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„Ich kann nicht mehr“: Familie steht vor Zwangsräumung und weiß nicht wohin

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Von: Susanne Fischer-Bolz

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Carolin Weitz (hier mit ihrer vier Monate alten Tochter) ist verzweifelt. Es ist für die Familie eine Katastrophe, wenn sie ausziehen muss.
Carolin Weitz (hier mit ihrer vier Monate alten Tochter) ist verzweifelt. Es ist für die Familie eine Katastrophe, wenn sie ausziehen muss. © Fischer-Bolz, Susanne

Eine Familie wird zwangsgeräumt. Mit vier Kindern und zwei Hunden wissen die Eltern nicht wohin. Das Problem ist komplex. Die LEG spricht von keinem willkürlichen Vorgehen.

Nachrodt-Wiblingwerde – Es ist eine Tragödie. Eine Situation, die trauriger kaum sein könnte: Carolin Weitz, ihr Lebensgefährte Lars-Patrick Albrecht, vier Kinder zwischen vier Monaten und 14 Jahren, zwei Hunde und eine Katze müssen aus der Goethestraße 19 raus, werden zwangsgeräumt und wissen nicht wohin.

Verzweifelt sucht die Familie eine Wohnung. Verzweifelt haben sie in den vergangenen Monaten versucht, die Zwangsräumung zu verhindern. Ohne Erfolg. Am 13. März kommt der Gerichtsvollzieher. Das Problem ist komplex, die Geschichte hat vor vielen Jahren begonnen – und eigentlich ist Carolin Weitz nicht Verursacherin des Kummers. „Ich weiß nicht mehr weiter, ich kann nicht mehr“, sagt die 32-Jährige tränenüberströmt.

„Ich kann nicht mehr“: Familie steht vor Zwangsräumung und weiß nicht wohin

Wenn das Ordnungsamt die Familie notunterbringt, muss sie ihre Hunde abgeben. „Mein Hund ist 15 Jahre alt und blind. Ich kann ihn doch nicht in ein Tierheim bringen“, sagt die junge Frau. Ordnungsamt und Jugendamt sind involviert. Bittbriefe noch und nöcher zeigt Carolin Weitz der Redaktion. All diese Briefe wurden an das Wohnungsunternehmen LEG als Wohnungseigentümer geschrieben. „Wir haben keine Antwort bekommen.“ Auch der fraktionslose Ratsherr Aykut Aggül hat versucht zu helfen und mit dem Eigentümer ins Gespräch zu kommen. Ebenfalls vergeblich. „Wir beziehen uns auf den Datenschutz und werden Ihre Mail nicht beantworten können“, bekam Aggül als Antwort.

Gothestraße 19, die Räumung steht an: Carolin Weitz steht mit ihren Kindern auf der Straße, wenn nicht noch ein Wunder passiert.
Gothestraße 19, die Räumung steht an: Carolin Weitz steht mit ihren Kindern auf der Straße, wenn nicht noch ein Wunder passiert. © Fischer-Bolz, Susanne

Fakt ist: Carolin Weitz steht nicht im Mietvertrag. Ihre Großeltern wohnten an der Goethestraße 19 in der Siedlung am Langenstück. Die Oma verstarb 2005. Christina Weitz, die Mutter von Carolin, zog deshalb zu ihrem Vater, um ihn zu pflegen. Tochter Carolin flüchtete aus ihrer Beziehung mit ihren drei Kindern später zu ihrer Mutter und dem Opa. „Da war Platz genug und meine Schwester hat sie aufgenommen“, erzählt Angelika Franz, Tante von Carolin Weitz, der Redaktion. Sie ist der Fels in der Brandung für ihre Nichte, wohnt ebenfalls in der Siedlung und würde die drei großen Kinder bei sich aufnehmen, wenn jetzt bald alle Stricke reißen werden. Denn sie sollen auf keinen Fall aus ihrem Umfeld gerissen werden, gehen in Nachrodt zur Schule. Wie immer sind die Kinder die Leidtragenden, sind auch längst sehr durcheinander aufgrund der ungewissen Situation.

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Zwangsräumung in Nachrodt wegen 8000 Euro Mietschulden

Nach den Sanierungen der Häuser am Langenstück wurden die Mieten erhöht. „Teilweise wurden 60 Prozent aufgeschlagen“, sagt Angelika Franz. Dagegen gingen einige Mieter – zum Teil erfolgreich – vor, andere nicht. Lange Rede, kurzer Sinn: Christina Weitz zahlte die Mieterhöhung einfach nicht, „hat ihre Miete bezahlt, aber nicht die Erhöhung“, so Angelika Franz. Da liegt der Hase also im Pfeffer. Die Mietschulden stapelten sich, „jetzt sollen sie bei 8000 Euro liegen, woher das genau kommt, wissen wir nicht und bekommen auch keine Auflistung“, sagt Carolin Weitz.

