Ich habe dann Geografie studiert in Bochum. Ein ganzheitlicher Ansatz: Ehrenamt beim Nabu, Studium, Kommunalpolitik – das war ein Weg, der mir heute hilft, Politik, Verwaltung und Naturschutz zu verstehen und eine Vermittlerrolle einzunehmen.
Wie ging es weiter?
2012 bin ich zur Energieagentur NRW gewechselt. Da war ich der erste Klimanetzwerker in NRW. Unter Rot-Grün lief die Energieagentur, die es nun seit Anfang des Jahres nicht mehr gibt, unter der Führung des Klimaschutzministeriums von Herrn Remmel. Herr Remmel war mein Vorgesetzter und hat das Thema Klimaschutz stark gespielt. Wir waren der operative Arm des Ministeriums vor Ort und in den Regionen. Ich saß bei der Bezirksregierung in Arnsberg, nicht angestellt, hatte dort aber mein Büro. Ich sollte die Bezirksregierung bei Energiethemen unterstützen. Es gab den neuen Regionalplan, die Potenzialstudie Erneuerbare Energien. Da habe ich Veranstaltungen moderiert, Beratungen in Kommunen durchgeführt. Es war die Zeit der Windenergie. Ich habe auch viel Unmut in der Bevölkerung erlebt. Thematisch bin ich deshalb besonders sensibilisiert.
Sie kennen also auch die andere Seite ganz gut…
Ich bin auf jeden Fall zu einem guten Netzwerker geworden. Nur mit gemeinsamer Kommunikation kann man einen gemeinsamen Weg gehen. Deshalb bin ich immer dafür, Konsens hervorzurufen. Die Bürgerinnen und Bürger, mit denen man zusammenarbeitet, sollen mitgenommen werden. Nach Arnsberg zur Bezirksregierung gibt es natürlich noch immer einen guten Draht. Die Wege sind kurz.

Lassen Sie uns auf Lüdenscheid schauen: Zufrieden ist man nie. Aber wenn sie auf Nachhaltigkeit und Klimaneutralität schauen – wo steht Lüdenscheid?
Wir haben gute Ansätze, sind an einigen Stellen weiter gekommen. Aber es gibt auch noch viel Luft nach oben. Wir mussten in den vergangenen Jahren erst einmal viel Grundlagenarbeit machen und gleichzeitig die ersten Maßnahmen auf den Weg bringen. Da sehe ich uns auf einem guten Weg. Bei der Klimaneutralität bin ich etwas zurückhaltend. Die ist nicht mal eben gemacht. Wir haben in Deutschland eine Sanierungsrate von etwa 1,0 Prozent im Bestand, die müsste deutlich erhöht werden. Wir wissen, wie Schulen und Kindergärten zum Teil aussehen in den Städten. Da gibt es viel Sanierungsbedarf. Wenn ich Klimaneutralität ernst nehme, muss ich jeden Stein zweimal umdrehen und schauen: Ist der klimaneutral hergestellt worden. Da gibt es noch viel Diskussions- und Informationsbedarf. Ich bin immer der Meinung man sollte nichts überstürzen und die Dinge überlegt angehen. Es hat sich viel verändert, es wird sich viel ändern. Wir sind da überall dran. Stück für Stück, wir fügen die Bausteine zusammen.
Stichwort Bausteine: Zuletzt fehlte für die Begleitung des Weges zur Klimaneutralität als wichtiges Instrument das Energiemanagement. Gibt es da Fortschritte?
Da sind wir dran. Nächstes Jahr ist das bei der ZGW vorgesehen. Wir wollen nun die Vorarbeiten leisten, wollen Grund reinbringen, müssen für uns Klimaneutralität definieren. Wir haben zum Beispiel Gespräche mit der Stadt Münster geführt, die 2030 klimaneutral sein will. Zu schauen, wie andere es gemacht haben, ist für uns eminent wichtig. Wir haben bei uns zwar eine CO2-Bilanzierung, aber die ist nicht gebäudescharf. Da müssen wir ran, das ist der nächste Weg.
Im vergangenen Ausschuss hat Grünen-Ratsherr Stach mit einem Schreiben aus Arnsberg überrascht, in dem die Kommunen angesichts der Energiesituation aufgefordert wurden, schnell erneuerbare Energien auszubauen. Ist da etwas passiert seitdem?
Wenn wir an die großen erneuerbaren Energien denken wie zum Beispiel an die Windkraft, dann sind die Möglichkeiten für Lüdenscheid begrenzt. Wie sich da die Ansätze aus Berlin in der Fläche auswirken werden, kann man noch nicht sagen. Durch die Abstandsflächen ist angesichts der Topografie nur sehr begrenzt etwas möglich. Was Freiflächensolaranlagen angeht, da sind wir im Gespräch. In Kleinleifringhausen an der Autobahn war eine Photovoltaikanlage ja schon in der Vergangenheit angedacht. Vielleicht müssen wir das nochmals andiskutieren. Wir setzen daneben auf private Anlagen. Das Thema Balkonkraftwerke ist durch. Wir haben das Förderprogramm aktuell geschlossen, weil die Gelder komplett abgerufen sind. Für größere Anlagen ist aber noch genügend Geld im Topf. Wir versuchen bei allen Dingen einen Dreiklang: Wir fordern und versuchen auf der anderen Seite, finanzielle Anreize zu schaffen und thematisch zu sensibilisieren. Es wäre schön, wenn die Stadt auch selbst Förderprogramme auflegen könnte.
Sie haben die Förderung durch die Billigkeitsrichtlinie angesprochen. Das ist ja nun nicht ganz optimal gelaufen. Eigentlich sollte das Geld in ein Mehrwegsystem fließen. Das durfte dann nicht gefördert werden. Und nun gibt es eine Lösung, die man auch als eine Art Notlösung verstehen könnte…
Wir haben uns früh mit dem Thema beschäftigt, haben dann erst einmal Ideen kreiert. Wenn man die Förderrichtlinien durchliest, passt für den Laien erst einmal viel hinein. Wir hätten das Mehrwegsystem gern damit abgedeckt. Die Information, dass das so nicht klappt, kam spät. Aber vor dem Hintergrund, was gerade seit Februar in der Welt passiert, bin ich froh, dass wir das nun so gemacht haben. Und das Thema Mehrweg ist nicht weg.

