Wer hier aus der Gegend kommt, der kennt noch den einen oder anderen Brocken Plattdeutsch: Gedöns, Ihmerter Hottenfütte (Ihmerter Käse-Hintern), Bolz (Kater) gehören dazu. Möglicherweise hat der eine oder andere schon mal was von den Evingser Rüenfraëtern (Evingser Hundefresser) gehört; in Neuenrade ist auch noch Hitte (Ziege) ein gängiger Begriff.
Zwei Wissenschaftlerinnen, die das Projekt „Dialektatlas Mittleres Westdeutschland“ betreuen, haben nun Veit Krönke zum zweiten Mal besucht. Dr. Petra Solau- Riebel und Vivien Senske (M.sc.) sind Sprachwissenschaftlerinnen im Bereich der Dialektologie und sie stellen dabei einen Dialektatlas auf. Das Gebiet umfasst dabei ganz NRW mit einzelnen Ausreißern nach Norden und Süden. Eine Grenze bildet die Benrather Linie. Dabei geht es um Lautverschiebungen, bei dem sich das k ins ch verschiebt. Aus maken wird machen.
Die beiden befragen nun Menschen die in der Lage sind, Platt zu sprechen und Veit Henning Krönke gehört dazu. Das Sprach-Projekt aus dem Bereich Dialektologie ist auf sage und schreibe 17 Jahre angelegt, startete bereits 2016 und wird 2032 enden. Die beteiligten Wissenschaftler kommen von den Universitäten Bonn, Münster, Paderborn und Siegen. „Ziel ist die systematische Erhebung sowie Auswertung und Interpretation von dialektalen oder standardfernen Sprechweisen (Varietäten) in Nordrhein-Westfalen und Teilen von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz auf verschiedenen sprachlichen Ebenen: Wortschatz (Lexik), Wortstruktur und Wortbildung (Morphologie), Lautstruktur (Phonologie) und Satzbildung (Syntax),“ heißt es auf der Homepage des Projektes.
Digital, dynamisch und sprechend sei der Atlas gehalten. Das bedeutet, dass die plattdeutschen und „standardfernen Ausdrücke“ (Mottek stammt zum Beispiel aus dem Polnischen) computergestützt erhoben, weiterverarbeitet und in einer Datenbank detailliert erfasst werden. Die erstellten Karten sind dynamisch, weil sie direkt auf gezielte Anfragen der diversen Nutzer erzeugt werden. Ein besonderes Bonbon ist, dass viele dialektale Ausdrücke auf den Karten angeklickt und angehört werden können.
Wie Solau-Riebel von der Uni Siegen und Senske von der Uni Paderborn erläuterten, werden Daten aus 1000 Ortschaften erhoben. Dabei werden jeweils zwei Personen der jüngeren und älteren Generationen befragt. Die Karte des niederdeutschen Sprachgebietes wird dabei in Planquadrate unterteilt und pro Planquadrat drei Orte nach gewissen Kriterien herausgesucht. Dort versucht man Menschen zu finden, die Platt noch sprechen. „Und die lassen sich jeweils an einer Hand abzählen“, sagt Solau-Riebel. Und so forscht man fleißig, findet heraus, wo wie gesprochen wird und kann dokumentieren und wissenschaftlich interpretieren. Die Basis bilden dabei natürlich dieselben Kriterien – jeder Proband muss dieselben Sätze sprechen. Der Fragenkatalog ist mit 680 Fragen zu den unterschiedlichen Themengebieten wie Haus, Hof und Tiere umfangreich.
Auch die sogenannten Wenker-Sätze spielen dabei eine Rolle. Wenker war dabei ein früher Sprachwissenschaftler, der das Plattdeutsche untersucht hat. Bleibt noch hinzuzufügen: Die Neuenrader Ecke scheint dabei für die Sprachwissenschaftlerinnen eine interessante Ecke zu sein, weil es Grenzgebiet zum Kurkölnischen ist. Wie auch immer: Solau-Riebel erläutert, dass sich das Niederdeutsche immer weiter ausdifferenziert hat. Niederländer und Plattdeutsch-Sprecher können sich dennoch gut verstehen. Auch mit dem Englischen gibt es viele Gemeinsamkeiten. So weist Vivien Senske darauf hin, dass manche Leute beim Platt-Sprechen „ins Englische rutschen“.
Es gibt schon gewisse Erkenntnisse und Unterschiede: Im Rheinland spricht man noch relativ viel Platt und es gibt Gebiete, wo gar niemand mehr es spricht oder nur noch wenige. Dass nun hierzulande wenig oder kaum noch Platt gesprochen wird, hat – da waren sich Wissenschaftlerinnen und auch Proband Krönke einig – hat bestimmte Ursachen: Das ist die Migration: 1945 habe Neuenrade oder besser „Niggenrohe“ 4500 Einwohner gehabt, erläutert Krönke. „Dann kamen 1500 Flüchtlinge hinzu“. Solau-Riebel bestätigt, dass Arbeitsmigration eben eine besondere Rolle beim Aussterben des Plattdeutschen spielt. Auch Wanderbewegungen aus anderen Gründen oder Heirat spielten eine Rolle.
Nicht all zu viele Plattdeutsche Wörter haben sich bis heute erhalten: Neben den bereis erwähnten kommen noch Buchse (Hose) aber auch Trecker hinzu. „Trecker bezieht sich dabei wohl auf das niederdeutsche Wort trecken für ziehen“, erläuterte Krönke. Noch ein paar relativ bekannte plattdeutsche Begriffe: Late (spät) Rüe (Hund) Vandage (heute). Sonnenvuol (Sonnenvogel für Schmetterling) scheint dabei nicht mehr ganz so geläufig.
Veit Henning Krönke jedenfalls ist ganz begeistert von der Arbeit mit den Wissenschaftlerinnen. Und ihm selbst hat es auch viel gebracht. So konnte er seine Kenntnisse auffrischen und etwas für die Wissenschaft tun. Derweil sind Dr. Petra Solau-Riebel und Vivien Senske wieder unterwegs. In diesen Tagen weilen sie zum Beispiel unter den Evingser Rüenfraëtern.
Probanden gesucht
Aus den Ortschaften Garbeck, Affeln, Ohle und Eiringhausen werden jeweils noch ein weiblicher und ein männlicher Plattdeutsch sprechender Proband ab 70 Jahren gesucht. Auch eine Plattdeutsch sprechende Neuenraderin fehlt noch. Wer sich angesprochen fühlt oder wer jemanden empfehlen kann, der möge sich unter der Rufnummer 01 51 / 28 89 54 87 oder per E-Mail solau-riebel@germanistik.uni-siegen.de melden.