Influencer als Konkurrenz zum Burda-Heft: Beim „bunten Faden“ laufen die Nadeln heiß
Lautes Lachen übertönt das sanfte Klacken der Stricknadeln, wenn sich freitags „Der bunte Faden“ in der Kaffeedeele trifft. Die emsigen kreativen Frauen sind darüber nicht verwundert. „Stricken entspannt und macht fröhlich!“, berichten sie. Bettina Birkhahn wusste das schon lange, weshalb sie im Juli 2022 eigens den Stricktreff gegründet hat, um die Freude an diesem Hobby zu vervielfachen.
Werdohl – Für das erste Treffen hat Bettina Birkhahn sogar etwas getan, was sie in 45 Ehejahren zuvor nicht ein einziges Mal gewagt hat: „Meinen Mann am Hochzeitstag alleine lassen“, berichtet sie schmunzelnd. Der hat ihr das verziehen, denn aus dem ersten Treffen mit den Damen, die Bettina Birkhahns Facebook-Aufruf gefolgt waren, sind wunderbare Freundschaften entstanden. Die weiteren Pionierinnen von „Der bunte Faden“ heißen Heike Kohls, Susanne Homringhausen, Renate Bröcker und Inge Allefeld. Aus den zu anfangs fünf Damen sind mittlerweile 16 Frauen geworden, die allesamt an der Nadel hängen.
Und was machen die so? „Socken!“, ertönt es aus fast allen Mündern gleichzeitig, doch es gibt weitaus mehr zu entdecken. Schals, Tücher, Handschuhe und Jacken entstehen nicht nur in prächtigen Farben, sondern auch in außergewöhnlichen Techniken. An Bärbel Reichs „Arbeitsplatz“ sieht es gerade so aus, als ob ein besonders langer Loop-Schal entsteht, doch tatsächlich widmet sie sich der besonders aufwendigen Technik „Fair Isle“. Als sie berichtet, dass sie ihre Arbeit zerschneidet, um anschließend die Maschen wieder aufzunehmen zur Gestaltung eines Rands, geht ein Raunen durch die Gruppe. Besonders dann, als Bärbel Reich noch schildert, mit welchem Elan sie sich zum Erlernen der Technik das Muster auf Kästchenpapier zeichnete und in mühevoller Kleinarbeit Masche an Masche reihte, um „Fair Isle“ perfekt zu beherrschen.

Ihre selbstgestrickte Jacke spricht für sich. „Im Handel ist so etwas kaum bezahlbar, deshalb war es mein Ehrgeiz, das selbst zu können“, berichtet Bärbel Reich. Die winzige schottische Insel, nach der die Technik benannt ist, wird auch die „Insel der Vögel und Pullover“ bezeichnet. Auf der Fläche von acht Quadratkilometern leben keine 60 Menschen, deren Haupterwerb das Stricken von Pullovern ist. „Da stricken übrigens vor allem die Männer“, merkt Bärbel Reich schmunzelnd an.
Beim „bunten Faden“ in der Kaffeedeele hat sich bisher noch kein Mann blicken lassen. „Natürlich wären hier Männer willkommen“, betont Bettina Birkhahn. „Aber für dieses Hobby kriegt man Männer wirklich kaum begeistert.“ Interessanterweise ist es trotzdem ein Männername, der an diesem Freitag oft fällt: Stephen West zählt zu den Top--Strickdesignern auf dem internationalen Markt, hält die gutgehende Marke „Westknits“ und seine Entwürfe werden millionenfach geklickt.
„Das Internet hat uns auch Türen geöffnet, von denen unsere Mütter und Großmütter mit ihren Burda-Zeitschriften nur träumen konnten“, schildert Bettina Birkhahn – ohne die Strickmusterpublikationen aus dem berühmten Verlag schlechtreden zu wollen: „Die sind zeitlos gut!“
Allerdings haben Influencer den Markt mit dermaßen vielen Neuerungen überschwemmt, dass ein Leben nicht mehr ausreicht, um alle Nadeln, Techniken und Wollarten auszuprobieren.
Stricksysteme ermöglichen heute das Anprobieren von Kleidung, solange sie noch auf der Nadel hängt. Die Zeiten des mühevollen Wiederaufnehmens der Maschen sind vorbei.
Zudem sind die Farben der neuen Wolle heutzutage so cool, lustig und bunt, dass immer mehr Kinder ihre Omas um Selbstgestricktes bitten: „Meine Enkelin ist schon richtig heiß auf Wolle und sucht sich schon aus, was ich ihr stricken könnte“, berichtet Susanne Homringhausen begeistert. Wie das Mädchen mit der Häkelnadel umgehen kann, hat ihr die Oma schon beigebracht. Jüngstes Projekt im Hause Homringhausen war das Selbstfärben von Wolle. Bettina Birkhahn spinnt sogar selbst und bedient sich dabei auch unkonventioneller Felle von Hunderassen wie Landseer, Chow-Chow und Husky. Ihrer Nachbarin, die ihr vor Jahren das Stricken beibrachte, ist die Initiatorin des „bunten Fadens“ bis heute dankbar: „Stricken ist Entspannung pur. Wenn man nicht grade ein kompliziertes Muster hat, kann man dabei auch die Nachrichten schauen und sich auch gut unterhalten. Zudem sind die Hände und der Kopf immer beschäftigt, aber so, dass die Alltagssorgen nicht dominieren können.“
Wohl auch deshalb ist „Der bunte Faden“ frei von jeglichen Ärgernissen. „Vorbeikommen, mitmachen!“, laden die Frauen jeden ein, der es ausprobieren mag.