Wir fühlen uns hier im Nadelöhr der Brückensperrung eingesperrt. Schon beim Verlassen unseres Grundstücks sind wir auf die Güte der Lkw-Fahrer angewiesen – bei der Heimkehr ist es ähnlich. Nur, dass wir dabei dann noch selbst einen Stau verursachen. Jede Autofahrt verwandelt sich dadurch zu einem Stresstest. In die Stadt fahren wir nur noch, wenn es sich nicht vermeiden lässt, etwa zum Einkaufen oder für einen Arzttermin.
Doch auch zuhause können wir uns kaum erholen, das ist bei dauerhaftem Verkehrslärm und Abgasen im Haus bei jeder Fensteröffnung kaum möglich. Eine unserer ersten Anschaffungen – die wir nicht gefördert bekamen – war ein Luftreiniger, der erschreckend gute Arbeit leisten muss. Schlafen können wir nur noch mit Ohrstöpseln, auf der Terrasse sitzen sowieso. Eine Weile ist das vielleicht noch ganz gut erträglich, aber irgendwann macht es dünnhäutig. Es ist einfach schade, das über die eigenen vier Wände sagen zu müssen. Mittlerweile haben wir eine Förderung für Lärmschutzfenster beantragt. Doch auch das wird einem nicht leicht gemacht: Unser Nachbar hat diese zwar bewilligt bekommen, musste aber mit über 25 000 Euro in Vorleistung gehen. So werden selbst die eigentlichen Hilfsmaßnahmen etwas abschreckend.
Wirklich verbessert hat sich unsere Situation erst, nachdem sich Anfang März zunächst wir Nachbarn und später auch weitere Anlieger der Umleitungsstrecken vernetzt und in Form der Bürgerinitiative A45 organisiert haben. Jetzt fühlen wir uns nicht mehr so allein und machtlos, können unserer Stimme mehr Gewicht verleihen. Denn eines ist für uns alle klar: Wir brauchen den Brückenwächter. Der überregionale Transitverkehr muss aus Lüdenscheid raus und weiträumig über die A1, A3 und A4 umgeleitet werden. Es sind nicht nur wir Anwohner, die unter den aktuellen Zuständen leiden, die Gastronomie und Wirtschaft, die gesamte Stadt geht zugrunde.
Speziell Im Grund hoffen wir aber inständig, dass die angekündigten Geschwindigkeitsbegrenzungen auch bei uns umgesetzt werden. Ein Warnhinweis ist bei sechs bis acht Prozent Gefälle ebenfalls zwingend notwendig. Der Winter muss nicht einmal sonderlich hart sein, um die Lkw hier an ihre Grenzen zu bringen. Dafür reicht schon ein Graupelschauer. Einen Todesfall gab es schon unweit unserer Haustür – ist das nicht Grund genug, zumindest für diese „kleinen“ Maßnahmen? Anscheinend nicht. Vor allem das Verhalten der Bundespolitiker frustriert uns. Bei dem Gespräch an der Lennestraße hatten wir wirklich den Eindruck, dass Volker Wissing verstanden hat, wie prekär die Lage in Lüdenscheid ist. Er versprach, den Brückenwächter zu prüfen. Versicherte, dass das Wohl der Bürger über dem des Verkehrs stehe. Seitdem haben wir aber nichts mehr davon gehört – außer immer wieder das Credo „der Verkehr auf der Bedarfsumleitung muss fließen“.
Das dürfen wir Lüdenscheider uns nicht länger gefallen lassen, wir müssen laut sein. Dafür reicht es aber nicht, wenn wir bei unseren Demos 100 bis 200 Leute sind und uns die Menschen teilweise aus den Fenstern zujubeln. Sie müssen sich beteiligen, wir marschieren auch für sie. 500 Leute hätte die Polizei an der Lennestraße damals sicher nicht auf den Bürgersteig verbannt. Da gehört unsere Botschaft auch nicht hin.“
Seit einem Jahr ist die Rahmede-Talbrücke der A45 in Lüdenscheid voll gesperrt. 365 Tage voller Verkehrschaos, Zukunftsängste und Wut liegen hinter einer Region, die kurz vor dem Kollaps steht. Betroffene aus Lüdenscheid haben uns ihre Geschichte erzählt. Anwohner, Unternehmer, Gastronomen, Pendler — sie alle haben eins gemeinsam: Das Brücken-Desaster bestimmt seit einem Jahr ihr Leben.