1. come-on.de
  2. Lennetal
  3. Werdohl

„Integration gut gelungen“

Erstellt:

Von: Michael Koll

Kommentare

Dr. Lale Akgün diskutierte in der Stadtbücherei mit 36 Interessierten über Integration. Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete zeigte dabei eine klare Haltung zu diesem Thema.
Dr. Lale Akgün diskutierte in der Stadtbücherei mit 36 Interessierten über Integration. Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete zeigte dabei eine klare Haltung zu diesem Thema. © KOLL

Werdohl – Klare Worte, eine eindeutige politische Haltung, dazu ein erfrischender Humor: Das ist Dr. Lale Akgün, Psychologin und Autorin. In der Stadtbücherei sprach die Deutsche mit türklischen Wurzeln über Integration. „Insgesamt ist die Integration in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren sehr gut gelungen“, sagte Akgün. Dennoch: Beide Seiten, Zuwanderer und Mehrheitsgesellschaft, müssten noch mehr aufeinander zugehen.

Sie erläuterte: „Für mich heißt Integration in erster Linie, Deutsch zu lernen und Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden.“ Die Sprache nicht zu beherrschen, sei nicht zu entschuldigen.

Es sei zwar richtig, dass ein Sprachkursus selbst finanziert werden müsse, wenn etwa der Mann Geld verdient. Und ein solcher Kursus koste dann in der Tat 2000 Euro. „Doch wenn er nicht gemacht wird, zeigt das, wo die Prioritäten gesetzt werden“, sagte Akgün. Für einen Führerschein zahle auch jeder bereitwillig eine solche Summe. Dem Einwand aus dem Publikum, dass „die Prioritäten meist von den Männern gesetzt werden und ein kostenloser Sprachkurs es den Frauen doch erst ermögliche, sich von ihren Gatten unabhängig zu machen“, gab Akgün indes vollumfänglich recht.

Zum Einstieg in die folgende Diskussion mit den Zuschauern erörterte Akgün, dass viele Gastarbeiter nicht zurückgegangen seien, „weil jeder Tag in der Fremde einen von der Heimat entfremdet“. Manche hätten es sogar versucht, seien dann aber doch nach Deutschland zurückgekehrt. „Sie haben sich in der Türkei, die sie nur noch aus Filmen kannten, nicht mehr zurechtgefunden.“

Und die Autorin behauptete auch: „Wenn Präsident Erdogan bei der Wahl in acht Wochen nicht besiegt wird, wird noch einmal ein ganz großer Schub Türken nach Deutschland kommen.“ Die frühere Politikerin erklärte: „Deutschland ist ein sehr attraktives Land für Zuwanderer. Und es muss endlich ehrlich damit umgehen.“ Sie verdeutlichte: „Wir müssen Migration gestalten und Arbeitsmigration von humanitärer Hilfe unterscheiden.“

Sicher, es werde in die Integrationsarbeit hierzulande viel Geld gesteckt, „aber viel von diesem Geld kommt nicht dort an, wo es gebraucht wird – es wird verschleudert“. Akgün formulierte es noch einmal anders: „Kein Land auf der Welt kümmert sich so sehr um seine Migranten wie Deutschland. Aber der Grad an Symbolpolitik ist hier eben auch sehr hoch.“

Im Rahmen der zweieinhalbstündigen Veranstaltung forderte die Psychologin: „Der Einwanderer selbst muss auch etwas dafür tun, dass er hier ankommt.“ Dabei sei es gleich, ob es sich um Türken, Griechen, Italiener oder andere handele. „Unterschiede bereichern uns. Aber wir müssen mehr über Gemeinsamkeiten sprechen.“ Denn: „Für viele Deutsche sind wir keine richtigen Türken, wenn wir nicht Kopftuch oder Bart tragen.“

Buch von Baha Güngör vollendet

Akgün stellte den 36 Zuhörern im Rahmen des Abends auch das Buch „Sehnsucht: Wie wir Deutsche wurden und Türken blieben“ ihres Freundes aus Kindertagen, Baha Güngör, vor, welches sie nach dessen Tod 2022 vollendet hat. Akgün bekannte, mit Güngör beim Thema Migration oft uneins gewesen zu sein.

Güngör schildert in seinem Buch, wie er mit seiner Großmutter im Oktober 1961 nach Deutschland reist. Vor der Abreise fragt er seine gleichaltrige, elfjährige Freundin noch, ob sie ihn später heiraten wolle. Diese lächelt, denn aus Filmen weiß sie: Kein Mann, der in die Fremde geht, bleibt seiner Frau treu. Tatsächlich sehen sich die beiden nie wieder.

Güngör versteht nicht, warum seine Großmutter nach Deutschland zieht. In der Türkei hätten sie doch auf der Schokoladenseite gelebt. „Weniger gebildete Türken sind mir erst in Deutschland begegnet.“ Doch seine Oma habe wohl Abenteuerlust in sich gespürt.

Und so wird Baha Güngör 16 Jahre später in Deutschland eingebürgert. Zwar bleibt er bis zu seinem Tod 2022 im Rheinland, hadert aber zeitlebens „mit dieser sinnlosen Migration“, schließlich habe sie doch einen sozialen Abstieg bedeutet. Genau das habe eine Solidarität zur Türkei in ihm erzeugt, „die mich daran hinderte, sie auch kritisch zu sehen“. Als Teil der den ersten Gastarbeitern nachfolgenden Generation habe er in Deutschland dazugehören wollen. Doch letztlich hätten zwei Identitäten in seiner Brust gegeneinander gekämpft.

So heiratete Güngör bewusst eine „Importfrau“, die er aus der Türkei nach Deutschland holt. Als Korrespondent arbeitete er für deutsche Medien ausgerechnet in der Türkei, obwohl er doch vorgibt, viel lieber in die USA gehen zu wollen. Aber beerdigt werden will er am Ende unbedingt im Rheinland.

Das Thema Rassismus sieht Güngör in Deutschland als „aufgeblasen“ an. Sogar die AfD sei lediglich „eine Partei, die Verlierer der Globalisierung instrumentalisiert“.

Begrüßt worden war das Publikum zu diesem spannenden und unterhaltsamen Abend von den Klängen des Trios rund um Cem Cemil Dinc. Der Sänger erklärte später unter dem Gelächter der Zuhörer, er sei kein Berufsmusiker, sondern arbeite eigentlich als Deutsch-Lehrer – soviel zum Thema Integration.

Auch interessant

Kommentare