Gotthardt blickt jedenfalls auf sage und schreibe 49 Berufsjahre zurück. Gleich nach dem Abitur hat er studiert, dann hat er zunächst bis Ende 1986 als Angestellter gearbeitet, bis er in Wuppertal fünf Jahre eine Praxis betrieb und schließlich die etablierte Praxis von Droste/Nowak übernahm. „Damals war es noch so, dass man sich um einen Praxissitz bemühen musste. Heute ist es ja umgekehrt“, sagt Gotthardt.
Gotthardt hat über die Entwicklung in den Hausarztpraxen, über die Veränderung der Medizin und auch das Verhaltensänderung der Patienten viel Wissen angesammelt. Es gibt erhebliche Unterschiede. „Die Patienten haben nicht mehr so viel Geduld wie früher“, sagt Gotthardt. Und der Patient fordere, dass der Körper möglichst schnell wieder funktioniere. Chronische Krankheiten seien für jene, die funktionieren wollten, eine Katastrophe.
Gotthardt macht auch häufiger extreme Verhaltensweisen bei den Menschen aus: „Mancher Sport ist sicher nicht so gesund.“ Manches ist für Patienten auch nicht akzeptabel: Drei bis fünf Monate dauere es, bis man einen Termin bei einem Spezialisten bekommt, das könnten viele nicht nachvollziehen. Heutzutage würden Patienten auch alle Krankheiten googeln und seien kritischer. Etwas, das sowohl Khateb als auch Gotthardt nicht unbedingt kritisch sehen. Gotthardt: „Der mündige Patient ist auch jener, der sein Schicksal selbst angeht.“ Sowohl Gotthardt als auch Khateb wollen lieber einen mündigen Patienten, sie möchten durchaus den Dialog. Der Arzt müsse die nötige Empathie haben, der Patient seinerseits müsse auch mitmachen. Grundsätzlich lassen die Ärzte auf ihre „Kunden“ nichts kommen: „Insgesamt sind es sehr liebe und positive Patienten.“
Hausarzt Paul Gotthardt sieht sich vor allen Dingen als eine Art Familienmediziner. „Von manchen Patienten kenne ich noch die Großeltern.“ So ein Arzt-Patienten-Verhältnis gebe es in der Großstadt nicht. Dort werde ein Arzt als schlichter Dienstleister wahrgenommen. Auch Kollege Khateb pflichtet ihm hier bei.
Ganz klar ist auch, dass sich in der Praxis die Demografie bemerkbar macht. Und auch der gewaltige medizinische Fortschritt. Gotthardt: „Wer früher 70 war, galt als alt. Heutzutage hat sich das sicher 20 Jahre nach hinten verschoben. Die Hochbetagten sind älter als 90 Jahre. Und wir haben mehr ältere Leute mit aufwendigen Krankheiten.“
Die Diagnostik hat sich in den Jahrzehnte ebenfalls gewaltig verbessert. Ganz begeistert sagt Gotthardt: „Man bekommt heute Bilder von ganz ganz vielen Dingen.“ Gotthardt erwähnt auch andere Methoden: „Auch die Herzkatheter – das war früher etwas Seltenes, ein gewaltiger Eingriff mit längerem Krankenhausaufenthalt.“ Heute sei das Routine und gehe flott. Es sei daher schon gewaltig, was sich in der medizinischen Forschung getan habe. „Enorme Entwicklungen gibt es in der Neurologie.“ Und auch in der Medikation. Gotthardt kann sich noch an „gewaltige Nebenwirkungen“ in früheren Zeiten erinnern.
Gleichwohl habe man heutzutage als Hausarzt viel mit Feinabstimmung bei der Medikation zu tun: „Man muss in Zusammenarbeit mit dem Patienten die richtige Balance finden zwischen Nutzen und Nebenwirkungen. Enorm verbessert haben sich zudem die Reha-Möglichkeiten. Früher: „Dicker Gipsklumpfuß, heute gibt es das kaum noch.“ Auf dem Laufenden bleiben Mediziner mit den Fortbildungen und der Information in Eigeninitiative. Khateb hat eine App vom Ärzteblatt mit Push-Nachrichten, Gotthardt bleibt lieber bei Papier. Während Aouss Khateb bis zur Rente noch reichlich zu tun haben wird, kann es Gotthardt nun langsamer angehen lassen. Der 67-Jährige sagt deshalb: „Ich bedanke mich bei den Neuenradern.“ Viele kleine und gar große Geschenke hat der scheidende Hausarzt bekommen und diese Wertschätzung freut ihn sichtlich.
Gotthardt war und ist ein politischer Mensch. Seine Meinung drückt er mit einem gewissen hintergründigen Humor aus. Er ist sicher jemand der reflektiert und seine Meinung dann auch kundtut. Er hat durchaus seine Vorstellungen, wie ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) optimaler zu managen ist. Er befürwortet eine Gesundheitserziehung an den Schulen. Er war Präsident der medizinischen Gesellschaft. Er kritisiert den überbordenden Bürokratismus der Medizinverwaltung. Und er bringt sich gesellschaftlich ein. So hatte er in früheren Zeiten schon mal das Neuenrader Kino gemietet, um seltene Filme zu zeigen. Auch für sein Rentendasein hat der angehende Pensionär durchaus schon den einen oder anderen Termin in petto: Ehefrau Petra verriet, dass er demnächst noch einen Vortrag zu Thema Seuchen halten wird.