Brückenopfer: Letzter Arbeitstag auf den Raststätten Sauerland

Das war‘s: Am letzten Arbeitstag auf den Raststätten Sauerland West und Ost ist gelaufen. Sauber, modern, aber ohne eine Zukunft präsentierten sich die Raststätten bis zum bitteren Ende.
Lüdenscheid – Die junge Frau und die beiden Männer im Peugeot Cabrio mit dem Frankfurter Kennzeichen wissen es vielleicht nicht, als sie auf dem kleinen Parkplatz neben den Zapfsäulen Selfies machen. Wissen nicht, dass ihre Selfies zu den letzten zählen dürften, die hier auf der Raststätte Sauerland West zwischen den A45-Anschlussstellen Lüdenscheid und Lüdenscheid-Süd geschossen werden. Das Trio hat sich gerade mit Kaffee versorgt, eine kurze Pinkelpause. Nun noch die Selfies, erst trägt der Mann einen Piratenhut, dann die Frau. Karnevalsreisende. Sie lachen, haben Spaß. Auch die Sonne strahlt. Das Bild ist unwirklich. Dann legt der Piratenpeugeot wieder ab, und die Tristesse ist zurück.
Am Mittwoch um 6 Uhr wurde hier, wo eigentlich nie abgeschlossen wurde, abgeschlossen. Gut 14 Monate hat Tank & Rast durchgehalten mit den Raststätten Sauerland West und Ost seit der Sperrung der Talbrücke Rahmede. Nun zieht man die Reißleine. 17 Mitarbeiter verlieren ihren Job im Verbund mit den Raststätten Rölveder Mühle und Kaltenborn, die weiter bestehen dürfen. 50 Prozent der Besatzung. Gekündigt über einen Sozialplan, den der Betriebsrat ausgehandelt hat, nachdem Tank & Rast den Mitarbeitern Anfang Dezember die Pläne zur Schließung Mitte Februar mitgeteilt hat.
Am letzten Vormittag stehen drei Frauen und ein junger Mann hinter dem Tresen der „Espresso Bar“ und warten auf Kundschaft. „Klar hat man so etwas befürchten müssen, wir sind ja meistens mehr Mitarbeiter als Kunden gewesen“, sagt eine der Frauen. Eigentlich soll zwar nur die Pressestelle von Tank & Rast Auskünfte erteilen, aber am letzten Tag machen die Mitarbeiter mal eine Ausnahme. „Wir haben gedacht, wir hätten einen Versorgungsauftrag. Darauf haben wir gehofft“, sagt die Frau.
In Lichtendorf auf der A1 ist jetzt die nächste Autobahntankstelle
Aber auch für Versorgungsauftragsregelungen scheint es Lösungen zu geben. Jedenfalls schließen nun die beiden nördlichsten Tankstellen auf der Sauerlandlinie A45, die es gibt. Wer von Siegen gen Norden fährt, findet erst wieder in Lichtendorf auf der A1 die nächste Autobahntankstelle. Nun gut, wer von Siegen ins Ruhrgebiet will, kommt ja nun auch zwangsläufig auf Lüdenscheider Stadtgebiet an Tankstellen vorbei. Da ist es zumeist sogar deutlich günstiger als auf der Autobahn.
Die Raststätte Sauerland West hat Tank & Rast erst 2016 eröffnet. Die meisten Mitarbeiter sind seitdem dabei. Auch am letzten Tag hat sich der Ort, an dem der Gast früher einmal Fisch von der Nordsee essen konnte, eine Currywurst oder auch ein Stück Kuchen zum Cappuccino oder Café au lait, noch einmal herausgeputzt. Die Toiletten sind einladend sauber, modern und frisch. „Good Morning, Monkey“, werden die WC-Gäste beim Händewaschen von einem Schimpansen auf einem modernen Display begrüßt. Es gibt Raststätten in Deutschland, da möchte man weglaufen. Diese gehört nicht dazu. Sie ist ein einladender Ort.
