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„Man muss auch keinem jetzt Stress einreden“: Nachrodter Unternehmen lehnen Vier-Tage-Woche ab

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Von: Susanne Fischer-Bolz

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Von montags bis donnerstags arbeiten, dann Wochenende: Das ist die Idee.
Von montags bis donnerstags arbeiten, dann Wochenende: Das ist die Idee. © dpa

Vier Tage arbeiten, drei Tage Wochenende? Feine Sache. Doch die Vier-Tage-Woche wird in Nachrodt-Wiblingwerde erst mal nichts, wie die Unternehmer sagen. „Man muss auch keinem jetzt einreden, dass er Stress hat“, sagt Bodo Reinke, Geschäftsführer der Walzwerke.

Nachrodt-Wiblingwerde – Wer von montags bis donnerstags von acht auf zehn Stunden aufstockt, kann dann freitags bis sonntags die Füße hochlegen. Oder noch besser: Nur vier Tage acht Stunden arbeiten, aber gleich viel verdienen. Man nennt dies das 100-80-100-Modell. Das bedeutet, dass für 80 Prozent der bisherigen Arbeitszeit 100 Prozent des Gehalts ausgezahlt wird. Trotzdem wird eine 100-prozentige Produktivität erwartet. Als eines der ersten Krankenhäuser in Deutschland will das städtische Klinikum Bielefeld in der Pflege die Vier-Tage-Woche testen. In Nachrodt-Wiblingwerde wird das aber erstmals nichts – wie die Redaktion bei einer Umfrage erfuhr.

Dr. Bodo Reinke, Geschäftsführer der Walzwerke.
Dr. Bodo Reinke, Geschäftsführer der Walzwerke. © Susanne Fischer-Bolz

„Für ziemlich alles, was sie beweisen wollen, gibt es eine Studie“, sagt Dr. Bodo Reinke, Geschäftsführer der Walzwerke, mit Blick auf den Versuch in England, wo 61 britische Unternehmen das Vier-Tage-Modell testeten. Das Ergebnis: Die Mitarbeiter waren ausgeruhter, motivierter, fehlten seltener. So weit, so schön. „Dass man bei in einer Vier-Tage-Woche weniger gestresst ist, glaube ich. Aber ich glaube nicht, dass die Mitarbeiter bei uns krank werden, weil sie eine Fünf-Tage-Woche haben. Man muss auch keinem jetzt einreden, dass er Stress hat“, sagt Bodo Reinke schmunzelnd.
Als Hirngespinst würde er die angedachten Modelle nicht bezeichnen. Man müsse ganz individuelle Lösungen zulassen „und es mag Firmen geben, bei denen es möglich ist. Bei uns funktioniert es nicht. Wir sind als Industrieunternehmen sehr stark anlagengesteuert, das heißt: Es laufen viele Anlagen tatsächlich rund um die Uhr, wir arbeiten drei Schichten, drei Mal acht Stunden. So können wir nicht eine Schicht auf zehn Stunden verlängern, weil der Tag bekanntlich nur 24 Stunden hat.“ Die Anlagen würden auch die Produktionsgeschwindigkeit vorgeben. Eine Maschine, die beispielsweise Oberflächen bearbeite, habe pro Stunde eine bestimmte Leistung, „da kann man an Produktivität nichts drehen, die kann die Walzmenge nicht erhöhen, auch nicht, wenn sich die Mitarbeiter noch so anstrengen.“ Es gebe zwar noch viele andere Bereiche bei den Walzwerken, aber auch dort sei es schwierig, „und es wäre auch nicht besonders solidarisch“, findet Bodo Reinke, dass man nicht in einem Unternehmen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft einführen könne.

Dr. Frank Müller, Geschäftsleiter der Aluminium GmbH Nachrodt
Dr. Frank Müller, Geschäftsleiter der Aluminium GmbH Nachrodt © Privat

