Nicht immer liegt es übrigens an fehlender Nachfrage, wenn Ladenlokale längere Zeit leer stehen. Beispielsweise berichtet Haubrichs von einem Geschäft in eigentlich guter Lage, für das es immer wieder einmal Anfragen gebe. Der bestehende Renovierungsstau schrecke aber Interessenten schnell wieder ab. „Das ist ein Problem, das wir leider an vielen Stellen haben“, legt Haubrichs den Finger in die Wunde. Hohe Mieten konnten Immobilieneigentümer in Werdohl schon seit vielen Jahren nicht mehr erzielen, weshalb dann auch kaum Geld vorhanden war, um in den Bestand zu investieren.
Seit 2020 stellt das Land Nordrhein-Westfalen 100 Millionen Euro für ein Sofortprogramm zur Stärkung der Innenstädte und Zentren zur Verfügung. Damit werden Kommunen in Nordrhein-Westfalen dabei unterstützt, Leerstände zu füllen und neue Innenstadt-Allianzen zu schmieden. Werdohl gehörte 2020 zu den ersten 129 Kommunen, denen Fördergelder bewilligt wurden. Exakt 567.824 Euro können deshalb bis Ende 2023 in die Stadt an Lenne und Verse fließen. Mit dem Geld können die Kommunen zum Beispiel leerstehende Ladenlokale vorübergehend anmieten oder durch Zwischenerwerb vor Immobilienspekulanten schützen. Geld können aber auch Immobilieneigentümer erhalten, beispielsweise wenn sie Umbaumaßnahmen durchführen, um ihre Ladenlokale für neue Mieter attraktiver zu machen.
Doch auch hier könnte das Förderprogramm helfen, zumindest in kleinem Rahmen. Bis zu 7500 Euro pro Objekt können Eigentümer erhalten, um beispielsweise Rampen zu bauen, über die auch Rollstuhlfahrer oder Eltern mit Kinderwagen die Stufen zum Laden überwinden könnten. Auch für eine neue Innenausstattung oder Fenster könnte das Geld eingesetzt werden.
Einige Ladenlokale haben auch noch andere Schwächen: Das eine ist zu dunkel, weil es noch nicht einmal über ein Fenster verfügt, durch das Tageslicht hineinfallen könnte, ein anderes ist so klein, dass es nur für einen sehr begrenzten Kreis von Interessenten überhaupt infrage kommen dürfte. Ein drittes wiederum ist mit etwa 300 Quadratmetern Nutzfläche auf zwei Etagen zu groß für jemanden, der sich erst eine Existenz aufbauen möchte. Manchmal fehlen auch Kundentoiletten, um ein Ladenlokal einer neuen Nutzung zuführen zu können.
Nicht immer sind die Chancen gut, ein leerstehendes Einzelhandelsgeschäft wieder mit Einzelhandel zu füllen. Genau genommen ist das nach Ansicht von Andreas Haubrichs sogar eher die Ausnahme. Die Werdohler müssten sich von der Idee verabschieden, dass ihre Stadt wieder zur Einkaufsstadt der 1980er-Jahre werde, meint er. Wer in Werdohl einkaufe, erledige Versorgungseinkäufe. Das Shoppingerlebnis suche der Kunde von heute in Großstädten wie beispielsweise Dortmund.
„Das ist ein Phänomen, das nicht nur in Werdohl zu beobachten ist, sondern auch in vielen anderen Städten. Die Coronpandemie hat diese Entwicklung zuletzt noch beschleunigt“, unterstreicht Haubrichs seine These.
Der Einzelhandel verliere zunehmend seine früher dominierende Rolle in den Innenstädten, ist Haubrichs überzeugt, dass die Gesellschaft gerade Zeuge eines grundlegenden Wandels der Stadtzentren wird. Wo früher Menschen ihre Einkäufe aus Schuh- oder Bekleidungsgeschäften nach Hause getragen haben, übernähmen zunehmend Gastronomie- oder andere Freizeitbetriebe das Feld. Auch Dienstleistungsunternehmen mit Laufkundschaft zögen in ehemalige Einzelhandelsgeschäfte ein. Genau das sei gerade in Werdohl zu beobachten.
Diesen Wandel der Innenstadt zu begleiten, ist auch eines der Ziele des Förderprogramms. „Wir stehen da noch ganz am Anfang des Prozesses“, betont Andreas Haubrichs. Ende März hat eine Auftaktveranstaltung stattgefunden, in der etwa 60 Werdohler Ideen gesammelt haben, wie die Innenstadt wiederbelebt werden kann. Sie haben Arbeitsgruppen gebildet, die sich verschiedenen Schwerpunkten gewidmet haben: Sitzplätze, Spielmöglichkeiten für Kinder, Grünanlagen und Veranstaltungen gehörten dazu. Im Mai sollen diese Arbeitsgruppen erste Ergebnisse vorlegen. „Ich bin gespannt, wieviele Freiwillige sich dann für die Umsetzung der Ideen melden“, sagt Andreas Haubrichs.