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Patienten auf Abstand halten: Selbstverteidigung in der Pflege

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Von: Ina Hornemann

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Kai Vieler zeigt Abwehrtechniken am „Hölzernen Mann“: Der Universal-Kampfsportler beherrscht unzählige Techniken – auch im Umgang mit Grenzüberschreitungen.
Kai Vieler zeigt Abwehrtechniken am „Hölzernen Mann“: Der Universal-Kampfsportler beherrscht unzählige Techniken – auch im Umgang mit Grenzüberschreitungen. © Hornemann

Für die junge Altenpflegerin ist es eine unangenehme Situation: Wieder hat ein älterer Mann die Hand nach ihr ausgestreckt und ihre Intimsphäre verletzt. Worte haben schon in der Vergangenheit nichts genützt, zum körperlichen Gegenschlag darf in der Pflege auch niemand ausholen. „Aber abwehren kann man es, ohne selbst gewalttätig zu werden“, weiß Kai Vieler, der am Samstag in der Liebeskind Care Academy eine Selbstverteidigungsschule eröffnet, die nicht nur für die Klassen offen ist.

Werdohl – Es kann eine sehr sanfte, aber gleichzeitig bestimmte Bewegung sein, die den übergriffigen Arm des Pflegebedürftigen kurzerhand zur Seite schiebt. Kai Vieler, selbst Dozent in der Liebeskind Care Academy, wird sie den Pflegeschülern im Wahlpflichtfach Kampfsport zeigen. Montags und donnerstags ist das kleine, von ihm persönlich mit viel Liebe eingerichtete Dojo, von 19 bis 20.30 Uhr geöffnet.

„Gewalt ist in der Pflege tabu, auch wenn sie gegen eine Pflegekraft ausgeführt wird“, erklärt Sylvio Wienbeck, Leiter und Geschäftsführer der Liebeskind Care Academy. Insbesondere im Spektrum demenzieller Erkrankungen sind Berührungen und Gesten intimer Natur häufig nicht mehr willkürlich. Aber auch geistig fitte pflegebedürftige Frauen und Männer können unbelehrbar sein und eine Nähe suchen, die ihnen nicht zusteht. „Und eine Pflegekraft muss einen Weg finden, damit umzugehen und aus solchen Situationen wieder herauszukommen“, erklärt Wienbeck. Mit Kai Vieler hat er dafür einen sehr engagierten Trainer gefunden, der das nicht an der Tafel erklären wollte, sondern gleich einen ganzen Selbstverteidigungsraum in der Care Academy eingerichtet hat. Goshin-Ryu steht für die Vereinigung von Geist und Herz. Grundlage von Kai Vielers Unterricht ist die Philosophie der Selbstverteidigung. Darunter mischt er diverse praktische Übungen aus den vielen asiatischen Kampfsporttechniken, die er beherrscht. Er ist Träger des dritten Dans im Taekwondo, Träger des ersten Dans im Jiu Jitsu und beherrscht Karate. „Insgesamt habe ich 20 Jahre Kampfsporterfahrung. Aber wer sich mal damit beschäftigt hat weiß auch, dass man niemals seinen Weg beendet. Es geht um ständige Weiterentwicklung“, erklärt Vieler.

Deshalb betont er auch, dass er keine Sportschule, sondern eine Selbstverteidigungsschule eröffnet. „Für einen kompletten Weg reichen die Kapazitäten hier nicht aus. Hier wird trainiert, wie man sich in einer für einen selbst unangenehmen Situation verhält und wie man sich aus ihr befreit. Die besondere Situation von Arbeitnehmern in der Pflege haben wir dabei im Blick.“

Sylvio Wienbeck (l.), Leiter der Liebeskind Care Academy, und Kai Vieler (r.) laden am Samstag in die neue Selbstverteidigungsschule in den Schulungsräumen ein.
Sylvio Wienbeck (l.), Leiter der Liebeskind Care Academy, und Kai Vieler (r.) laden am Samstag in die neue Selbstverteidigungsschule in den Schulungsräumen ein. © Hornemann, Ina

Wer als Nicht-Pflegeschüler Interesse an einer Teilnahme hat, bucht einen Kurs in Form eines Mitgliedervertrags in der Liebeskind Care Academy. Am Samstag ist das kleine Dojo für alle Interessenten geöffnet: Von 13 bis 15 Uhr darf jeder vorbeischauen und sich von Kai Vieler zeigen lassen, was die neue Schule zu bieten hat. Sylvio Wienbeck steht voll dahinter: „Ich habe selbst viele Jahre Kampfsport gemacht und weiß, wie gut er sich auf Körpergefühl, Körperhaltung und Kopfleistung auswirkt. Für die Pflege bieten die Techniken viel Nützliches: sich aus einer Berührung oder Klammerhaltung zu befreien zum Beispiel. Ich glaube, unseren Schülern da etwas Gutes mitgeben zu können.“

Aktuell besuchen 160 Pflegeschüler in acht Klassen die Liebeskind Care Academy. Im Herbst werden die ersten drei Kurse sie mit dem Examen abschließen. „Dann darf sich der Markt über frische Fachkräfte freuen. Die fehlen natürlich aktuell auch in diesem Sektor“, so Wienbeck. Bereut hat er die Gründung der Schule am Riesei nie – auch wenn die Pandemie sowohl seinen Schülern, als auch ihm als Unternehmer viel abverlangt hat. Anerkannte Lehrkräfte zu finden fällt auch ihm aktuell schwer, weshalb er sich dazu entschlossen hat, mit Studierenden einen Weg einzuschlagen, die während der Beschäftigung in Werdohl die Masterqualifikation erreichen können und in der Schule selbst ein Mentoring erhalten beim Bachelor und bei Hausarbeiten. „Die Branche muss auf allen Ebenen attraktiv gemacht werden“, berichtet Wienbeck, wieso er auch unkonventionelle Angebote macht. „Denn Pflege betrifft uns alle!“

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