Biologin aus dem MK erforscht Klimaveränderung im ewigen Eis

Die in Werdohl aufgewachsene Dr. Linda Armbrecht forscht am anderen Ende der Welt über die Ursachen und Folgen des Klimawandels. Sie nimmt dort an Antarktis-Expeditionen teil. In diesen Tagen ist sie auf dem Rückweg von einer 47-tägigen Forschungsreise nach Kap Darnley in der Ostantarktis. Zuvor hatte sie an einer Expedition in die Scotiasee vor der Südspitze Südamerikas teilgenommen.
Werdohl/Hobart – Eismassen, die sich kilometerhoch auftürmen – so kennt man die Antarktis. Doch der südlichste Kontinent der Erde ist in Gefahr. Keine andere Region dieses Planeten ist so stark vom Klimawandel bedroht wie diese. Wie hat sich die Antarktis in der Vergangenheit verändert? Und wie wird sie sich in den kommenden Jahrzehnten verändern? Darüber forschen Wissenschaftler seit Jahren. An diesen Forschungen beteiligt ist die 40-jährige Werdohlerin Dr. Linda Armbrecht.
Als Linda Arnbrecht 2002 am Plettenberger Albert-Schweitzer-Gymnasium ihr Abitur gemacht hatte, zeichnete sich noch keineswegs ab, dass sie einmal als Meeresbiologin arbeiten würde. „Ich habe auch erst mal nicht studiert, sondern eine Ausbildung zur Arzthelferin gemacht“, erzählt sie. Sie habe Tiermedizin studieren wollen, das sei aber nicht so einfach gewesen. In die weite Welt zog es sie aber schon damals: 2005 verließ sie Deutschland für ein halbes Jahr, um in Südafrika ein Praktikum bei einem Wildtierarzt zu absolvieren.
In Osnabrück nahm sie schließlich ein Biologiestudium auf. „Da habe ich dann durch Zufall einen Einblick in die Meeresbiologie erhalten“, erinnert sie sich an ein Schlüsselerlebnis. Ihre Bachelor-Arbeit schrieb Armbrecht am Alfred-Wegener-Institut (AWI), dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, auf Sylt. Ein Studium der Meeresbiologie in Bremen schloss sich an. „Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich dann begonnen, mich mit Phytoplankton zu beschäftigen.“, erzählt die Forscherin und erläutert: „Das sind ganz wichtige kleine Lebewesen.“ Phytoplankton ist für die Produktion eines Großteils des Sauerstoffs in der Atmosphäre verantwortlich, allerdings ist es durch ansteigende Meerestemperaturen gefährdet.

Für ihre Doktor-Arbeit arbeitete Linda Armbrecht ab 2011 in Sydney/Australien: „Da habe ich mich auch mit dem Ostaustralstrom befasst, den kennt man ja aus dem Film ‘Findet Nemo’.“ Die Meeresströmung transportiert tropisch-subtropische Wassermassen in den antarktischen Zirkumpolarstrom.
Armbrecht arbeitete sich immer tiefer in die Antarktisforschung ein – und nahm auch bereits an einigen Expeditionen ins (nicht mehr ganz so) ewige Eis teil, die zum Ziel hatten, das frühere Ökosystem des Südpolargebiets zu rekonstruieren. Erst vor wenigen Tagen hat sie zusammen mit anderen Wissenschaftlern an Bord des australischen Forschungsschiffs „Investigator“ die Bildung von antarktischem Grundwasser erforscht. Das kalte, dichte Wasser, das die tiefste Schicht des Ozeans einnimmt, hat eine Schlüsselfunktion in der globalen Ozeanzirkulation und Bedeutung für das Verhalten der antarktischen Gletscher.
Wie sich die Vermischung von Schmelzwasser mit dem Ozeanwasser auswirkt, war Gegenstand der Forschungsreise, an der Linda Armbrecht in den vergangenen Wochen teilgenommen hat. Rund zwei Wochen war sie mit dem Schiff von Fremantle an der Westküste Australiens bis an die Halbinsel Cape Darnley in der Ostant-arktis unterwegs – rund 5000 Kilometer Luftlinie. Angesichts vier bis 14 Meter hoher Wellen war das wohl keineswegs eine Vergnügungsreise. „Es hat ganz schön geschaukelt“, berichtet Armbrecht von unterwegs.
Und auch im Forschungsgebiet waren die Arbeitsbedingungen trotz des Sommers auf der Südhalbkugel herausfordernd. „Die Temperaturen lagen um den Gefrierpunkt, aber durch den Wind gefühlt bei minus 25 Grad“, erzählt die Forscherin. Die Crew habe stets auf im Wasser treibende Eisberge achten und bei der täglichen Arbeit vorausschauend planen müssen, denn das eigentliche Arbeitsgebiet habe in etwa 3000 Metern Tiefe gelegen. So tief musste die Mannschaft ihre Arbeitsgeräte hinablassen, was immer eine gewisse Zeit dauert.