Sehr ähnlich beurteilt Dr. Frank Müller, Geschäftsleiter der Aluminium GmbH Nachrodt, den Vier-Tage-Vorstoß und „pflückt“ die verschiedenen Modelle auseinander – Aufstockung auf zehn Stunden: „Im administrativen Bereich ist das sicherlich eine Option, wenn mit dieser Maßnahme tatsächlich die Motivation und Leistung gesteigert werden kann, beziehungsweise wenn es die Mitarbeiter wünschen. Für den operativen Bereich, also für die Produktion, stellt es sich ganz anders dar. Die Abdeckung eines 24 Stundenbetriebes lässt sich durch acht Stunden ganzzahlig teilen, durch zehn bekanntlich nicht. Davon abgesehen wäre ein zehnstündiger Arbeitstag im Schichtbetrieb eine deutliche Mehrbelastung für den Mitarbeiter. Addiert man noch Hitze, Lärm, Zeitumstellung (Müdigkeit) hinzu, wird es umso anstrengender für den Kollegen. In der Vergangenheit argumentierten die Gesundheitsmediziner nachvollziehbar, dass eine zu lange Arbeitszeit im Schichtbetrieb der Gesundheit nicht diene. Auf Dauer träten bei zehn Stunden mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Gesundheitsschäden auf.“
Das andere Modell, die „100-80-100-Idee“ hält Frank Müller im administrativen, wie operativen Bereich für einen unrealistischen Ansatz. „Das hieße ja, dass unsere administrativen Mitarbeiter bisher 20 Prozent ihrer Arbeitszeit unproduktiv verbringen. Hierbei muss ich ergänzen, dass auch ein zwischenmenschliches Gespräch auf dem Gang oder in der Küche zur Arbeitsqualität hinzugezählt werden muss. Wir sind keine Maschinen und die Arbeit muss uns Spaß machen, und dazu zählen zwischenmenschliche Gespräche nun einmal. Diese fördern auch die Kreativität und bringen neue Ideen. Für den operativen Bereich (Schmelzbetrieb und Gießerei) würde sich eine Vier-Tage-Woche (100-80-100) hingegen erheblich bemerkbar machen. „Allein der sich immer stärker auswirkende Arbeitskräftemangel würde sich verheerend auf die Leistungsfähigkeit der Produktion unseres Unternehmens niederschlagen“, so Dr. Frank Müller.

Geschäftsführender Gesellschafter Björn Wachsmuth von der Wachsmuth-Gruppe
Geschäftsführender Gesellschafter Björn Wachsmuth von der Wachsmuth-Gruppe © Privat

Auch für die Wachsmuth-Gruppe ist eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich schwer zu realisieren, wie der Geschäftsführender Gesellschafter Björn Wachsmuth sagt. „Wir janken schon jetzt über hohe Inflationsraten. Es ist doch ein Teufelskreis: Wenn ich als Unternehmen höhere Löhne zahlen muss, werden meine Produkte an den Kunden auch teurer und letztlich auch für den Endkunden. Ja, ich verstehe den Wunsch, aber die Vier--Tage-Woche selbst ist ein Mittel, das man irgendwann im ruhigen Fahrwasser umsetzen kann, aber nicht in der jetzigen Situation. Wir kommen aus einer absoluten Krise mit Corona und dem Ukraine-Krieg und müssen schauen, wie wir überleben können. Wenn noch mehr Herausforderungen kommen, wenn neben dem externen Druck auch Druck von innen kommt, dann wird es für den Mittelstand schwierig. Ich wüsste nicht, wie es gehen soll. Am Ende des Tages muss es jemand bezahlen. Als Privatperson hört es sich natürlich attraktiv an.“ Björn Wachsmuth gibt zudem zu bedenken, dass auch bei einer Aufstockung auf täglich zehn Stunden nicht alles Gold sei, was glänzt: „Wenn ich beispielsweise Maurer bin und dann plötzlich zehn Stunden arbeiten muss, ist das schon ein erheblicher Unterschied.“

 Kai Kantimm, Chef des Edeka-Marktes
Kai Kantimm, Chef des Edeka-Marktes © Fischer-Bolz, Susanne

Der individuelle Ansatz zählt bei den angedachten Modellen. Und er funktioniert am ehesten, wenn für beide Seiten die Kasse stimmt. Aber wo kann das sein? In der Lebensmittel-Branche jedenfalls nicht. Kai Kantimm, Chef des Edeka-Marktes in Nachrodt, rauft sich die Haare. „Man kann ja mal die Kunden fragen, was sie davon halten. Die Frage ist aber eigentlich überflüssig, da wird sich niemand für die Vier-Tage-Woche aussprechen“, sagt er. Der Einzelhändler Lidl startete im vergangenen Jahr als erste Supermarktkette einen Pilotversuch zur Vier-TageWoche. Für ausgewählte Mitarbeiter in Österreich wurde die Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden auf vier Tage umverteilt. Dies betraf nur die Büromitarbeiter. Nach sechs Monaten Testphase ist nun schon wieder Schluss. Das Angebot zur Viertagewoche (38,5 Stunden an vier Tagen) sei nicht angenommen worden.

