„Immer häufiger“, berichtet Apothekerin Dina Ramadan, „muss ich zum Beispiel der Mutter eines kranken und fiebernden Kindes sagen, dass ich ihr nicht helfen kann.“ Derzeit seien mehr als 250 Medikamente gegen chronische oder akute Erkrankungen nicht zu kriegen – darunter die komplette Bandbreite an Antibiotika. Mangelware sind demnach auch etwa Insulin oder Blutdrucksenker. Das erste Mittel der Wahl bei Scharlach, nämlich Penicillin, „gibt es schon lange nicht mehr“. Amoxicillin als Alternative bekomme man auch kaum noch.
Leidtragende sind in erster Linie Patienten, die ein Rezept einlösen wollen und dann gezwungen sind, ihr Präparat in einer der anderen Lüdenscheider Apotheken zu suchen – allzu häufig erfolglos. Doch Alarm schlägt Apotheker Dr. Scholz auch deshalb, weil die Fahndung nach Ersatzmedikamenten „lächerlich gering“ vergütet werde.
Präparate in anderer Stärke oder von einem anderen Hersteller zu besorgen als auf dem Rezept vorgesehen, erfordere Zeit und Fachwissen, so der Pharmazeut. „Wir brauchen das Okay der Mediziner, müssen das mit dem Patienten abklären, wir brauchen dann ein neues Rezept und setzen einen Boten ein, der dem Patienten das Medikament nach Hause bringt, sobald es eingetroffen ist.“
Das alles dauere im Zweifel fast eine Stunde, „wenn’s gut läuft“. Für ein solches „Lieferengpass-Management“ gewährt der Gesundheitsminister den Apothekern laut Wolfgang Scholz eine Vergütung von 50 Cent pro Rezept. Anhand der Gehälter seiner Mitarbeiter hat der Inhaber der Hirsch-Apotheke errechnet, wie viel Zeit er mit 50 Cent überhaupt vergütet bekommt. „Es sind gerade einmal 18 Sekunden. Ich weiß nicht, wie man das in der kurzen Zeit schaffen soll. Das ist ein absoluter Witz.“
Früher war Deutschland die Apotheke der Welt. Heute ist es Entwicklungsland. Wir sind Bittsteller auf dem Weltmarkt.
Früher sei Deutschland die „Apotheke der Welt“ gewesen, schimpft der Unternehmer. „Jetzt ist es Entwicklungsland, wir sind Bittsteller auf dem Weltmarkt.“ Apotheken machten vermehrt zu, Unternehmen der Pharma-Industrie „hauen ab oder werden aufgekauft“. Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern von Medikamenten oder eine überbordende Bürokratie – „das gehört alles abgeschafft“, sagt Dina Ramadan. Ihr Chef sagt: „Der Minister hat überhaupt keine Ahnung von Apotheken. Was bildet der sich eigentlich ein?“
Medikamente wie Pillen, Salben oder Säfte selbst herzustellen, das sei in gewissem Maße möglich, so der streitbare Pharmazeut. Aber durch die neu gefasste Apotheken-Betriebsordnung sei die Fertigung vor Ort mehr und mehr zurückgedrängt worden. Der aktuelle Rezepturzuschlag von sechs Euro für Eigenprodukte reiche hinten und vorne nicht. „Da arbeiten wir unter dem Mindestlohn.“ Und Arzneien aus dem Ausland selbst zu importieren, scheitere an Einfuhrbestimmungen und Zulassungen.
Apothekerin Dina Ramadan zeigt auf die Schaufenster und sagt, sie sei froh, dass ihr Chef „so viel Rückgrat hat“. Bei aller Dramatik: „Wir haben ja noch Humor“, antwortet Dr. Wolfgang Scholz. Kunden und Passanten seien voll des Lobes für die Schaufenstergestaltung – immerhin. Doch witzig ist ein weiteres Schild in den Auslagen nicht gemeint. „Apotheke vor Ort = Deppen vor Ort?“