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Missbrauchsstudie nicht verschweigen, sondern offen diskutieren 

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Von: Stefanie Vieregge

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Dunkle Wolken über einem Kreuz: Die Katholische Kirche will über die Missbrauchsskandale sprechen.
Dunkle Wolken über einem Kreuz: Die Katholische Kirche will über die Missbrauchsskandale sprechen. © dpa

Nach der kürzlich veröffentlichten Studie zu sexuellem Missbrauch im Bistum Essen wurden deren Inhalte nun auch in Plettenberg besprochen. Dazu trafen sich die Hauptamtlichen der Katholischen Gemeinde um Pastor Patrick Schnell mit einigen Gemeindemitgliedern, um die Inhalte der Studie, vor allem aber den weiteren Umgang mit der Gesamtsituation zu besprechen.

Plettenberg - Es wurde eine offene, kritische Diskussion über Tabus und eigene Eindrücke geführt, der unterschwellig auch fassungslose Bestürzung angesichts der offengelegten Taten beiwohnte. „Fest steht, dass die Missbrauchsskandale da sind und dass darüber gesprochen werden muss“, erklärte Pastor Schnell, der das Thema nicht verschweigen will.

Die anwesenden Gemeindemitglieder zogen zunächst leidvolle Vergleiche zu früheren Zeiten, in denen entsprechende Aussagen gegen den vermeintlichen Täter meist kein Gehör fanden, weil es sich um allgemein anerkannte Respektspersonen handelte. Außerdem wurde unglücklicherweise den Mädchen oder jungen Frauen selbst die Schuld gegeben, weil sie die Tat „mit dem Rock“ ja förmlich herausgefordert hätten.

Neben denen Ausführungen aus der Studie wurden auch persönliche Berührungspunkte mit Betroffenen angeführt, die zeigten, wie überfordert sich die Angesprochenen in dem Moment fühlten, weil sie nun mal keine ausgebildeten Fachkräfte seien. Wie also ist der Ablauf? Wer ist zuständig? Seit den Vorfällen und Meldungen im Jahr 2010 hat das Bistum Essen einen Interventionsbeauftragten benannt, der die Fälle intern bearbeitet. Außerdem wurde ein institutionelles Schutzkonzept erstellt. „Manche Gemeinden haben sich dabei viel Mühe gegeben und leben es, bei anderen dagegen ist es direkt in der Schublade verschwunden“, wunderte sich Pastor Schnell. Aber was passiert dazwischen? An wen können sich die Opfer – und Helfer – als erstes wenden? Gibt es nur Ansprechpartner innerhalb der Kirche oder wird der Fall nach außen an die Öffentlichkeit gegeben?

Studie umfasst die Meldungen von 226 betroffenen Personen

Die Studie des IPP (Institut für Praxisforschung und Projektberatung) erfolgte im Auftrag des Bistums Essen anhand von Personal- und geheimen Akten, Sitzungsprotokollen und Meldungen von Betroffenen. Sie umfasst mehr als 400 Seiten und übersetzt die harte Realität in Fakten und Zahlen: 226 betroffene Personen meldeten sich, davon waren 25 Prozent weiblich. In 21 Prozent dieser Fälle waren Nicht-Kleriker die Täter, 50 Prozent Diözesanpriester. Die Tatorte waren meist Kirchengemeinden und Heime, aber auch Pfadfindergruppen, Schulen oder Krankenhäuser. Zu den Schwerpunkten einer Studie gehört immer die Ursachenforschung. Das IPP konzentrierte sich auf die Findung von Faktoren, die ein entsprechendes Täterverhalten begünstigt haben. Über Jahrzehnte beschränkte sich der Umgang mit diesen Fällen auf Versetzungen der Täter in andere, häufig bistumsfremde Gemeinden, wodurch sie laut Studie „weiterhin unkontrollierten und unsanktionierten Kontakt zu Kindern und Jugendlichen hatten“. Hinzu kommt die unterlassene psychologische und soziale Vorbereitung der jungen Männer im Priesterseminar auf ein keusches Leben.

In Plettenberg stehen Organisationen und Ansprechpartner wie das Kinderschutzzentrum im Klinikum Lüdenscheid, das Hilfetelefon, der Weiße Ring oder andere Anlaufstellen zur Verfügung, die auch anonym angesprochen werden können. Die zugehörigen Kontakte und Telefonnummern sind unter anderem auf der Homepage der Katholischen Gemeinde zu finden. Eine perfekte Lösung zum Umgang mit diesen Situationen gebe es jedoch nicht. Jede Meldung, jedes mutige Heraustreten aus dem Schatten müsse einzeln betrachtet und unterstützt werden. „Normalerweise gilt das Unschuldsprinzip. Aber wenn sich ein Betroffener öffnet, dann gilt das Schuldprinzip gegenüber dem vermeintlichen Täter“, führte Schnell weiter aus.

Einige Gemeindemitglieder sprachen sich daher für den Staat beziehungsweise die Polizei als zuständigen Ansprechpartner für die weitere (Straf-)Verfolgung aus und sehen dies nicht als Aufgabe der Gemeinde oder der Kirche. Die Scham der Betroffenen, ihre Situation bekannt zu geben, lasse dies jedoch häufig nicht zu. „Ein Kind beispielsweise braucht acht Versuche, bis ihm Glauben geschenkt wird“, berichtete Laura Bartz, und verwies damit auf Zweifel und Unglauben seitens der Nicht-Betroffenen und die damit verbundene Hürde für die Opfer, eine Tat ans Licht zu bringen.

Bis in die 1980er Jahre wurde das Thema Sexualität und sexualisierte Gewalt gar nicht besprochen. In den 1990er Jahren brachen viele ihre Ausbildung aufgrund von eingegangenen Partnerschaften ab. Thomas Bartz erzählte von einem Fall in seiner Heimat, der die gesamte Gemeinde tief gespalten habe. Der Riss war nicht mehr zu kitten. Die Opfer waren Anfeindungen schutzlos ausgeliefert und wurden ausgegrenzt.

„Eine solche Dynamik betrifft nicht nur die Gemeinde, sondern beeinflusst auch die öffentliche Meinung“, so Bartz. Häufig spiele auch die Naivität und Unaufgeklärtheit eine Rolle, so ein Beitrag aus der Gruppe. Die Tabuisierung von Sexualität im Allgemeinen und sexualisierter Gewalt im Besonderen habe lange Jahre die einhellige Praxis des Unausgesprochenen und Verbotenen angetrieben. „Darüber spricht man nicht“ ist immer noch ein landläufiger Satz – was es den Opfern, meist Kindern, stark erschwert sich zu öffnen, da sie keine Ahnung haben, wo die Grenze zwischen normal und übergriffig liegt.

Die Hauptamtlichen der katholischen Gemeinde um Pastor Patrick Schnell (2. von links) thematisierten mit Gemeindemitgliedern die Missbrauchsstudie.
Die Hauptamtlichen der katholischen Gemeinde um Pastor Patrick Schnell (2. von links) thematisierten mit Gemeindemitgliedern die Missbrauchsstudie. © vieregge

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