Netto-Räuber erneut vor Gericht: Drogenprobleme und Widersprüche

Einer der vier Täter der Raubserie auf Nettomärkte im Jahr 2021 steht erneut vor Gericht. Er veränderte seine Aussagen zu seinem Drogenproblem. Das blieb nicht ohne Folgen.
Werdohl/Hagen – Eine kleine Korrektur, ein gewisser Strafrabatt – die Verhandlung gegen einen mittlerweile 27-jährigen Komplizen der rechtskräftig verurteilten Netto- und Getränkemarkträuber, die in Werdohl und Umgebung vor knapp zwei Jahren aktiv war, hätte zügig über die Bühne gehen können.
Stattdessen hat die 4. große Strafkammer des Landgerichts Hagen einen dritten Verhandlungstag anberaumt. Außerdem sollen nunmehr einige Zeugen geladen werden. Was war geschehen?
Der Angeklagte hatte das Urteil der 1. großen Strafkammer, das ihn zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilte, vom Bundesgerichtshof (BGH) überprüfen lassen. Bei dem, was Juristen die Tatsachenfeststellungen nennen, bestätigte der BGH das Urteil.
Damit ist auch die Frage beantwortet, ob der Angeklagte Mittäter oder lediglich „Helfer“ der eigentlichen Räuber war. Letztere Rolle hätte nicht dazu gepasst, dass er im Auto und dort nicht einmal am Steuer saß. Worin hätte sein Beitrag bestehen sollen, wenn nicht in einer gewissen Organisation?
Der Rückschluss, dass er den Überfall mitgeplant hatte, war also durchaus schlüssig. An dieser Mittäterschaft ließ sich nach der Entscheidung des BGH auch nicht mehr herumdeuteln.
Widersprüchliche Argumentation
Es gab aber einen gewissen Widerspruch zwischen der Feststellung, dass der Angeklagte laut Urteil vom 27. April 2022 eine „planende und organisierende Rolle“ bei der Tat gespielt haben sollte, andererseits aber an der eigentlichen Tat in dem Netto-Markt nicht direkt beteiligt war.
Die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen brachte den Widerspruch dieser Feststellungen auf den Punkt: „Als Mittäter ist er nicht am Tatort, hat aber organisiert.“
Immerhin hatte er in dem von ihm organisierten Auto gesessen, dessen Fahrerin aus Neuenrade wegen „Beihilfe“ letztlich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde.
Werdohl, Neuenrade, Balve Herscheid: In diesen Orten schlug die Räuberbande zu
Zwischen dem 21. April und dem 6. Mai 2021 gab es Raubüberfälle auf Getränke- und Lebensmittelmärkte sowie einen Kiosk in Werdohl, Neuenrade, Balve, Menden, Herscheid, Meinerzhagen und Arnsberg. Von vier Angeklagten erschienen zunächst nur drei zum Prozess im Landgericht Hagen. Zwei davon wurden am 13. Dezember 2021 zu vollstreckbaren Haftstrafen bis zu sechs Jahren verurteilt. Beide sind derzeit in einer Drogenentzugsklinik. Der vierte Angeklagte, der damals in Werdohl wohnte, wurde am 15. November 2021 vorläufig festgenommen und in seinem Strafverfahren am 27. April 2022 zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es bestand der Verdacht, dass er bei den Raubüberfällen der Drahtzieher im Hintergrund gewesen war. Nachgewiesen werden konnte ihm aber nur seine Anwesenheit bei dem letzten Raub in Arnsberg-Herdringen. Die Polizei nahm ihn im Fluchtauto der Räuber neben der Beute und einer PTB-Waffe (Schreckschusswaffe) fest. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil im Wesentlichen, hob aber das verhängte Strafmaß am 24. November 2022 wegen einer widersprüchlichen Argumentation bei den Strafzumessungsgründen auf. Deshalb wird nun erneut im Landgericht Hagen verhandelt.
In diesem Auto wurde er kurz nach dem Überfall von der Polizei festgenommen. Dass er der planende Kopf hinter den Taten gewesen wäre, ließ sich nicht wirklich nachweisen. Seine Mitangeklagten gaben entsprechende Hinweise, die sie nach ihrer eigenen Verurteilung als Zeugen vor Gericht aber nicht wiederholten.
Im jetzigen Verfahren hätte es einen gewissen Strafrabatt für den 27-Jährigen geben können und die Aussicht, zügiger in eine mildere Form des Drogenentzugs nach einer Entlassung auf Bewährung gehen zu können. Doch der Angeklagte revidierte seine bisherigen Angaben zum Drogenkonsum, wodurch sich ein erheblich dramatischeres Bild von seiner bestehenden Abhängigkeit abzeichnete.
Das betraf sowohl die Frage, ob er zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat unter Drogeneinfluss stand, als auch die Frage, ob nach seiner Entlassung aus der Haft mit weiteren Straftaten zu rechnen sein wird – etwa, weil er seinen erneuten Drogenkonsum irgendwie finanzieren muss.
Da die 4. große Strafkammer die Frage des Strafmaßes umfassend beantworten muss, kommt aufgrund der Angaben des 27-Jährigen nun auch eine Unterbringung in einer geschlossenen Entziehungsanstalt infrage. Er habe täglich Cannabis, Amphetamin und gelegentlich auch Kokain konsumiert, gab er nun zu.
„Am Tag habe ich um die 50 Euro ausgegeben.“ Nunmehr habe er eingesehen, dass er an seinem Drogenproblem arbeiten müsse, und er habe Angst, dass er nach der Entlassung erneut konsumieren werde.
Die Richter reagierten auf die veränderten Angaben des Angeklagten mit der Beauftragung eines psychiatrischen Sachverständigen. Er soll ein Gutachten zur Drogenabhängigkeit des Mannes erstellen. Außerdem sollen Zeugen vernommen werden, die etwas zu seiner Drogenabhängigkeit zum Tatzeitpunkt berichten können.
Fortsetzung
Der Prozess vor dem Hagener Landgericht wird am 10. März fortgesetzt.