Ein Fehler kann im Zweifel Leben kosten: Ausbildung nah an der Wirklichkeit

Wer im Märkischen Kreis die 112 wählt, der landet in der Leitstelle von Feuerwehr und Rettungsdienst auf Rosmart: Um dort arbeiten zu dürfen, müssen Disponenten zunächst im „Aquarium“ üben, ehe es ins „echte Leben“ geht. Leitstellen-Chef Stephan Volkmann erklärt die Besonderheiten der verantwortungsvollen Arbeit.
Werdohl/Altena – „Die Arbeit hier in der Leitstelle verbindet zwei Dinge miteinander: Wir können einerseits Menschen helfen. Und andererseits arbeiten wir mit modernster Technik“, umschreibt Stephan Volkmann den Reiz seiner Arbeit. Der Feuerwehrmann trägt den Dienstgrad Brandrat und ist Leiter der Kreisleitstelle im Brandschutz- und Rettungsdienstzentrum im Gewerbepark Rosmart.
Seine Worte werden begleitet vom Nicken seiner Kollegen Jens Hoffmann und Frank Fuhrmann. Letzterer befindet sich derzeit in einer fünfeinhalb Wochen andauernden Einarbeitungsphase für die ebenso verantwortungsvolle wie auch spannende Arbeit in der Kreisleitstelle. Der andere ist einer von drei Praxisanleitern, die Neulinge auf den Ernstfall vorbereiten.
Seit 1989 bei der Feuerwehr
Dabei ist Fuhrmann gar kein blutiger Anfänger. 1989 stieß er zur Jugendfeuerwehr. 2001 machte er aus seinem Hobby einen Beruf. 2005 folgte die Ausbildung zum Rettungsassistenten, 2015 der Lehrgang zum Rettungssanitäter. Seit viereinhalb Jahren arbeitet der erfahrene Feuerwehrmann bereits in der Leitstelle in Soest.
Da aber jede Leitstelle in den Feinheiten eben doch anders arbeitet, im Ernstfall jedoch jeder Handgriff sitzen muss, durchläuft Fuhrmann, der Anfang des Monats seinen Dienst auf Rosmart angetreten hat, dieselbe Einarbeitung wie jeder andere auch.
Hoffmann indes lobt seinen Schüler, „weil er ja aus seiner langjährigen Erfahrung auf der Straße alles wirklich kennt, vom Herz-Kreislauf-Versagen bis zum im Auto eingeklemmten Unfallopfer – er weiß, was das alles bedeutet“.
Vor der Leitstelle, in der ihre Kollegen mit dem scharfen System echte Einsätze koordinieren, sitzt Fuhrmann im intern „Aquarium“ genannten Raum. Eine große Fensterfront gibt ihm einen Einblick auf seinen künftigen Arbeitsplatz. Er arbeitet mit denselben Programmen, den gleichen PC-Fenstern, unter identischen Bedingungen – aber eben nur simuliert.
Damit alles noch authentischer wirkt, kommen die Dinge, die auf ihn einprasseln, tatsächlich „von außen“. Ein paar Meter den Gang hinunter sitzt Ausbilder Hoffmann im Schulungsraum an der Schaltzentrale für das Simulationsprogramm.
Sogar Nebengeräusche herstellbar
Er befeuert seinen Schüler quasi mit Einsätzen, Störungen, Anfragen und mehr – ganz so, wie es später für ihn auch wirklich sein wird. Hoffmann erklärt: „Ich kann auch Geräusche bei Frank einspielen“. Dafür stünden ihm knapp 60 Soundmodule zur Verfügung – Nebengeräusche wie Autos im Hintergrund des Anrufers, Kindergeschrei, eine aufheulende Motorsäge, oder die ratternden Maschinen einer Firma.
„Das ist nicht nur realistischer, das macht auch was mit dem Teilnehmer einer solchen Simulation“, weiß Hauptbrandmeister Hoffmann. „Das bringt mehr Dynamik in das Training, mehr Stress“.
Fuhrmann kann das nur bestätigen: „Das ist hier alles gewaltig nah dran an der Wirklichkeit.“ Wobei er – ebenfalls Hauptbrandmeister – das alles durchaus schon aus Soest kennt. „Aber da habe ich die eine Abfragemaske vielleicht rechts oben auf dem Desktop und hier ist sie links unten. Damit ich nicht suchen muss, probe ich das hier erst“. Und das macht er immer und immer wieder, bis es sprichwörtlich im Schlaf sitzt.
