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Sperrung der Talbrücke Rahmede: Schäden schon früher bekannt

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Von: Jan Schmitz

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Recherchen zeigen, dass die Autobahn GmbH schon vor dem 2. Dezember 2021 über die Schäden an der Talbrücke Rahmede Bescheid wusste, die zur A45-Sperrung führte.

Lüdenscheid – Wann wussten Autobahn GmbH und Bundesverkehrsministerium von den Beulen im Tragkonstrukt der Talbrücke Rahmede? Neue Erkenntnisse und Antworten zeigen, dass zumindest die Autobahn GmbH bereits mehrere Tage vor der Sperrung der A45 bei Lüdenscheid am 2. Dezember 2021 über die niederschmetternden Ergebnisse der Laser-Scan-Untersuchung informiert war und Bürger und Behörden vor Ort über die Lage im Unklaren ließ. Wie berichtet, wurden Bürgermeister und Landrat erst wenige Minuten vor der Sperrung der Brücke in einem kurzen Telefonat durch die Direktorin der Autobahn Westfalen, Elfriede Sauerwein-Braksiek, informiert.

In einer Pressemitteilung vom 3. Dezember 2021 hatte die Autobahn GmbH den Ablauf der Geschehnisse rund um die Sperrung der A45 offiziell noch so dargestellt: „Im Zuge der laufenden Neubauplanung fand am Donnerstag (2.12.) eine Bauwerkskontrolle statt, bei der Verformungen im Stahlüberbau festgestellt wurden.“ Nach Informationen unserer Zeitung wurden diese Verformungen aber bereits mehrere Tage vorher und damit im November 2021 festgestellt und die Folgen auch bereits fachlich erörtert.

Die Arbeiten gehen auch im Schnee weiter: Derzeit werden die Baustraßen, über die später das Material für das Fallbett angeliefert und der Schutt nach der Sprengung der Talbrücke Rahmede abtransportiert werden soll, angelegt. 	Foto: Cornelius Popovici
Die Arbeiten gehen auch im Schnee weiter: Derzeit werden die Baustraßen, über die später das Material für das Fallbett angeliefert und der Schutt nach der Sprengung der Talbrücke Rahmede abtransportiert werden soll, angelegt. © Cornelius Popovici

So war zum Beispiel Dirk Stiepert, Leiter der Außenstelle Hagen der Autobahn GmbH, nach eigenen Angaben bereits seit spätestens 29. November 2021 über die gefundenen Schäden informiert. In einem von der Autobahn GmbH autorisierten Interview mit unserer Zeitung im Juni 2022 sagte Stiepert über den Zeitpunkt der Entdeckung der Brückenschäden: „Die nächsten drei Tage haben wir hier in Hagen drei Tage mit Professoren und Gutachtern zusammengesessen, um zu sehen, wie man es machen kann. Und am 2. Dezember hat unsere Direktorin dann entschieden, dass wir das nicht mehr verantworten können, und hat die Brücke gesperrt.“

Anfang dieses Jahres antwortete nun Autobahn-Sprecher Bernd Löchter auf die Frage unserer Zeitung „An welchem Datum wurde die Laserscan-Untersuchung an der Talbrücke Rahmede durch die beauftragte Firma durchgeführt?“: Ein genaues Datum nannte Löchter zwar nicht, bestätigte aber: „Der erste Scan wurde im November 2021 durchgeführt.“ Und offenbar lagen rasch auch schon erste beunruhigende Ergebnisse vor, denn bereits „Ende November 2021“ – und damit vor der A45-Sperrung – erhielt die Fachfirma Ruhrberg-Ingenieure den Auftrag, nun alle Bauteile der Brücke zu scannen. Die Ergebnisse aller Scans lagen laut Autobahn-Sprecher Löchter dann „bis Mitte Dezember 2021“ vor. Wie berichtet, wurden mehr als 250 Schadstellen gefunden, die bei den bisherigen Brückenprüfungen (zuletzt 2020) übersehen worden waren. Drei Wochen später – am 7. Januar 2022 – schließlich verkündete die Autobahn GmbH in Abstimmung mit dem Bundesverkehrsministerium die dauerhafte Komplettsperrung und verwarf die zwischenzeitlich diskutierten Pläne für eine Wiederfreigabe der Brücke für Pkw – wegen akuter Einsturzgefahr.

