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Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts erlebt: Ur-Werdohlerin wird 100

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Von: Volker Griese

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Margarete Wollenweber wird an diesem Mittwoch 100 Jahre alt. An der Wand in ihrem Wohnzimmer hängen von ihr, die sie einmal als 13-Jährige und einmal im Alter von etwa sechs Jahren zeigen.
Margarete Wollenweber wird an diesem Mittwoch 100 Jahre alt. An der Wand in ihrem Wohnzimmer hängen von ihr, die sie einmal als 13-Jährige und einmal im Alter von etwa sechs Jahren zeigen. © Volker Griese

Es war ein ereignisreiches Jahr in Deutschland, das Jahr 1923: Im Januar begannen französische und belgische Truppen mit der Besetzung des Ruhrgebiets, im August wurde die Regierung mit Reichskanzler Wilhelm Cuno an der Spitze gestürzt und im November scheiterte im Münchener Bürgerbräukeller der Hitler-Putsch. Es war das Jahr, in dem die Inflation ihren Höhepunkt erreichte und ein Pfund Butter 180.000 Mark kostete. Und es war das Jahr, in dem am 8. März in Werdohl das Mädchen Margarete Wagner zur Welt kam. An diesem Mittwoch feiert es als Margarete Wollenweber seinen 100. Geburtstag.

Werdohl – Zur Welt kam Margarete Wollenweber im heutigen Haus Goethestraße 5, nahe der Stadtbrücke, die es damals in der heutigen Form freilich noch nicht gab, als jüngste von vier Töchtern ihrer Eltern. Die Seniorin erinnert sich an eine weitgehend unbeschwerte Kindheit. „Im Sommer sind wir in der Lenne geschwommen, wir kannten die Stellen, an denen das möglich war“, erzählt sie. „Und im Winter sind wir Schlittschuh gelaufen, die Lenne war ja damals regelmäßig zugefroren.“

Mit der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 veränderte sich auch in Werdohl das gesellschaftliche Klima. Margarete Wollenweber hat daran keine guten Erinnerungen. Im Gedächtnis geblieben ist ihr ein Aufmarsch der Nazis, die mit Musik über die heutige Freiheitstraße zogen. Von den Kommunisten seien sie mit Blumentöpfen und Stühlen beworfen worden, erinnert sich die Seniorin, die damals vielleicht zehn oder elf Jahre alt war, an diesen Tumult: „Das hat mir furchtbare Angst gemacht, ich bin einfach nur weggelaufen.“ Besser gefielen ihr da schon die ganztägigen Fahrradausflüge zur damals gerade entstandenen Sorpetalsperre oder das Skifahren auf dem Kohlberg.

Ihre achtjährige Schulzeit in der Roten Schule – heute ist dort die Kita Gernegroß untergebracht – hatte Margarete Wollenweber gerade hinter sich gebracht, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. 16 Jahre jung war sie damals und sicherlich hungrig auf das Leben. Doch der Krieg, in dem sie selbst Kriegshilfsdienst in einem Lazarett in Bayreuth leisten musste, durchkreuzte alle Pläne, auch die von der Gründung einer eigenen Familie. „Nach dem Krieg waren die Jungs ja alle weg“, denkt die Seniorin wehmütig zurück. Vergnügungen nach dem Krieg bestanden für Margarete Wollenweber aus einem Stück Torte und einem Kaffee im Café Köster oder einem Sonntagskonzert der Kapelle Götz im Garten des Hotels Zur Post.

Geheiratet hat Margarete Wollenweber erst 1962, mit 39 Jahren. Ihr Ehemann, der aus Witten stammte, brachte zwei Kinder mit in die Ehe. Die Familie wohnte nach der Hochzeit für ein Jahr in Witten, dann bauten die Wollenwebers in Pungelscheid ein Haus. Ihr Ehemann habe sich dort aber nicht wohlgefühlt, erzählt Margarete Wollenweber. Es folgte ein Umzug nach Herscheid.

Bereits seit 41 Jahren wohnt die mittlerweile alleinstehende Margarete Wollenweber nun in der Werdohler Innenstadt, am Eggenpfad. „Ich bin hier froh und glücklich“, sagt die Seniorin, die bis vor wenigen Wochen sogar noch fast ohne Hilfe ihren Haushalt führen konnte. Mittlerweile erhält sie aber Unterstützung durch eine Pflegekraft.

Überhaupt macht die 100-Jährige, die über erstaunliche geistige Vitalität und ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügt und bis vor zehn Jahren noch Auto gefahren ist („58 Jahre unfallfrei!“), einen zufriedenen Eindruck. „Es gab zwar auch nicht so angenehme Zeiten, aber insgesamt habe ich bis jetzt ein schönes Leben gehabt“, findet sie.

Dass sie zeit ihres Lebens kaum aus Werdohl oder der näheren Umgebung weggekommen ist, bedauert die nun 100-Jährige nicht. Sie fühlt sich wohl in der Stadt an Lenne und Verse, auch wenn die sich in den vergangenen 100 Jahren gehörig verändert hat: vom kleinen Dorf zur multikulturellen Industriestadt.

Groß feiern will Margarete Wollenweber ihren 100. Geburtstag übrigens nicht. Dazu fehle ihr dann doch die Kraft, gibt sie zu. „Aber ein paar Bekannte und Nachbarn werden wohl zum Gratulieren vorbeikommen“, erwartet sie.

Mit ihren 100 Jahren ist Margarete Wollenweber übrigens nicht Werdohls älteste Einwohnerin. Zwei Personen seien mit fast 101 beziehungsweise 104 Jahren noch älter als sie, teilte die Stadtverwaltung auf Nachfrage der Redaktion mit. Und vier weitere Werdohler seien ebenfalls im Jahr 1923 geboren.

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