Schon vor der Sperrung hatten wir im Fachdienst Verkehrsplanung und -lenkung keine Langeweile. Wir waren personell ohnehin schon am Limit. Wir hatten Themen wie Radverkehr, nachhaltige Verkehrsmittel, Mobilitätswende, Elektromobilität auf der Agenda, um die Stadt zukunftsfähig zu machen. Das hat sich alles erst einmal zerschlagen. Ich habe im letzten Jahr kaum etwas anderes gemacht außer mich mit den verkehrlichen Auswirkungen der Brückensperrung zu beschäftigen und das normale Tagesgeschäft. Denn wir sind Straßenverkehrsbehörde, da gibt es Dinge, die natürlich auch laufen müssen. Ich habe in der Zeit neue Ansprechpartner außerhalb unseres normalen Aufgabenbereiches kennengelernt, viele Zuständigkeiten neu sortiert. Das war eine ganz andere Dimension.
Ist man irgendwann von der ganzen Situation genervt? Ja, auf jeden Fall, aber es hilft ja nichts. Es versuchen alle, das Beste rauszuholen und gut zusammenzuarbeiten, um zu einer guten Lösung zu kommen. Dabei vertritt jeder berechtigterweise seine Interessen. Es sind rechtliche Rahmenbedingungen einzuhalten. Zuständigkeiten. Alles ist sehr komplex und kompliziert. Ich will nicht sagen, dass wir alles richtig gemacht haben, aber wir haben alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Was wir vermieden haben, das sind wilder Aktionismus und Schnellschüsse. Die Maßnahmen waren gut überlegt und abgewogen. Das hat manchmal dazu geführt, dass der Eindruck entstanden ist: „Die Verwaltung braucht aber wieder lange!“ Aber aus gutem Grunde, weil man zielführende Maßnahmen treffen wollte.
Neben den Abstimmungen mit den vielen anderen Behörden kam für uns eine neue E-Mail-Adresse dazu. Über die konnten sich alle Bürger mit Ideen oder Beschwerden an uns wenden. Alle E-Mails zu beantworten, das war gar nicht zu leisten. Aber es hat uns einen guten Überblick gegeben, wo die Probleme liegen und welche Lösungsansätze es gibt. Das hat uns dazu gebracht, Dinge noch einmal anders zu betrachten und zu prüfen.
Ich bin „nur“ in Teilzeit beschäftigt, wegen meiner Familie. Seit der Brückensperrung arbeite ich definitiv mehr, was natürlich auch meine Familie zu spüren bekommt. Die Arbeit ist auch nach der ersten Welle von E-Mails nicht weniger geworden. Man denkt immer, dass ein nächster Step erreicht ist und sich eine Situation eingespielt oder beruhigt hat. Aber dann kommt von irgendwoher etwas Neues.
Ich kann eigentlich keinen besonderen Höhepunkt bei der Arbeitsbelastung ausmachen. Das hat einfach dauerhaft wirklich alle Dimensionen gesprengt. Man ist grundsätzlich am Limit oder darüber. Wir haben, auch vor dem Hintergrund der aktuellen Verkehrsverhältnisse, zwei Stellen ausgeschrieben – aber nicht besetzen können. In der Verwaltung kann man unsere Aufgaben nicht verlagern, weil das Fachwissen nicht da ist. Innerhalb des Fachdienstes haben wir einige Projekte gestrichen oder aufgeschoben, für die es keine gesetzliche Verpflichtung gibt. Das Thema Radverkehr zum Beispiel. Aber Fachkräftemangel ist ja nun kein Novum. Gerade im Bauingenieurwesen mit der Vertiefung Verkehrsplanung war es immer schon schwierig, Leute zu finden. Insbesondere natürlich in Lüdenscheid, die Brücke hat es nicht besser gemacht.
Privat bin ich eher am Rande betroffen. Die Auswirkungen sind überall spürbar. Man überlegt sich dreimal, wann man wo einkaufen fährt und auch, wen man besuchen fährt. Ein Geburtstag für ein Stündchen abends in der Woche? Wenn man dazu quer durch die Stadt muss, dann verzichtet man schon mal darauf. Und: Man wird natürlich ständig auf die Situation angesprochen. Ich komme aus Lüdenscheid, lebe hier, da bleibt das nicht aus. Das nervt manchmal, aber das ist mein Job, der mir prinzipiell auch Spaß macht. Ein Ausblick? Wenn ich keine positive Perspektive hätte, dann würde ich den Job wahrscheinlich nicht mehr machen. Und wenn es erst mit der Freigabe des ersten Brückenteils ist. Das ist natürlich eine lange Strecke, aber eine positive Perspektive!“
Seit einem Jahr ist die Rahmede-Talbrücke der A45 in Lüdenscheid voll gesperrt. 365 Tage voller Verkehrschaos, Zukunftsängste und Wut liegen hinter einer Region, die kurz vor dem Kollaps steht. Betroffene aus Lüdenscheid haben uns ihre Geschichte erzählt. Anwohner, Unternehmer, Gastronomen, Pendler — sie alle haben eins gemeinsam: Das Brücken-Desaster bestimmt seit einem Jahr ihr Leben.
Vor allem Anwohner trifft das Brücken-Desaster hart. Petra und Hubert Gerbersmann haben das Verkehrschaos direkt vor ihrer Haustür in Lüdenscheid. Wie sie ein Jahr im Nadelöhr der Bedarfsumleitung erlebten.