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Vorsitzender der Tafel Deutschland warnt: Ehrenamt nicht aufs Spiel setzen

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Von: Sabrina Jeide

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Brühl und Brühl: Tafel-Vorsitzender Jochen Brühl (links) und Pfarrer Uwe Brühl sprachen über die Tafel-Bewegung.
Brühl und Brühl: Tafel-Vorsitzender Jochen Brühl (links) und Pfarrer Uwe Brühl sprachen über die Tafel-Bewegung. © Jeide, Sabrina

Für Susanne Vollmer, Leiterin der Plettenberger Tafel, war es ein inspirierender Abend, auf den sie sich schon den ganzen Tag gefreut habe. Ihren Dank richtete sie persönlich an Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland, der am Donnerstagabend zu einer Diskussionsrunde bei der Evangelischen Kirchengemeinde Eiringhausen zu Gast war.

Plettenberg – Zu Gast war er damit quasi direkt bei der Familie, denn Eiringhausens Pfarrer Uwe Brühl ist Jochen Brühls älterer Bruder. Es war deshalb auch ein wenig ein Gefallen für den großen Bruder, denn eigentlich hätte der Terminkalender des Tafel-Chefs solch eine Veranstaltung gar nicht zugelassen.

Doch von Zeitdruck spürten die gut 30 interessierten Zuhörer – darunter auch Mitglieder der Werdohler und Lüdenscheider Tafel – nichts, es entstand ein hochinteressantes Gespräch zwischen Pfarrer und Tafel-Vorsitzendem, aber eben auch zwischen zwei Brüdern.

Seit 16 Jahren im Bundesvorstand

In eineinhalb Stunden erfuhren die Besucher dabei viel über den Werdegang Jochen Brühls, aber auch zur aktuellen Situation der Tafeln. Seit 30 Jahren gibt es die Organisationen in Deutschland – übrigens seit 1999 und damit seit fast 25 Jahren auch schon in Plettenberg in Trägerschaft des Diakonischen Werkes. Jochen Brühl gehört zu den Gründungsmitgliedern der Tafel in Ludwigsburg, ist dazu seit 16 Jahren im Bundesvorstand und seit zehn Jahren Vorsitzender der Tafeln. In dieser Funktion setzt er sich ein, scheut sich nicht, auch einmal anzuecken. „Ich bin Diakon, ich bin Christ – wir haben einfach eine Verantwortung armutsbetroffenen Menschen gegenüber. Und das darf die Politik auch ruhig wissen“, sagt der 56-Jährige. „Tafeln sind Seismographen gesellschaftlicher Veränderung“ ist sich Jochen Brühl sicher, betont aber auch: „Tafeln können nicht kompensieren, was Gesellschaft und Politik nicht auf die Kette kriegen.“

Insgesamt waren mehr als 30 Interessierte am Donnerstagabend in das Eiringhauser Gemeindehaus gekommen, um die Ausführungen des Tafel-Vorsitzenden zu hören.
Insgesamt waren mehr als 30 Interessierte am Donnerstagabend in das Eiringhauser Gemeindehaus gekommen, um die Ausführungen des Tafel-Vorsitzenden zu hören. © Jeide, Sabrina

Ursprünglich zur reinen Unterstützung gedacht, mussten die Tafeln immer wieder besondere Herausforderungen bewältigen. Die Flüchtlingskrise ab 2015, die Corona-Pandemie, eine verstärkte Anzahl Geflüchteter aus der Ukraine im letzten Jahr: Etwa 60 000 Helferinnen und Helfer betreuen bei 960 Tafeln deutschlandweit etwa zwei Millionen Kunden. Aber: Es könne nicht nur die Aufgabe der Ehrenamtlichen sein, genau das zu schultern, was eigentlich Aufgabe des Sozialstaates sei, kritisiert Jochen Brühl: „Die Bundesregierung verlässt sich zu sehr auf die Tafeln“, die als größter Lebensmittelretter in Deutschland gilt. Brühl wird deshalb nicht müde, zu betonen: „Die Sozialleistungen müssen ausreichen.“

Hohe Akzeptanz in der Gesellschaft

Er warnt auch eindringlich davor, das Ehrenamt als „zu selbstverständlich zu nehmen“. Man dürfe diesen „Sektor nicht aufs Spiel“ setzen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich mit großer Freude und hohem Einsatz für die Bedürftigen auch in unserer Region ein. Das führt dazu, dass Tafeln eine hohe Akzeptanz haben und „in der Gesellschaft gut anerkannt sind“.

Der Tafel-Chef weiß aber auch, dass man sich in Deutschland Ehrenamt eben leisten können müsse – sowohl zeitlich als auch finanziell. Dass solch ein Engagement beispielsweise mit der Ansammlung von Rentenpunkten anerkannt wird, würde Jochen Brühl sehr begrüßen. Denn dass die ehrenamtlichen Helfer auch in Zukunft benötigt werden, davon ist er überzeugt: „Solange es Lebensmittelverschwendung und Armut gibt, wird es Tafeln geben“. Bleiben werde es ein Ort der Begegnung. Schon jetzt kommen viele Menschen auch aus Einsamkeit zu den Angeboten der Tafeln im Land. „Hier begegnen wir auch Menschen, die keiner will, die keiner auf dem Schirm hat“, macht es Jochen Brühl betroffen, dass ganz viele Menschen in unserer Mitte eben nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

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