„Viel mehr junge Menschen“: Zahl der Drogentoten steigt deutlich

Die Zahl der Drogentoten in Deutschland ist für das Jahr 2022 mit 1826 Personen auf den höchsten Stand seit 20 Jahren geklettert. Eine Zahl, die mit Vorsicht zu genießen sei, wie Stefan Tertel, Geschäftsführer der heimischen Drogenberatungsstelle Drobs, meint.
Werdohl/Iserlohn – Er befürchtet, dass einige Drogentote durch das Raster fallen könnten und der tatsächliche Wert möglicherweise noch höher ist. Grund dafür: Für ihn sei nicht klar nachvollziehbar, wann eine Person als Drogentoter eingestuft wird. Schließlich sei die Ursache für den Tod nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich.
Jemand kann zum Beispiel an einem Herzinfarkt gestorben, dieser jedoch durch den Missbrauch von Rauschmitteln hervorgerufen worden sein. „Wann taucht ein Toter in dieser Statistik auf? Muss dafür die Spritze noch im Arm stecken?“, fragt Tertel etwas überspitzt. Wann werden Körper oder Blut auf Rückstände von Rauschmitteln untersucht?
Der Drobs-Geschäftsführer würde sich diesbezüglich mehr Transparenz wünschen. Er geht davon aus, dass die Zahl der Drogentoten insgesamt eher höher liegen müsste.
Schaut man sich die Statistik aber dennoch an, so sei festzustellen, dass die Zahl der Drogentoten in Nordrhein-Westfalen gegenüber dem Vorjahr um rund 20 Prozent gestiegen ist. In Werdohl, wo die Drobs eine Einrichtung betreibt, könne man die Todesopfer von Suchtmitteln an einer Hand abzählen.
Vorwiegend konsumierten die Klienten Cannabis und Amphetamine, berichtet Tertel. Das geschehe auch schon im jungen Alter: „Wir haben mittlerweile viel mehr mit jungen Menschen zu tun. Wir beraten Menschen im Alter zwischen 14 und 54 Jahren.“
Eine große Rolle beim Anstieg der Todeszahlen und der Konsumenten, habe die Corona-Pandemie gespielt, ist Tertel überzeugt. „Es gab massive Veränderungen, die auch unsere Arbeit beeinflusst haben.“ Konkret meint er vor allem die Isolation, die in den vergangenen Jahren immer wieder angeordnet wurde.
„Vor der Pandemie kannten uns viele Klienten durch den persönlichen Kontakt. Man konnte sich treffen, reden, Probleme erörtern und Wege aus der Sucht entwickeln.“ Der Zugang zu den Betroffenen sei vor wenigen Jahren noch ein anderer gewesen als jetzt.
Die Isolation führte zu neuen Problemen: So wurde es schwerer, ein Vertrauensverhältnis zu neuen Klienten aufzubauen, während zeitgleich Frust und Einsamkeit bei vielen Menschen während der Pandemie wuchsen. Beratungsangebote gab es nur eingeschränkt, das Suchtpotenzial stieg parallel jedoch an.
Welche Auswirkungen die Pandemie in Bezug auf Drogenmissbrauch wirklich gehab hat, das werde man wohl erst an den Statistiken der nächsten vier Jahre ablesen können.
Eine zentrale Rolle spielt bei dieser Entwicklung auch das Internet, ist Tertel sicher. Einerseits, weil darüber heute viele Suchtmittel einfach erworben werden können. Andererseits aber auch, weil das Internet während der Pandemie für viele zu einer Art Zufluchtsort wurde, an dem sich die Menschen verstärkt aufhielten.
„Es kann vorkommen, dass sich Personen in diesen Internet-Welten verheddern“, sagt Stefan Tertel. Gerade dann, wenn ein wichtiger Teil ihrer Entwicklung in diesen Welten stattfindet. Bei Schülern, beziehungsweise bei Jugendlichen, besteht also ein erhöhtes Risiko.
Auch daraus könne sich ein Suchverhalten entwickeln. Einerseits, weil eine starke Bindung zu dieser Parallelwelt aufgebaut wird. Andererseits aber auch, weil durch das Suchtverhalten gegenüber digitalen Medien wichtige Herausforderungen im echten Leben nicht erfüllt werden können. „Und das wiederum kann dazu führen, dass Betroffene unzufrieden werden und sich in Rauschmittel flüchten.“
Deshalb ist es wichtig, schon früh über die Gefahren aufzuklären und Präventionsangebote durchzuführen. Die Drobs erlebe derzeit einen regelrechten Nachfrageboom in Bezug auf solche Maßnahmen in Schulen und sogar in Kindergärten, schildert Tertel. „Ganz offensichtlich haben die Einrichtungen nach Corona erheblichen Nachholbedarf“, sagt er.
Allgemein gibt er jedem den Tipp, das eigene Verhalten aber auch das von Freunden, Verwandten und Bekannten im Blick zu haben. „Süchtiges Verhalten fängt immer dann an kritisch zu werden, wenn der Konsum eine Funktion übernimmt“, betont der Geschäftsführer der Drogenberatungsstelle.
Konkret könne das zum Beispiel ein Feierabendbier sein, ohne das die Entspannung am Abend schwerfällt oder ohne das man sich einsam fühlt.
Aber auch der Drink im Club, der nötig ist, um offen auf andere zuzugehen zu können und Kontakte zu knüpfen. „Wenn man süchtiges Verhalten feststellt, ist es wichtig hinzusehen und das Gespräch zu suchen, statt wegzugucken!“
Als einfache Methode, um das eigene Konsumverhalten auf die Probe zu stellen, rät Stefan Tertel jedem dazu, gezielt Konsumpausen einzulegen. Also Zeiträume, in denen bewusst auf Alkohol oder andere Substanzen – beziehungsweise grundsätzlich Dinge mit Suchtpotenzial – verzichtet wird.