Dafür, dass die Autobahn GmbH bereits vor dem 2. Dezember 2021 über neue Schäden im Bilde war, spricht auch eine Mail der Autobahn GmbH, die das Portal t-online öffentlich machte. Darin schreibt ein Autobahn-Mitarbeiter am 23. November 2021 (!), dass „die aktuelle Verkehrsführung im Bereich der A45 Talbrücke Rahmede (...) aus statischen Gründen etwas angepasst und verändert werden“ müsse. Es folgt die Bitte, das „Lastbild (Gesamtgewicht/Achslast) eines üblichen Feuerwehrfahrzeugs, das auf der A45 von den Feuerwehren Lüdenscheid und Hagen eingesetzt wird“, zu übermitteln. Die Feuerwehr Lüdenscheid gab damals laut Stadtsprecher Sven Prillwitz innerhalb von anderthalb Stunden die gewünschte Information weiter, in der Folge habe man aber nichts mehr in der Sache gehört – bis zum Anruf der Autobahn-Direktorin bei Bürgermeister Sebastian Wagemeyer am 2. Dezember.

In der aktuellen Debatte rund um eine mögliche politische Einflussnahme verweist NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst regelmäßig auf die Fachlichkeit der folgenschweren Entscheidung von Straßen.NRW in seiner Amtszeit als NRW-Verkehrsminister (2017 bis 2021), die Neubaupläne für die Talbrücke Rahmede zurückzustellen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass die Talbrücke spätestens seit 2010 von Straßen.NRW als Sorgenkind unter den A45-Brücken bezeichnet wurde. Die Entscheidung für einen Neubau 2014 war demnach aus fachlicher Sicht folgerichtig, die Neupriorisierung – vermutlich im Jahr 2018 – nicht.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass mit dem Wechsel der Zuständigkeit für die Autobahnen zum 1. Januar 2021 von Straßen.NRW und Autobahn GmbH auch ein Großteil des Brücken-Personals den Arbeitgeber wechselte und damit die geballte A45-Expertise. Prominenteste Beispiele sind Michael Neumann als Bauleiter der Talbrücke Rahmede und Elfriede Sauerwein-Braksiek als Direktorin. Und was tun beide, kaum sind sie aus der Zuständigkeit des NRW-Verkehrsministeriums entlassen? Sie widmen sich ab 2021 direkt wieder intensiv ihrem Sorgenkind, der Talbrücke Rahmede, und veranlassen eine bis dahin außergewöhnliche Prüfung mittels Laser-Scan. Warum?

„Es wurde entschieden, für die Talbrücke Rahmede wegen ihrer Defizite in der Tragfähigkeit eine Nachrechnung gemäß Nachrechnungsrichtlinie mitsamt einer Sonderprüfung und einer darauf basierenden objektbezogenen Schadensanalyse durchzuführen. Teil der Sonderprüfung sollte eine Untersuchung der Stegbleche der beiden Hauptträger mittels eines Laserscans sein“, schreibt Autobahn-Sprecher Bernd Löchter. Das bedeutet, dass nicht nur die Defizite in der Tragfähigkeit weiter als problematisch eingestuft wurden – die Talbrücke Rahmede wurde bereits 2016 abgelastet – , sondern dass darüber hinaus bereits ein konkreter Verdacht bestand, dass die Stegbleche der Hauptträger geschädigt sind. Denn: Die sogenannte detaillierte objektbezogene Schadensanalyse (OSA) wird laut Bundesanstalt für Straßenwesen nur erforderlich bei „komplexen, schwerwiegenden oder unklaren Schadensbildern“.

Bislang nicht aufgeklärt ist dagegen, ob Elfriede Sauerwein-Braksiek in ihrer Funktion als Autobahn-Direktorin von Westfalen eine so weitreichende Entscheidung wie die sofortige Sperrung einer Autobahn ohne grünes Licht der Bundes-GmbH und des verantwortlichen Bundesverkehrsministeriums am 2. Dezember 2021 anordnen kann und vor allem würde.

Ein Antrag unserer Zeitung nach dem Informationsfreiheitsgesetz, in dem die Herausgabe der Korrespondenz zwischen der Autobahn GmbH und dem Bundesverkehrsministerium unmittelbar vor und nach der A45-Sperrung (bis 31. März 2022) verlangt wurde, wurde vom Bundesverkehrsministerium abgelehnt. Dabei räumt das Ministerium zwar ein, dass es Aufzeichnungen und Dokumente gebe, die Herausgabe sei aus ihrer Sicht jedoch ausgeschlossen, da dadurch „Beratungen von Behörden beeinträchtigt“ würden. Dabei gehe es um den „Schutz eines unbefangenen und freien Meinungsaustausches innerhalb von Behörden und zwischen Behörden, um eine effektive, funktionsfähige und neutrale Entscheidungsfindung zu gewährleisten“, heißt es in der Ablehnungsbegründung.

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