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Es war gar nicht die Cousine

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Von: Susanne Fischer-Bolz

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Enkeltrick
Ein 80-Jähriger aus der Doppelgemeinde sollte um 20000 Euro geprellt werden. © Sebastian Gollnow/dpa

In letzter Minute realisierte ein fast 80-jähriger, dass er beinahe Telefonbetrügern auf den Leim gegangen wäre. Er informierte die Polizei - aber die habe kaum Interesse gezeigt, moniert er.

Nachrodt-Wiblingwerde - „Wer ist denn am Apparat?“ – „Ja, erkennst du mich denn nicht?“ – „Bärbel?“ – „Genau. Ich bin gerade in Münster und hab ein bisschen Zeit. Da dachte ich mir, ich könnte euch mal besuchen.“ – „Ja natürlich gern.“ Und so nahm das Drama seinen Lauf. So wurde ein Nachrodt-Wiblingwerder aufs Glatteis geführt. Ein gestandener Mann. Ein Mann, dem man kein X für ein U vormachen kann. Der selbst niemals geglaubt hätte, dass ihm so etwa passieren könnte. Er möchte anonym bleiben, ist aber bereit, die Geschichte zu erzählen, um andere zu sensibilisieren. Es gibt nämlich noch viel mehr als den Enkeltrick.

Aufwärmphase

„Es begann tatsächlich mit einer Aufwärmphase“, erzählt der ältere Herr. Die Frau, von der er glaubte, sie sei seine Cousine, rief mehrfach an. „Deine Stimme klingt anders“, bemerkte der Nachroter zur vermeintlichen Bärbel. Sie sei erkältet, redete sie sich raus.

„Soll ich Kuchen mitbringen?“, flötete sie beim zweiten Anruf in den Hörer. Beim dritten Mal an der Strippe, etwa eine viertel Stunde später, erzählte sie, dass es noch etwas dauern würde.

Von Geld am Anfang keine Rede

Von Geld war lange Zeit überhaupt keine Rede. Vielmehr wurde geplaudert. Vertrauen aufbauen, Freundlichkeiten austauschen: Das klappte wunderbar. Und Bärbel fragte dann auch nach dem Befinden der Frau des Nachrodters. Alles klang ganz nach seiner Cousine. Schließlich, Anruf Nummer fünf oder sechs, erzählte besagte Bärbel, dass sie bei einem Notar sei. Sie habe eine Wohnung gekauft, als Geldanlage. Und da sei wohl etwas schiefgelaufen.

Noch witterte der Nachrodter überhaupt keinen Betrug. „Bis dahin hatte sie mich auch noch nicht nach Geld gefragt.“ Das folgte allerdings auf dem Fuße.

Die richtige Cousine weiß von nichts

Denn Bärbel, so berichtete sie am Telefon, „hätte bis heute 35 000 Euro überweisen müssen“. Die Alarmglocken schellten noch nicht. Erst, als die Anruferin meinte, 20 000 Euro könne ihr Verwandter doch bestimmt bis Mittwoch leihen, das sei doch für ihn überhaupt kein Problem, fragte er nach: „Wieso brauchst du das Geld in bar? Komm erst mal her, dann können wir über alles reden.“ Bärbel wollte aber lieber, dass der Nachrodter das „Geld schon mal besorgt“. Und er rief tatsächlich als selbstverständliche Hilfsbereitschaft bei seiner Sparkasse an. „Das war dann aber der Zeitpunkt, an dem ich ein komisches Gefühl bekam“, erzählt der knapp 80-Jährige. Also machte er intuitiv das Richtige: Er rief bei seiner echten Cousine an, die sich freute, endlich mal wieder von ihm zu hören und „überhaupt nicht erkältet war.“

Erschrocken, dass er fast auf eine heftige Betrügermasche hereingefallen wäre, schaltete der Nachrodter die Polizei ein. „Aber von der Polizei gab es überhaupt keine Unterstützung. Der Polizist machte mir klar, dass man unterbesetzt sei und er gab mir seine Durchwahl, falls es ernst werden sollte. Die Polizei gibt immer schlaue Ratschläge, aber wenn es drauf ankommt, lässt sie einem im Regen stehen.“ Leider, so sagt der beinah Geprellte, hat er sich den Namen und die Telefonnummer des Beamten nicht aufgeschrieben.

„Ich war so aufgeregt. Als ich dann gemerkt hatte, dass ich betrogen werden sollte, hab ich geglaubt, man könnte jetzt die Person auf frischer Tat festnehmen lassen.“

Situation sehr belastend

Und das Ende der Geschichte? Als Bärbel, die nicht Bärbel war, sich noch mal meldete, erklärte ihr der Nachrodter, dass sie mit dem Theater aufhören und vorbeikommen sollte.“ Es gab keinen Anruf mehr. Bärbel kam auch nicht. Aber der Mann, der fast übers Ohr gehauen wurde, fühlte sich mitten im kriminellen Geschehen und empfand die Situation mehr als belastend.

Einer Betrügerin auf den Leim gegangen zu sein, auch wenn es nicht zur Geldübergabe gekommen ist, muss man erst einmal wegstecken. Zumal der Nachrodter auch sagt: „Es war ganz offensichtlich, dass sie Bescheid über uns wusste. Das war vorher ausbaldowert.“

Für 2020 liegen die Zahlen noch nicht vor. 2019 gab es 1550 Fälle rund um den sogenannten Enkeltrick im Märkischen Kreis, davon 1433 Versuche und 117 vollendete, also solche, bei denen Geld geflossen ist. In Nachrodt-Wiblingwerde waren es vier. Und alle vier Versuche von Betrügern scheiterten.

Betroffene schweigen aus Scham

Allerdings hat Polizei-Pressesprecher Marcel Dilling den Verdacht, dass sich einige Senioren aus Scham auch nicht melden. Dass Polizisten einen Hilferuf ignorieren, wie es der Nachrodter erzählt hat, kann er sich nicht vorstellen. Er hätte deshalb auch gern die Aussage des Beamten gehört, was aber aufgrund der fehlenden Angaben nicht möglich ist.

Diese Delikte, diese Straftaten zum Nachteil älterer Menschen, seien für die Polizei wahrlich nicht neu. „Die Schwierigkeit ist die Aufklärung der Taten, deshalb ist Prävention wahnsinnig wichtig“, sagt Marcel Dilling. Die Leute, die anrufen, seien absolute Profis in der Kommunikation. „Sie können die Leute um den Finger wickeln und man wird sie schwer wieder los. Manchmal bearbeiten sie die Senioren über Stunden und sogar Tage und schon hängt man am Fliegenfänger.“

Betrüger sind höchst kreativ

Der Polizeisprecher bittet alle Senioren, sich nicht auf die Spielchen einzulassen. Es gehe nicht nur um Enkel, die vorgetäuscht würden, sondern auch um Neffen, entfernte Bekannte und auch falsche Polizeibeamte. „Der Kreativität der Betrüger sind keine Grenzen gesetzt.“ Meistens beginne das Telefonat mit den Worten: „Na, hast du eine Idee, wer hier ist?“ Wenn ein Name genannt wird, schlüpft der Betrüger direkt in die Rolle. Marcel Dilling: „Wenn man nur den leisesten Zweifel hat, sollte man sofort auflegen und die Polizei anrufen.“

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