Ihrer Mutter wurde die Wohnung gekündigt und sie verließ irgendwann Nachrodt, während Carolin mit ihrer Familie in der Wohnung blieb und nach eigenen Angaben nichts davon wusste, wie hoch die eigentlich zu zahlende Miete ist. Sie bezahlte die „alte Summe“ weiter. „Meine Schwester hat alles unter den Teppich gekehrt“, versteht Angelika Franz nicht, wie das passieren konnte.

15 Jahre alt ist der Hund, den Carolin Weitz auf keinen Fall abgeben möchte.
15 Jahre alt ist der Hund, den Carolin Weitz auf keinen Fall abgeben möchte. © Fischer-Bolz

Nach Räumungsklage: „Wir suchen und suchen eine Wohnung“

Carolin Weitz versuchte mit Händen und Füßen, einen Mietvertrag zu bekommen und „wir würden auch die Schulden bezahlen, wenn wir einen bekommen“, sagt die junge Frau, die jetzt mit dem Rücken zur Wand steht. Ihr Lebensgefährte ist Gerüstbauer, die Miete könnte bezahlt werden. „Das, was meine Mutter verbockt hat, würde ich übernehmen.“ 1500 Euro wollte die junge Familie anzahlen, dann nach und nach die Summe begleichen. Gezahlt hat sie allerdings tatsächlich nicht.

Die erste Räumungsklage 2021 und die zweite im November konnten abgewendet werden, bei der jetzigen dritten sieht es allerdings schlecht aus. „Wir suchen und suchen eine Wohnung“, sagt Carolin Weitz. „Ich würde ja gern vor Gericht gehen und alles klarstellen, aber ich sehe keine Lösung.“

LEG äußert sich zur Zwangsräumung: „Nur in den seltensten Fällen“

Die LEG schreibt, dass sie den Ausgang „aus menschlicher Perspektive wirklich sehr bedauert. Die einzige Ausnahme für eine Verlängerung bzw. für eine Mietvertragsbegründung wäre tatsächlich die komplette Rückzahlung der Rückstände inklusive der angefallenen Gerichtskosten“, so Pressesprecherin Veronika Böhm. So viel Geld hat die Familie nicht. Es ist es eine verfahrene Situation. Carolin Weitz sieht ihren ganzen Hausrat auf der Straße stehen und alles, was ihr lieb und teuer ist, verloren.

„Eine fristlose Kündigung einhergehend mit einer Räumungsklage wird von uns niemals leichtfertig und generell nur in den seltensten Fällen ausgesprochen. Die Quote liegt hier im Promillebereich. Wir können Ihnen versichern, dass eine Räumungsklage als letzte Konsequenz einen sehr langen Vorlauf hat, sodass sehr viel in einem langen Zeitraum vorgefallen sein muss, damit wir diese überhaupt aussprechen. Wir möchten unsere Mieter lange als Kunden halten und sind an guten, intakten und langjährigen Mietverhältnissen interessiert“, sagt Veronika Böhm, Pressesprecherin der LEG.

LEG: Schilderung der Mieterin sehr einseitig

Die Schilderung der betroffenen Mieterin sei leider sehr einseitig und nicht sachgemäß dargestellt. Die Historie reiche bereits viele Jahre zurück, daher handele es sich hierbei um kein willkürliches Vorgehen von Seiten der LEG. „Anfang 2020 wurde bereits aufgrund massiver Rückstände durch unterlassene Mietzahlungen Klage gegen die Mieterin, Christina Weitz, eingereicht. Es folgten Verhandlungstermine und letztendlich die Erteilung eines erstmaligen Räumungsauftrags im Sommer 2021. Dieser wurde aus juristischen Gründen nicht durchgeführt, da zwischenzeitlich die Tochter der Mieterin, Carolin Weitz, die Wohnung mit ihrem Lebensgefährten und Kindern bezogen hat. Es folgten weitere Räumungsurteile mit zwischenzeitlichem Räumungsschutz. Der finale Räumungstermin ist nun der 13. März 2023“, so Veronika Böhm.

Da der Fall schon eine entsprechend lange Vorlaufzeit habe, diverse Gerichtstermine und Räumungsaufforderungen erfolgt seien, habe die betroffene Familie während des gesamten Prozesses genügend Zeit gehabt, die Rückstände, die über die Jahre aufgelaufen seien, auszugleichen. „Die betroffene Familie hatte sich sogar bereit erklärt, dies zu tun, leider ohne entsprechende Taten. Beim letzten Räumungstermin wurden Carolin Weitz sechs Monate zugesprochen, um sich eine neue Wohnung zu suchen. Die LEG versucht in Härtefällen individuelle Lösungen zu finden. Ein konstruktives Miteinander ist jedoch die Voraussetzung dafür. Leider war das nicht der Fall.“

Auch die schwerkranke Sabine Müller aus Halver drohte im Jahr 2022 die Zwangsräumung. „Das ist doch mein Zuhause“, sagte die Halveranerin.

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