Es wird andere Lösungen geben.
Ja, es hat ein Gespräch mit der Dehoga gegeben. Die LSM und andere Partner werden dazu genommen. Da kriegen wir etwas hin. Ein Mehrwegsystem wird 2023 ohnehin verpflichtend eingeführt. Da gab es auch negative Rückmeldungen von Bürgern, die gefragt haben, weshalb man dann überhaupt noch Geld dafür ausgeben will. Wir hatten 114 000 Euro aus der Billigkeitsrichtlinie, die haben wir nun gesplittet, auch fürs Energiemanagement und die Lastenräder.
Sind die schon da?
Nein, die müssen jetzt beantragt werden.
Gibt es schon Pläne, wie die genutzt werden?
Ja, die ZGW wird auf jeden Fall eines bekommen, zum Beispiel fürs Facility-Management. Es gibt viele Ideen. Wir haben bei der Stadt seit Jahren drei Bikes. Die wurden erst gar nicht genutzt, aber jetzt läuft es. Ziel ist es, die Fahrräder auch der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Das ist machbar. In anderen Städten funktioniert das auch.
Schauen wir auf Ihren Fachbereich: Er ist spät ans Laufen gekommen, und personell war vieles schwierig. Gibt es da nun eine gute Perspektive?
Man hat immer die finanziellen Möglichkeiten der Stadt im Blick. Ich habe hier 2019 angefangen. Wenn ich die Entwicklung sehe, bin ich erst einmal glücklich und zufrieden. Ich habe als Klimaschutzmanager angefangen. Nun gibt es einen Fachbereich, ich bin Dezernent – das freut einen erst einmal. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es erleichtert die Zusammenarbeit mit SELH und STL. Personell sind wir natürlich am Limit bezogen auf den Fachdienst 67. Wir werden uns personell und inhaltlich neu aufstellen müssen, da uns Kolleginnen und Kollegen aus Altersgründen verlassen werden. Ich bin aber guter Dinge, dass wir den Übergang schaffen.

Also wird alles gut…
Personell ist nicht die Erwartung, dass wir ein Riesenfachbereich werden. Ich setze bei Neueinstellungen auf einen ganzheitlichen Ansatz und möchte ein schlagkräftiges Team installieren, bei dem die fachliche Expertise auf mehrere Schultern verteilt liegt. In den nächsten Wochen wird die offene Stelle im Bereich Landschaftsplanung ausgeschrieben. Es wird eine neue Klimaschutzstelle geben – da stehen wir ebenfalls kurz vor der Ausschreibung. Es wird eine neue Orga-Stelle geben, die aber auch inhaltlich arbeiten soll. 2023 wird eine Stabsstelle für nachhaltiges Bauen dazukommen. Auch inhaltlich sind wir auf einem guten Weg.
Das bedeutet?
Wir bearbeiten einige Querschnittsthemen, wie Klimaschutz, Klimaanpassung und Nachhaltigkeit. Da setze ich auch auf die Kolleginnen und Kollegen anderer Fachdienste. Ich wünsche mir in jedem Fachdienst Menschen, die diese Themen mitdenken. Wir haben seit 2019 ein verwaltungsinternes Kernteam im Bereich der Nachhaltigkeit. Das noch weiter auszubauen, ist unser Ansatz für die nahe Zukunft. Das Thema ist da. Man merkt, dass es ankommt, in der Verwaltung, aber auch in der Politik. Das hätte ich vor drei Jahren so nicht gedacht. Lüdenscheid ist auf einem guten Weg.
Aber noch nicht am Ziel…
Da sind dicke Bretter zu bohren. In der Bevölkerung hat nicht jeder das Thema auf dem Tableau. Wir müssen die Menschen in ihren Lebenswelten abholen. Und da müssen wir vorsichtig sein, wenn wir auf die Entwicklung in der Welt schauen. Allein die Energiepreise und die Gasumlage: Es gibt Menschen, die können es finanzieren, und andere, die das nicht können. Denen kann ich im Moment nicht mit Nachhaltigkeit kommen. Da muss man zurückhaltend sein. Toll ist, dass wir jetzt gerade einen Förderbescheid bekommen für die Quartiersentwicklung Kluse/Tinsberg. Hier gilt es, Maßnahmen zu entwickeln, die passgenau sind. Die wollen wir gemeinsam entwickeln. Durch die gute Zusammenarbeit in der Stadt, aber auch durch gute Netzwerke.
Also unterm Strich fällt das Zwischenfazit positiv aus?
Ich denke, wir haben uns in NRW im Klimaschutz und in der Nachhaltigkeit einen guten Namen gemacht mit vielen Projekten, die wir auf den Weg gebracht haben. Deshalb bin ich guter Dinge, dass es auch weitergeht. Vielleicht nicht immer so schnell wie bisher. Zudem muss man auch schauen, dass sich alle mitgenommen und beteiligt fühlen – daher lehne ich ideologische Ansätze generell ab. Man muss halt schauen, was passt nach Lüdenscheid? Wenn es zum Beispiel keine Windkraft ist, dann muss es etwas anderes sein.
Marcus Müller, vielen Dank für das Gespräch!