Diese Expedition dauerte gut sechs Wochen, von denen die Forscher etwa vier Wochen vor Ort gearbeitet haben. „Meistens dauern die Expeditionen sieben bis acht Wochen“, erzählt Linda Armbrecht. Und sie würden generalstabsmäßig geplant: „Die Planung fängt etwa fünf Jahre vorher an.“
Millionen Jahre alte DNA entdeckt
Das galt auch für die Expedition, an der Linda Armbrecht bereits von März bis Mai 2019 teilgenommen und deren Ergebnisse sie vor Kurzem veröffentlicht hat. Dabei ging es um die Erforschung vergangener und gegenwärtiger Reaktionen des polaren Meeresökosystems auf Umwelt- und Klimaveränderungen. Das Expeditionsteam hat dazu Proben des Meeresbodens der Scotiasee in der Westantarktis untersucht. Sie wurden in tonnenschweren Bohrkernen an Bord des Forschungschiffes gebracht, wo Linda Armbrecht und andere Forscher sie dann unter dem Mikroskop untersucht haben.
„Das ist ein bisschen wie Forensik“, vergleicht die 40-Jährige diese Tätigkeit mit der kriminalistischen Spurensuche. Denn sie möchte den Gründen für die Zusammensetzung der Bodenproben, die oft kleinste Fossilien enthalten, auf die Spur kommen. In den verschiedenen Schichten haben sich ganz unterschiedliche Organismen abgelagert, deren Existenz den Forschern Rückschlüsse auf klimatische Bedingungen in längst vergangenen Zeiten erlauben. Vergleichbar ist das mit der Analyse der Jahresringe von Bäumen, mit der sich auch das Klima über Jahrhunderte rekonstruieren lässt.
Die Bohrkerne aus dem Meeresboden und die DNA-Analyse dieser Sedimente lassen die Forscher allerdings viel weiter zurückschauen. Sie können entschlüsseln, welche Lebewesen früher in diesem Gebiet existiert haben – und wann. Außerdem können die Zeiten größerer Veränderungen in der Zusammensetzung der Sedimente mit Klimaveränderungen in Verbindung gebracht werden. Diese Erkenntnisse können helfen, Vorhersagen darüber zu treffen, wie die Meeresbewohner um die Antarktis auf den derzeitigen und künftigen Klimawandel reagieren werden.
Während der Antarktis-Expedition, an der Linda Armbrecht teilgenommen hat, konnten die Forschenden DNA nachweisen, die bis zu einer Million Jahre alt ist. „Dies ist die mit Abstand älteste authentifizierte marine Sediment-DNA”, erklärt Linda Armbrecht, die die Studie der Universität von Tasmanien geleitet hat. Unter den entdeckten Organismen befanden sich Kieselalgen als wichtige Primärproduzenten.
Massiver Eisverlust in der Antarktis
Die Daten zeigen auch, dass Kieselalgen während warmer Klimaperioden durchweg reichlich vorhanden waren. Die letzte derartige Veränderung im Nahrungsnetz der Scotiasee fand vor etwa 14 500 Jahren statt. „Dies ist eine interessante und wichtige Veränderung, die mit einem weltweiten und schnellen Anstieg des Meeresspiegels und einem massiven Eisverlust in der Antarktis aufgrund der natürlichen Erwärmung zusammenhängt”, fügt Dr. Michael Weber, Zweitautor der Studie von der Universität Bonn, hinzu. Die Erwärmung habe offenbar zu einem Anstieg der Meeresproduktivität um die Antarktis herum geführt.
Studien wie diese eröffnen den Weg zur Untersuchung von ökosystemweiten marinen Verschiebungen und Veränderungen während vieler Eiszeitzyklen. Diese Perioden natürlicher Klimaveränderungen können auch Aufschluss über die derzeitige und zukünftige menschengemachte Klimaerwärmung geben und darüber, wie das Ökosystem darauf reagieren könnte.
Wenn Linda Armbrecht sich nicht gerade in der eiskalten Antarktis aufhält, forscht sie am Institut für Meeres- und Antarktik-Studien der Universität von Tasmanien in Hobart. In der Hauptstadt des Bundesstaats lebt sie mit ihrem Lebensgefährten, findet sie auf einer kleinen Farm mit Katzen, Hühnern und zwei Pferden auch etwas Entspannung. „Zeit dafür habe ich besonders am Wochenende“, sagt Linda Armbrecht.