Bei einem eingehenden Notruf arbeiten die Einsatzkräfte mit einer strukturierten Abfrage. Bildschirmfenster geben ihnen Fragen und Formulierungen vor.
Hoffmann erklärt: „Ein Anrufer meldet ein Feuer aus einem Fenster vorne in einem Gebäude im ersten Stock. Der nächste Anrufer meldet im selben Gebäude ein Feuer. Wenn der Kollege dann sagt: ‘Wissen wir schon’, erfährt er vielleicht gar nicht, dass der zweite Anrufer ein Feuer nach hinten raus sieht – und zwar im dritten Stock. So weiß er dann also nicht, dass sich der Brand im Gebäude schon weit ausgebreitet hat.“
„Sehen und riechen nichts“
Die Abfragemaske auf dem Bildschirm verhindert die ausbleibende Nachfrage und sorgt für mehr Sicherheit. Die Einsatzkräfte in der Leitstelle blicken eben lediglich auf Bildschirme. Hoffmann verdeutlicht: „Wir sehen nichts, wir riechen nichts, wir schmecken nichts, was vor Ort passiert.“
Auch erfahrene Leitstellen-Mitarbeiter gehen regelmäßig in den Schulungsraum mit sechs PC-Plätzen für Übungseinheiten. Leitstellen-Leiter Volkmann weiß, wie wichtig das ist: „Wir kriegen permanent etwas Neues dazu, sei es eine andere Notruf-App oder sonst irgendwas. Und die Erneuerungszyklen werden sogar immer kürzer“.
Für den sicheren Umgang mit all der Technik müssen die Abläufe gut eintrainiert sein. Hoffmann verdeutlicht: „Und in der Simulation kann keiner etwas kaputt machen. Beim Lernen im Echt-System kann ein Fehler im Zweifel sogar Leben kosten“.
Das im Mai 2021 in Betrieb gegangene Brandschutzzentrum hat – abgesehen vom Feuerwehr-Institut in Münster – als einzige Dienststelle landesweit ein solches Simulationssystem.
Jede eingehende Anfrage hat einen anderen Klingelton. Der Profi hört sofort, was auf ihn zukommt: Der Ton eines Anrufs aus dem Festnetz von außen ist ein Signalton, den sich die Mitarbeiter der Kreisleitstelle einprägen. Der Ton eines Anrufs, der auf der Rufnummer 19222 eingeht, also einen Krankentransport anfordert, tönt schon dringlicher. Noch aggressiver kommt der Ton daher, wenn ein Anruf auf der 112, dem Notruf, eingeht.
Lernen, zu priorisieren
Der Funkspruch aus einem Einsatzwagen indes hat keinen Klingelton. Eine Computerstimme verkündet dann eine „Sprachanfrage“. Auf dem Bildschirm steht das Kennzeichen des Wagens vermerkt. Fuhrmann weiß also sofort: „Ist das der Wagen auf dem Weg zur Reanimation, oder sind das die Kollegen, die zum Gebäudebrand unterwegs sind“. Die eine Anfrage wäre im Ernstfall wichtiger als die andere. Fuhrmann lernt zu priorisieren.
Ausbilder Hoffmann weiß: „Und jeder Kollege hat seine eigenen Arbeitsabläufe, seine persönlichen Wege“. Bei Fragen der eigenen Handschrift eines Schützlings greift er auch nicht ein.
„Aber Dinge, die optimiert werden können, bringe ich schon zur Sprache“. Dabei hilft die Möglichkeit, die Schüler in der Simulation auch mittels Kameras aufzuzeichnen, damit diese ihre Handgriffe später selbst einmal noch anschauen können.
Wenn übrigens eine große Unwetterlage oder andere Arbeitsspitzen die Feuerwehrleute in Atem halten, können an den Simulationsarbeitsplätzen die Systeme auch scharf geschaltet werden. Das kann im Ernstfall wichtig sein. Doch Praxisanleiter Hoffmann weiß auch: „Wir können nicht jeden retten. Doch trotzdem ist genau das unser Bestreben“.
Jeder Mensch wähle statistisch gesehen nur einmal im Leben den Notruf. Und damit dann alles möglichst glattgeht, besucht Fuhrmann in seiner Einarbeitungszeit auch die Kollegen der Polizei-Leitstelle in Iserlohn, „um auch mal gesehen zu haben, wie die dort arbeiten“.