Bürgermeisterin Birgit Tupat
Bürgermeisterin Birgit Tupat © Fischer-Bolz, Susanne

Vielleicht könnten es in Verwaltungen besser laufen? Möglicherweise im Amtshaus? „Unwahrscheinlich. Dann weiß ich gar nicht mehr, wie die Arbeit erledigt werden soll“, sagt Bürgermeisterin Birgit Tupat. Statt einer Vier-Tage-Woche könne sie sich noch mehr Homeoffice vorstellen. Die Aufstockung auf täglich zehn Stunden Arbeitszeit behagt ihr auch nicht. „Das Problem ist, dass die Mitarbeiter schon jetzt Berge von Überstunden vor sich herschieben, dann würden sie nicht zehn, sondern zwölf Stunden arbeiten. Ich weiß nicht, ob Familien da so glücklich mit wären“, sagt Birgit Tupat. Sie selbst hat viele Termine, die außerhalb ihrer eigentlichen Arbeitszeiten liegen. Natürlich sei die Idee schön, nur vier Tage zu arbeiten, aber irgendwie auch unrealistisch. Man müsse mehr Leute einstellen, „und es ist auch nicht von Lohnverzicht die Rede. Für mich stellt sich die Frage, wer das alles bezahlen soll.
Man müsse mal abwarten, wie sich das entwickelt, aber Vorreiter wolle man in diesem Fall nicht werden. „Wenn solche Themen aufploppen, überlegt man natürlich, ob die Mitarbeiter dann zufriedener wären, ob der Krankenstand niedriger wäre. Das ist alles in den Überlegungen mit einzubeziehen“, meint die Bürgermeisterin.

Hausarzt Julian Hartig
Hausarzt Julian Hartig © Fischer-Bolz, Susanne

Apropos Gesundheit: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, der auch nicht kleingeredet werden kann, wie Hausarzt Julian Hartig meint. Viele Mitarbeiterinnen arbeiten in der Nachrodter Praxis in Teilzeit. „Das Problem ist, dass wir als Vertragsärzte verpflichtet sind, täglich Sprechstunden anzubieten. Wir könnten jetzt also nicht entscheiden, mittwochs zu schließen, auch wenn es von der Frequenz her vielleicht gehen würde“, erklärt Julian Hartig. Möglich wäre für Julian und Matthias Hartig, dass sie sich persönlich für eine Vier-Tage-Woche entscheiden, mit der Auflage, dass immer ein Arzt in der Praxis ist. „Im Prinzip würde das gehen, aber man muss es natürlich noch schaffen, die Patientenzahlen abzuarbeiten.“ Julian Hartig glaubt ganz sicher, dass eine Reduzierung auf eine Vier-Tage-Woche gut für die Work-Life-Balance wäre. „Man sieht ja schon heute häufig, dass sich ganz viele Leute bewusst dafür entscheiden, immer weniger zu arbeiten, und sie weniger Verdienst in Kauf nehmen, weil sie merken, dass es ihnen gut tut“, so der Hausarzt. Er glaubt, dass es in vielen Berufen große Herausforderungen gibt, die es zu bewältigen gilt, und dass es gut tun würde, wenn man einen Tag mehr Zeit für sich selbst hätte. Oder für die Familie. Die gesamte Arbeitszeit auf neun oder zehn Stunden täglich umzuverteilen, „ist auch eine gute Idee. Ich glaube, es ist leichter, dann etwas mehr zu arbeiten, dafür aber einen zusätzlichen Tag komplett frei zu haben, als wenn man jeden Tag arbeitet.“
Auch Julian Hartig spürt die Überlastung der Menschen, die in seine Praxis kommen. „Das ist keine neue Entwicklung, ich arbeite seit 2014 als Arzt. Da war es immer Thema. Und auch die Krankenkassen, die die Gründe für Krankmeldungen auswerten, berichten, dass psychische Erkrankungen Richtung Depressionen auf dem Vormarsch sind. Wobei man auch sagen muss, dass es vielleicht auch eine kleine Umkehr gibt, weil es mittlerweile viele Arbeitgeber gibt, die dieses Thema ernster nehmen und auch viele Angestellte mehr auf das eigene seelische Wohl achten. Es gibt aber auch andere Arbeitgeber, die ganz rigoros das durchziehen, was sie seit Jahrzehnten machen.“ Übrigens: Während allerorts die Vier-Tage-Woche diskutiert wird, will die Geschäftsleitung der Deutschen Edelstahlwerke in Witten die Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden – statt 35 – anheben. Ohne Lohnausgleich. Nur ein Punkt auf der Reformliste der DEW. Aufgrund des internationalen Wettbewerbsdrucks wird Mehrarbeit gefordert. „Solche Trends gibt es auch“, sagt Dr. Bodo Reinke.

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