„Zufall, ob er überlebt“: Verurteilung wegen versuchten Totschlags droht

Es waren schwerste Gehirnverletzungen, die ein heute 27-jähriger Plettenberger einem seinerzeit 19-Jährigen mit Schlägen und Tritten zugefügt haben soll. Die blutige Auseinandersetzung vor einem Lotto- und Tabakgeschäft in der Innenstadt Ende November 2020 könnte jedoch nicht nur schwerwiegende Folgen für das Opfer, sondern auch für den Täter haben.
Plettenberg – Denn diesem droht nun eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags im Landgericht Hagen. Der 27-Jährige soll seinen Kontrahenten so übel zugerichtet haben, dass „es dem Zufall überlassen war, ob der Zeuge das überlebt“, erklärt Richter Dirk Reckschmidt.
Mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen musste der damals 19-jährige Plettenberger am 30. November 2020 in eine Spezialklinik nach Bochum gebracht werden. Wegen Nebels konnte kein Hubschrauber fliegen. Als er nach dem Transport im Rettungswagen in Bochum ankam, waren sich die dortigen Ärzte nicht sicher, ob er die Gehirnblutung überleben würde.
Ursache der schweren Verletzungen waren Tritte gegen seinen Kopf, die ihm ein damals 24-jähriger Beschuldigter vor einem Tabak- und Lottogeschäft in der Plettenberger Innenstadt zugefügt haben soll. Der Täter wollte demnach nach einem Gefängnisaufenthalt von dem Geschädigten wissen, ob dieser „etwas“ mit seiner alleingelassenen Freundin „gehabt“ habe. Als der 19-Jährige das bestätigte, schlug er ihm zunächst mit der Faust ins Gesicht.
Nachdem der Jüngere zu Boden gegangen war, folgten mehrere Fußtritte gegen den Kopf mit verheerenden Folgen. Das Opfer konnte noch in den Lottoladen fliehen, wo ihn das Personal aber rausschmiss. Bilder der Überwachungskamera hielten das Geschehen fest. Nach einem erneuten Schlag vor dem Laden konnte der 19-Jährige fliehen und die Polizei verständigen. Kurz darauf brach er zuhause zusammen.
Nach einer Notoperation blieb der Patient für neun Tage im künstlichen Koma und weitere zwei Wochen in der Klinik. Um seine Sprach-, Schreib- und Lesefähigkeiten wiederzuerlangen, musste er weitere drei Monate in eine Rehabilitation. Insgesamt verlor der Auszubildende ein halbes Jahr auf dem Weg zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung.
Der heute 27-jährige Täter wurde zunächst wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht Altena angeklagt. Am Ende der Verhandlung am 9. November 2021 verwies das Schöffengericht das Strafverfahren jedoch weiter an die Schwurgerichtskammer des Landgerichts. „Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme kommt eine Straftat des versuchten Totschlags in Betracht“, verkündete Richter Dirk Reckschmidt die Entscheidung. Der Angeklagte habe den Zeugen „so gegen den Kopf getreten, dass eine Gehirnblutung entstanden ist“.
Nach einer derart finsteren Geschichte war es ein kleiner Lichtblick, dass das Opfer der Attacke nun im Landgericht von seiner Genesung berichten konnte. Sein Sprachvermögen war zurückgekommen und auch vorübergehende Bewegungseinschränkungen der linken Hand waren verschwunden. Vor den Tritten gegen seinen Kopf habe der Angeklagte mit dem Fuß „ausgeholt“, erinnerte sich der Belastungszeuge.
Der Angeklagte äußerte sich vor dem Schwurgericht zunächst nicht selbst zu der Tat. Im Amtsgericht hatte er noch behauptet, dass er dem Opfer „in den Hintern“ und nicht gegen den Kopf getreten habe. Diese Darstellung korrigierte sein Anwalt im Rahmen einer Verteidigererklärung. Ja, der Angeklagte habe das Opfer geschlagen und getreten. Aber nicht so oft, wie vom Zeugen bisher angegeben. „Sieben bis acht Tritte schließt der Angeklagte aus“.
Die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen belehrte den Angeklagten, dass neben einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags auch eine Einweisung in eine Entziehungsanstalt „in Betracht“ komme. Denn der Angeklagte war offenbar Betäubungsmittelkonsument und Drogenhändler.