Der Weg zurück von der Toilette in den piccobello sortierten und sauberen Verkaufsraum deutet indes auf das nahende Ende hin. Viele Regale sind leer, Teile der Kühlung auch. Es ist nurmehr ein Abverkauf, und was nicht verkauft wird, wird demnächst wohl auf der anderen Seite der Bedarfsumleitung an der Rölveder Mühle verkauft werden. Die Zigaretten und Schokoriegel und Sonnenbrillen und Bücher. Zeitschriften gibt es auch jetzt schon nicht mehr. Und auch kein Super und Diesel an den Zapfsäulen. Fast alle Tanks sind leer und werden für den letzten Tag auch nicht mehr gefüllt. Nur noch AdBlue und Supreme-Diesel sind zu haben an diesem letzten Tag. Also das, was weniger nachgefragt ist.
Kinderspielecke ist mit den Tischen und Stühlen der Außengastro zugebaut
Fisch und auch Currywurst gebe es schon seit Monaten nicht mehr, verrät eine der drei Frauen. Die Kinderspielecke ist mit den Tischen und Stühlen der Außengastro zugebaut. Auch hier fehlt die Nachfrage. Welche Familie mit Kindern macht hier noch Pause? Welcher Fischfan? „Erst hatten wir Corona, dann die Brücke: Wer Lüdenscheid geschafft hat und wieder auf der Autobahn ist, der gibt Gas, um die Zeit aufzuholen“, sagt der junge Mann hinterm Tresen: „Würde ich ganz genauso machen...“

Das Personal sucht sich Aufgaben, auch am letzten Tag. Der junge Mann nimmt sich der Dallmayr-Kaffeemaschine an, die den Eindruck macht, als müsse man sich ihrer eigentlich gerade gar nicht annehmen. Zwei Handwerker machen Kaffeepause und erneuern dann einen Feuermelder, den bald auch niemand mehr hören wird, wenn das Haus leer steht.
Restart in vier oder fünf Jahren, wenn die Brücke steht? „Ja, das hat man so gesagt“, sagt eine der Frauen. Aber was hilft es jetzt? Einen neuen Job hat noch keiner der Gekündigten. Eine der Frauen kommt aus Siegen. Wenn Tank & Rast dort eine Raststätte hätte, hätte sie vielleicht dort anfangen können. Doch Tank & Rast gehört auf der Raststätte Siegerland nur das Grundstück, die Raststätte betreibt ein Pächter. Auch keine Möglichkeit.
Die Sonne passt nicht zur Tristesse
Fast zwei Stunden sind vergangen. Die Sonne lacht noch immer. Regenwetter oder Nebel wie so oft in den vergangenen Wochen wären passender für den Anlass. Die Sonne passt nicht zur Tristesse. Am Abend, im Dunkeln, wird diese Tristesse noch greifbarer werden, dann für die letzte Spätschicht. Aber soweit ist es noch nicht. In der Auslage warten zwei Stücke Salamipizza und zwei Paninis auf Abnehmer, aber niemand findet sich. Auch der junge Lkw-Fahrer mit den asiatischen Wurzeln aus Dortmund kauft nur eine Flasche Wasser und sucht dann wieder das Weite.
Am Mittwoch um 6 Uhr wird ein Bauzaun die Zapfsäulen abriegeln. Der Zaun steht bereit. Die Verantwortlichen von Tank & Rast werden es sich vor Ort anschauen. „Elefantenrunde“, sagt eine der Frauen. Für Mittwoch haben sich die Chefs angesagt, um zu regeln, was dann noch zu regeln ist.
Der Job an den beiden Raststätten ist dann für 17 Mitarbeiter bereits Geschichte. Eine der Frauen hat am Montag WDR geschaut. Landtag, Wüst. „Der war damals Verkehrsminister. Wenn er die Brücke repariert hätte, dann würde es jetzt noch weitergehen“, sagt sie traurig – und in diesem Moment auch verärgert. Die Schuldfrage, um die man sich seit Wochen in Düsseldorf streitet, muss nicht vor Gericht geklärt werden und auch nicht im Landtag, beim Bürger bleibt auch so etwas hängen. Die Botschaft: Die da oben haben’s verbockt mit der Brücke. Und damit auch mit der Zukunft der beiden Raststätten. Aus der Nummer kommt auch Wüst nicht mehr heraus.